Menschlichkeit und Diversität in den Naturwissenschaften

Studierenden-Team erhält Hessischen Hochschulpreis für Ringvorlesung

2021/11/26

Für die Ringvorlesung „Naturwissenschaftler:innen in Gesellschaft, Akademie und Industrie – Hürden und Chancen“ (NaGAI) sind vier Promotions- und Masterstudierende aus dem Fachbereich Chemie der TU Darmstadt gestern (25.11.) als studentische Initiative mit dem Hessischen Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre ausgezeichnet worden. Das Modul „NaGAI“ vermittelt Studierenden einen wesentlichen Aspekt: dass Wissenschaft von Menschen gemacht wird, die dem Anspruch der Objektivität nicht immer ohne Weiteres gerecht werden können.

„Ich freue mich sehr, dass mit der Auszeichnung das Engagement von Studierenden und Promovierenden für die Lehre belohnt wird“, so Heribert Warzecha, Vizepräsident für Studium und Lehre sowie Diversität an der TU Darmstadt. „Das mit der Auszeichnung verbundene Preisgeld ermöglicht die Weiterführung einer Veranstaltung, die aktuelle Themen in den Mittelpunkt stellt, wie den Umgang mit Vielfalt in den späteren Berufsfelder von Naturwissenschaftler*innen oder die Wahrnehmung von Naturwissenschaftler*innen und ihren Forschungsergebnissen in der Öffentlichkeit.“

Das Viererteam Melissa Meinel, Miriam Seebach, Kilian Heckenberger und Han Dittmar, das das Projekt entwickelte, 2020 erstmals in die Lehre einbrachte und auch die Neuauflage im laufenden Wintersemester betreut, spricht im Interview über NaGAI:

Wie ist die Idee zur Ringvorlesung entstanden?

Wir vier sind schon seit längerem zusammen in der FEM-Runde aktiv. Diese beschäftigt sich im informellen Rahmen mit Themen an der Schnittstelle zwischen Feminismus und Chemie oder bisweilen auch anderer Naturwissenschaften. Bereits in dieser Runde hatten wir öfter Gäste aus der akademischen Forschung, Industrie oder gar Politik. Auch wenn uns die ungezwungene Interaktion in der kleinen Gruppe immer Freude bereitet hat, fanden wir es doch nicht angemessen, dass sich nur so wenige damit auseinandersetzen, dass Naturwissenschaftler:innen eben auch Menschen sind, die genauso von zwischenmenschlichen Problemen, Diskriminierung oder starren Hierarchien in ihrer Arbeit und ihrem Werdegang beeinflusst werden wie Personen in den Gesellschaftswissenschaften, die sich konsequent mit diesen Themen beschäftigen.

Sie haben also ein neues Format entwickelt …?

Kilian Heckenberger
Kilian Heckenberger

Da wir zum Start der Planung überwiegend selbst noch Studierende waren, wussten wir, dass es für viel beschäftigte Studierende ein Anreiz ist, wenn sie den Zeitaufwand durch Credit Points oder einen Stichpunkt, der in Bewerbungsunterlagen auftauchen kann, vor sich rechtfertigen können. Daher erschien uns die Idee naheliegend, das Format relativ originalgetreu in eine kreditierte Lehrveranstaltung zu übertragen. Professor Harald Kolmar und Professorin Tanja Paulitz standen gegen Ende der Planungsphase dann noch mit ihren Namen als rechtliche Vertretung der Ringvorlesung zur Verfügung, damit das Modul auch formell als solches Wirklichkeit werden konnte.

Dabei gehörte zur Idee der Ringvorlesung bereits der Gedanke, sie als Lehrveranstaltung für ein breiteres Publikum auch inhaltlich noch breiter aufzustellen und unter anderem den Bezug der eher als sozialwissenschaftlich verstandenen Themen zu den Naturwissenschaften deutlicher herauszuarbeiten.

Hochschullehrpreis 2021: Studentische Initiative – Digitale Ringvorlesung

Empfohlener externer Content

Wir haben für Sie einen externen Inhalt von YouTube ausgewählt und möchten Ihnen diesen hier zeigen. Dazu müssen Sie ihn mit einem Klick einblenden. Mit einem weiteren Klick können Sie den externen Inhalt jederzeit ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte von YouTube angezeigt werden. Dadurch ist es möglich, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Welches Konzept steckt hinter der Ringvorlesung?

Melissa Meinel
Melissa Meinel

Wir wollten den Input durch Gäste aufrecht erhalten, um deren Erfahrung zu nutzen, und daher die Veranstaltung nicht als von uns gehaltenes Seminar, sondern als Ringvorlesung konzipieren. Ebenfalls wichtig war uns, dass allen Teilnehmenden viel Raum zur Diskussion geboten wird. Anschließend haben wir Themen identifiziert, die wir mit der Vorlesung abdecken wollen. Mit in der Regel zwei Vortragenden pro Sitzung haben wir die Chance geschaffen, viele Themen um die Menschlichkeit und Fehlbarkeit von Personen in der Wissenschaft zu behandeln. Da die Beschäftigung mit grundlegend neuen Gedanken oft ein wenig Zeit zum „Einwirken“ erfordert, gibt es immer die Möglichkeit, Punkte anzusprechen, die in der vorangegangenen Sitzung aufgefallen sind.

Um welche Themen ging es in der ersten Ringvorlesung?

Miriam Seebach
Miriam Seebach

Über den Verlauf des Semesters hinweg haben wir versucht, die Themen so zu verteilen, dass zu Beginn offensichtlich ist, inwiefern eine Relevanz besteht – Stichworte Naturwissenschaftler:innen in den Medien und im Kontext gesellschaftlicher Diskurse. Neben der Frage, wie Wissenschaft inhaltlich gut an die Öffentlichkeit gebracht werden kann, beschäftigten wir uns mit der Wichtigkeit von offenem Austausch und damit, inwiefern die Form beeinflusst, wie erfolgreich Kommunikation sowohl im Zusammenhang des Berufslebens als auch darüber hinausgehend ist. Dass die in den Wissenschaften vielgepredigte Neutralität und Objektivität lange nicht immer erreicht wird, haben wir in Sitzungen zu den Themen Gleichstellung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, psychische Gesundheit und Hierarchien an konkreten Beispielen herausgearbeitet. In darauffolgenden Veranstaltungen ging es um die grundlegenden dahinterstehenden Mechanismen, die zu Ausschlüssen führen, wie Unconscious Bias, Diskriminierung und Stereotype.

Zum Abschluss der Vorlesungsreihe sollte klar werden, dass Vielfalt oft Grundlage für Reibungen ist, die zu einer Benachteilung von Nicht-Mehrheitsangehörigen führt; Diversität aber auch eine Bereicherung darstellt. Strukturen, die Diversität auffangen, sind besonders gut dazu geeignet, allen Individuen die Chance einer bestmöglichen Entfaltung zu gewähren. So hat Diversität aus Industrieperspektive sogar messbaren wirtschaftlichen Nutzen.

Wie ist die Resonanz?

Anhand der spannenden Diskussionen und vieler als Prüfungsleistung eingereichter Journale sehen wir, dass unser Ziel geglückt ist, den Studierenden den Wert von Vielfalt und ihrem aktiven Schutz auch in den Naturwissenschaften klar zu machen. Wir hoffen, die Teilnehmenden tragen ihre Erkenntnisse aus der Veranstaltung mit in ihren Bekanntenkreis und ihre Karriere und helfen so mit, Akademie und Industrie und letztlich die Welt für alle zu einem lebenswerteren Ort zu machen.

Der Hessische Hochschulpreis ist innerhalb kürzester Zeit die zweite Auszeichnung für das NaGAI-Team. Zuvor hatten Han Dittmar, Kilian Heckenberger, Miriam Seebach und Melissa Meinel bereits den Athene-Preis für Gute Lehre – Sonderpreis Gender- und Diversity-sensible Lehre erhalten , mit dem die TU herausragende Initiativen ehrt.

Hessischer Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre

Der Hessische Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre wird vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst ausgeschrieben. Er wird für herausragende und innovative Lehrleistungen verliehen. Ausgezeichnet wird dabei unter anderem auch jeweils eine studentische Initiative, die sich in der Praxis bewährt hat und „maßgeblich zu einer Verbesserung des Lernerfolgs der Studierenden“ beiträgt. Die Jury für den Hochschullehrpreis besteht aus fünf Lehrenden, fünf Studierenden und einer Vertreterin des Ministeriums. Sie haben die prämierten Projekte in diesem Jahr unter 45 Bewerbungen aus 15 Hochschulen ausgewählt.

sip