Ambitioniert ans Werk gemacht

Erfahrungen mit dem Nachwuchsförderprogramm Athene Young Investigator

26.01.2018 von

Derzeit tragen zehn herausragende junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Darmstadt den Titel „Athene Young Investigator“ (AYI). Die TU-Vizepräsidentin für Forschung und Innovation, Professorin Mira Mezini, zieht im Interview eine erste Zwischenbilanz, wie das Förderprogramm wirkt. Außerdem im Porträt: Athene Young Investigator Michael Muma.

Prof. Dr. Mira Mezini. Bild: Katrin Binner
Prof. Dr. Mira Mezini. Bild: Katrin Binner

Die TU Darmstadt hat mit dem Athene Young Investigator ein neues Förderprogramm aufgelegt. Wer wird gefördert?

Mit dem „Athene Young Investigator“ fördert die TU die wissenschaftliche Selbstständigkeit herausragender junger Forscherinnen und Forscher, die in der Postdoktoranden-Phase sind und das Karriereziel Professur verfolgen. Das Präsidium der TU Darmstadt hat das Programm im Juli 2016 beschlossen. Am Ende einer ersten Ausschreibungsrunde wurden vier „Athene Young Investigators“ nominiert. Die Förderung befindet sich derzeit noch in einer Pilotphase. Ausgeschrieben wurde bisher im Halbjahresturnus. Pro Bewerbungsrunde konnten jeweils bis zu fünf Kandidateninnen und Kandidaten ausgezeichnet werden.

Wie genau sieht die Förderung aus?

Die Ausgewählten erhalten während der Förderdauer von bis zu fünf Jahren ein eigenes, disziplinspezifisches Budget bis zu 15.000 Euro pro Jahr, das sie eigenverantwortlich verwenden können. Das aufnehmende Fachgebiet erhält jährlich 5.000 Euro. Die AYI betreuen mindestens eine eigene Doktorandin oder einen Doktoranden und sollen am Promotionsrecht des jeweiligen Fachbereichs beteiligt werden. Sie haben die Möglichkeit, eigene Schwerpunkte in der Lehre zu setzen und werden entsprechend ihres neuen Status wie Nachwuchsgruppenleiterinnen oder -leiter eingruppiert.

Was erhofft sich die TU davon aus hochschulpolitischer Sicht?

Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zählt zu den Kernaufgaben der Technischen Universität Darmstadt. Sie möchte ihren Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern in allen Qualifikationsphasen attraktive Arbeits- und Karrierebedingungen bieten und ein Umfeld schaffen, in dem sie ihre Potenziale bestmöglich entfalten können.

Steht dahinter ein besonderes Konzept?

Ja, im Sommer 2017 hat die TU ihre Strategie zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses veröffentlicht, die einen ganzheitlichen, durchgängigen Ansatz verfolgt und die Grundlage für eine bedarfs- und karrieregerechte Unterstützung bildet. Eine der zentralen Fördermaßnahmen für junge Akademikerinnen und Akademiker mit Karriereziel Professur – wir bezeichnen dies als R3-Phase – ist das Athene Young Investigator Programm. Ziel ist die Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit dieser jungen Forscher und Forscherinnen. In Anbetracht des weltweiten Wettbewerbs um die besten Köpfe positioniert sich die TU mit diesem Programm als attraktive Arbeitgeberin für den national und international exzellenten Nachwuchs. Innerhalb der TU sind die Athene Young Investigators eine Art Vorbild oder Leitbeispiel.

Wie groß ist das Interesse?

Inzwischen haben auch die fünf erfolgreichen Kandidatinnen und Kandidaten der zweiten Ausschreibung ihre Arbeit aufgenommen; sie sind seit Anfang Oktober 2017 Athene Young Investigator. Mit insgesamt 27 Bewerbungen in den ersten beiden Runden sind wir in Anbetracht der Größe der Zielgruppe sehr zufrieden. Die Auswahl konnte aus einem sehr guten Bewerberfeld erfolgen, die Qualität der Bewerbungen war sehr hoch. Wir befinden uns derzeit sogar schon kurz vor Abschluss der dritten Auswahlphase und eine vierte Ausschreibungsrunde ist derzeit in Vorbereitung.

Wie werden die Geförderten ausgewählt?

Die Auswahl der Athene Young Investigators erfolgt in einem zweistufigen Verfahren durch unsere interdisziplinär zusammengesetzte, TU-interne Auswahlkommission für Nachwuchsförderprogramme. Diese Kommission besteht aus jeweils zwei Professorinnen oder Professoren aus den drei Fachgruppen Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften und Geistes- und Sozialwissenschaften sowie zudem in beratender Funktion der Gleichstellungsbeauftragten. Den Vorsitz hat die Vizepräsidentin bzw. der Vizepräsident Forschung. Bewertet werden bei einer Bewerbung die wissenschaftliche Exzellenz (Publikationen, Preise, Vernetzung), das wissenschaftliche Potenzial, die Qualität des Forschungskonzepts und die wissenschaftliche Selbstständigkeit, Mobilität sowie Betreuungs- und Lehrkompetenz. Für die vorausgewählten Kandidatinnen und Kandidaten werden anschließend je zwei Gutachten von externen, unabhängigen Gutachtern eingeholt, mindestens eine oder einer davon mit einem internationalen Hintergrund. Die Ausgewählten werden dann eingeladen, sich der Jury in einer zweiten Sitzung persönlich vorzustellen und ihre Forschungsschwerpunkte, -ziele und -pläne in einem Vortrag aufzuzeigen. Daraufhin trifft die Kommission dann die endgültige Entscheidung, wer zukünftig den Titel „Athene Young Investigator“ tragen darf.

Gibt es ähnliche Programme an deutschen Hochschulen?

Einige andere deutsche Hochschulen haben tatsächlich vergleichbare Programme aufgelegt – das Thema war wichtiges Element einiger Konzepte, die in der Exzellenz-Initiative ausgezeichnet wurden. Beispielsweise vergibt die TU Dresden mit ihrem „TUD Young Investigator“ einen ganz ähnlich lautenden Titel, allerdings ist mit diesem Status mehr eine strukturelle Unterstützung ohne finanzielle Beiträge verbunden. Andere Universitäten, etwa Konstanz oder Bremen, haben ebenfalls interessante Instrumente zur Nachwuchsförderung konzipiert. Man sieht also: Das Thema beschäftigt die Universitäten derzeit stark und die Hochschulen setzen in diesem Rahmen unterschiedliche Schwerpunkte.

Wie sehen die ersten Erfahrungen mit den Athene Young Investigators aus?

Die Ausgewählten sind nun seit knapp zehn bzw. vier Monaten Athene Young Investigators. Für eine genauere Bewertung ist es derzeit noch zu früh. Unser erster Eindruck ist jedoch, dass sich die Geförderten ambitioniert ans Werk gemacht haben und ihren Titel mit Stolz tragen. Die erste Runde der jährlichen Zwischenberichte der Geförderten wird uns bald ein fundierteres Bild liefern können.

Vom drahtlosen Sensornetzwerk bis zur Medizin-App

Michael Muma. Bild: Hagen Schmidt
Michael Muma. Bild: Hagen Schmidt

Michael Muma entwickelt neue Methoden der robusten Signalverarbeitung

Das Weihnachtsgeschenk kam Anfang Dezember. Der Beitrag „Robust Estimation in Signal Processing“ von Abdelhak M. Zoubir, Visa Koivunen, Yacine Chakhchoukh und Michael Muma wird mit dem „Best Paper Award 2017“ des IEEE Signal Processing Magazine ausgezeichnet. Das Magazin ist das Flaggschiff des „Institute of Electrical and Electronics Engineers“ (IEEE), des in New York ansässigen weltweiten Berufsverbandes von Ingenieuren aus der Elektro- und Informationstechnik. „Das ist ein bedeutender Preis in der Fachwelt“, freut sich Michael Muma. Daher wundert es nicht, dass der junge Deutsch-Amerikaner unterdessen vom Europäischen Verband für Signalverarbeitung (EURASIP) als Mitglied in eines der „Special Area Teams“ gewählt wurde – ein Kreis, in dem sich bisher nur ausgewählte Professoren finden. „Eine große Ehre, dass ich schon dabei sein kann“, sagt der 36-Jährige. Professor will Michael Muma noch werden, Athene Young Investigator der TU Darmstadt ist er schon seit Oktober 2017 – und seine Erfolgsliste ist bereits lang.

Muma forscht seit 2009 als wissenschaftlicher Mitarbeiter über robuste Statistik am Fachgebiet Signalverarbeitung am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Darmstadt. 2014 promovierte er mit Auszeichnung zum Thema „Robust Estimation and Model Order Selection for Signal Processing“. Fasziniert ist er „von den vielen Anwendungsmöglichkeiten“. Die reichen von Audio- und Kamerasensornetzwerken über die Automobilindustrie bis zur Medizintechnik, einem von Mumas Schwerpunkten. Klassische Methoden der Signalverarbeitung basieren oftmals auf Annahmen für Daten oder Messungen, die in der Simulation optimal funktionieren, in der Praxis aber einen hohen Leistungsabfall oder sogar Totalausfall zeigen können. Die robuste Statistik entwickelt hingegen Verfahren, die Ausreißern oder Modelabweichungen standhalten. Mit robuster Signalverarbeitung lässt sich beispielsweise bei bestimmten elektronischen medizinischen Messungen der Hirndruck vorhersagen, der ein wichtiger Anhaltspunkt bei der Behandlung von Patienten mit schweren Hirnschäden ist. „Wenn der Hirndruck für nur zehn Minuten vorhergesagt werden könnte, wäre das ein enormer Gewinn für die Patientenüberwachung im Krankenhaus“, sagt Muma.

Eine seiner fünf Doktorandinnen und Doktoranden, die er als Athene Young Investigator betreut oder ko-betreut, hat kürzlich erfolgreich ihre Doktorarbeit zum Thema akustische Sensornetzwerke abgeschlossen. Sie hat Algorithmen entwickelt, die dazu beitragen, die Anteile einer bestimmten Schallquelle aus dem Gemisch des Störschalls zu extrahieren. Dies könnte etwa für Nutzer von Hörgeräten künftig eine ganz erhebliche Verbesserung der Hörqualität bedeuten. Sogar die Psychologie braucht unterdessen hochkomplexe Signalverarbeitungsverfahren. Eine weitere Doktorandin untersucht mithilfe am Körper angebrachter Sensoren, wie der Mensch auf Emotionen reagiert. „Gute Doktoranden“, betont Muma, „sind sehr wichtig für die eigene Forschungsarbeit.“

Das von Michael Muma und seinem Doktoranden Tim Schäck betreute Studenten-Team der TU Darmstadt gewann 2015 den internationalen IEEE Signal Processing Cup, ein renommierter Wettstreit, bei dem über 50 Teams aus der ganzen Welt antreten. Das Wettbewerbsthema war die Herzfrequenzschätzung bei körperlicher Belastung. Über kleine optische Sensoren an einer Uhr, einem Fitness-Armband oder Mobiltelefon lassen sich Vital-Parameter wie Blutdruck oder arterielle Steifigkeit, sprich der Zustand der Gefäße, ermitteln.

Erst im Januar 2018 haben Michael Muma und sein Team eine Erfindungsmeldung eingereicht, bei der nun geprüft wird, ob sie patentierbar ist. Beteiligt war das TU-Team an einer Anwendung, die für internationales Aufsehen gesorgt hat. Das niederländische Startup-Unternehmen Happitech hat eine App fürs Handy auf den Markt gebracht, die mittels optischer Sensoren Herzrhythmus und Rhythmusstörungen erkennen kann. Die Nutzer müssen dafür den Finger auf die Handykamera legen. „In diesem Algorithmus steckt unsere Intelligenz mit drin“, betont Muma. Derzeit läuft in Zusammenarbeit mit Krankenhäusern in den Niederlanden die klinische Überprüfung, ob die optischen Sensoren und die Handy-App klinisch akkurate Messwerte liefern.

Im Sommer nutzt der 36-Jährige den Athene-Young-Investigator-Status für einen zweimonatigen Forschungsaufenthalt in Finnland. „Die Aalto Universität in Helsinki ist führend in der robusten Signalverarbeitung“, sagt Muma, der schon einen Teil seiner Studienzeit an der Queensland University of Technolgy in Australien verbracht hat. Frau und Kinder begleiten ihn übrigens nach Finnland – auch das ermöglicht das Förderprogramm. Bei seiner Rückkehr kann er sich auf das Erscheinen des ersten Buches über robuste Signalverarbeitung freuen, das Ende 2018 beim Verlag Cambridge University Press herauskommt. Michael Muma ist einer der vier Autoren.