In seinen Fotografien arrangiert der ehemalige Tänzer und Choreograph AdeY seine Modelle skulptural: Oft nur mit Turnschuhen bekleidet gruppieren sie sich zu geometrischen Gruppen, eng aneinander gelehnt oder übereinan- der gestapelt. Das zivilisatorische Gerüst unseres Alltags wird als solches sichtbar und humorvoll hinterfragt. Der schwedisch-britische Künstler kombiniert seine Protagonisten in der schnörkellosen Umgebung einer Waschküche (Laundry Time, 2015) oder legt sie in ein leeres Regal (Modern Living, 2017).
Er platziert sie in gestapelten Kisten, wie in Product Placement France (2018). Eine Anspielung an eine der bekanntesten Fotoserien von Will McBride, die „Kistengeschichten“. Die sechzehn Dar- steller des damaligen Münchner Hair Musicals bildete McBride für sein Magazin Twen nackt ab und inszenierte sie in elf Kisten – als Protest gegen den Vietnamkrieg und als Plädoyer für ein freies Leben, in der jeder sich anders in seiner Nacktheit zeigen darf, nachdenklich, verschämt, unbekümmert.
Der inzwischen ebenfalls zur Fotoikone gewordene Rückenakt der Mitglieder der Kommune 1 von Thomas Hesterberg Kommune I (1967) ist ein weiteres Motiv, das AdeY in Hangout Part IV (2017) aufgreift. Auch dies ist eines der mar- kantesten Bilddokumente der 68er-Bewegung in Deutschland, zugleich Symbolbild für die sexuelle Revolution. Die Sehnsucht nach der damals postulierten freien Gesellschaft findet auch in AdeYs Accumulate (2017) seinen Aus- druck. Drei Frauen klettern nackt auf einem Baum im Hinterhof eines Hauses – ein zeitgenössisches „Kommunenfoto“? Weitere Anspielungen in AdeYs Arbeiten an künstlerische Vorbilder sind ebenfalls aufschlussreich: So erinnert After you (2018) an die Performance Imponderabilia (1977) von Ulay und Marina Abramovic, als die Museumsbesu- cher*innen sich an den beiden unbekleideten Künstlern vorbei den Weg in die Ausstellung bahnen mussten.
Eine humorvolle Interpretation der darwinschen Evolutionslehre ist Evolution Part II (2018). Der Weg zum „aufrech- ten Gang des Menschen“, wie er von Darwin postuliert wird, konterkariert AdeY durch die komische Aneinander- reihung von gekauerten bis stehenden Menschen, von denen die letzte Person kopfüber und eben nicht aufrecht steht. AdeYs Fotos vermeiden das Individuelle. Er zeigt die Gesichter der Beteiligten nicht und erreicht so eine stärkere Identifikation mit den Betrachtenden. Das Recht auf Unterschiede treibt seine Bilder an. Humorvoll und experimen- tell visualisieren sie die menschliche Verwundbarkeit und Einsamkeit, aber auch die Stärken. In Devotion (2017) ist das „Heim“ bereits zusammengebrochen und zur Ruine verkommen. Am letzten Balken klammern sich zwei Perso- nen aneinander – was bleibt ist die Bindung als letzter Strohhalm inmitten einer zusammengebrochenen Welt.
AdeYs Werke sind politisch motiviert. Sie erkunden, wie die Gesellschaft definiert ist, wer wir sind und wie wir wahr- genommen werden. Der Mensch wird in äußere Strukturen eingepasst – ob es ihm entspricht oder nicht. Die Empfindsamkeit der ungeschützten Haut kontrastiert die Unwirtlichkeit der zivilisatorischen Umgebung. Sei es die Waschküche mit ihren kühlen Kacheln und der Waschmaschine oder die eckigen Fächer des vorgefertigten leeren Regals. Der verletzliche Körper wird darin eingepfercht und das Gefühl des Andersseins verstärkt. Doch zum Glück gibt es ja noch die Anderen, an die man sich kuscheln kann. Ein Plädoyer für Toleranz.