Ein Bild von China machen

TU-Student für „China-Kolleg“ ausgewählt

2021/12/21

Arthur Wei-Kang Liu studiert Philosophie und Politikwissenschaft an der TU Darmstadt. Er ist einer von 60 Stipendiatinnen und Stipendiaten, die deutschlandweit von der Studienstiftung des deutschen Volkes für das erstmals angebotene „China-Kolleg“ ausgewählt wurden. Für den Studenten, dessen Eltern aus China stammen, schießt sich damit ein Kreis.

Eigentlich absolviert Arthur Wei-Kang Liu gerade ein Auslandsjahr an der Peking University. Der Aufenthalt war lange geplant, schon bevor er den Zuschlag für das China-Kolleg erhalten hatte. Den heimischen Schreibtisch hat er aber nie verlassen. Wie so vielen hat die Corona-Pandemie ihm die Pläne durchkreuzt. Weil internationale Studierende derzeit nicht nach China einreisen dürfen, wohnt er weiter zu Hause in Groß-Gerau und belegt von hier aus an der Peking-University Online-Sprachkurse in Mandarin. Auf fast alles, was einen Auslandsaufenthalt interessant und spannend macht, muss er verzichten. Der deutsche Muttersprachler sieht dennoch das Positive: „Ich habe die Zeit genutzt, um mein Chinesisch zu verbessern.“ Auch einige Kontakte zu internationalen Kommilitoninnen und Kommilitonen sind online entstanden. Der ursprüngliche Plan, sich vor Ort in China mit chinesischer Philosophie zu befassen, ist erst mal auf Eis gelegt.

Zwischen Technik und Philosophie

Langeweile kommt trotzdem nicht auf. Denn neben dem „Auslandsaufenthalt“ studiert der 22-Jährige weiter Philosophie und Politikwissenschaft an der TU Darmstadt, mittlerweile im siebten Semester. Sein besonderes Interesse gilt der Technik- und Wissenschaftsphilosophie, daher ist es kein Zufall, dass Liu als studentische Hilfskraft am Institut für Philosophie arbeitet, wo genau zu diesen Schwerpunkten geforscht wird. In diesem Semester ist er zudem als Tutor für die Veranstaltung „Ingenieurwissenschaft und Gesellschaft„ bei den Maschinenbau-Studierenden tätig.

Schon in der Schule hatte er Spaß daran, Standpunkte herauszuarbeiten und zu hinterfragen, interessierte sich für Philosophie, Naturwissenschaften und Sprache. „Nach dem Abitur habe ich zwischen Physik, Philosophie und Germanistik geschwankt“, erzählt er. Der gute Ruf der TU hat ihn nach Darmstadt und der Rat seines Physiklehrers zunächst zur Physik geführt. Auch Physik sei eine erkenntnisgetriebene Wissenschaft, sagt Liu, er habe aber schnell gemerkt, dass ihm das Reflektieren und Hinterfragen von Standpunkten gefehlt habe und wechselte daher zu Philosophie und Politikwissenschaft, die an der TU als Joint Bachelor of Arts angeboten werden.

Förderung als Chance, etwas zurückzugeben

Unterstützung erfährt Liu von seiner Familie und verschiedenen Stipendien. Bereits als Schüler wurde er aufgrund seiner sehr guten Leistungen durch die START-Stiftung (Hertie-Stiftung) gefördert. „Das verdanke ich eigentlich meiner Oma“, verrät Liu. Sie habe von der Möglichkeit einer Förderung gehört und ihn bestärkt, sich zu bewerben. „Hat geklappt.“ Von der Oma, die in den 1990er Jahren mit ihren zwei Töchtern von China nach Deutschland auswanderte, stammt auch das Interesse an chinesischer Kalligrafie, mit der sich Liu seit Langem befasst. Ein Stipendium der Studienstiftung sichert heute seinen Lebensunterhalt. Liu betont jedoch, dass für ihn als Stipendiaten nicht nur finanzielle Aspekte im Vordergrund stehen. Vor allem die ideelle Unterstützung helfe enorm. Er ist selbst ehrenamtlich tätig und möchte so die Förderung, die er erfahren hat, an die Gesellschaft zurückgeben.

China kennenlernen, wie es wirklich ist

Als die Studienstiftung das China-Kolleg erstmals ausgeschrieben hatte, war Liu sofort elektrisiert. „Da meine Eltern beide aus China kommen, hatte ich von Kindesbeinen an einen Bezug zu dem Land. Auch die Kulturen und Sprachen sowie Künste haben mich seit jeher fasziniert.“ Für das Kolleg hat er die Arbeitsgruppe „Identitätsdiskurse im modernen China: Eine Einführung aus geisteswissenschaftlicher Perspektive“ gewählt und bleibt so seinem Interesse nach Erkenntnis treu. „Ich habe mich beworben, weil mich es immer wieder erstaunt, wie divers China eigentlich ist, es aber offenbar trotzdem eine Art ‚Wir‘-Gefühl gibt. Angefangen bei den chinesischen Sprachen, die mündlich untereinander unverständlich sind, sich jedoch eine gemeinsame Schriftsprache geteilt haben, bis hin zu den unterschiedlichen Gepflogenheiten von Nord und Süd sowie Ost und West und den damit verbundenen Kulturen“, fasst Liu zusammen. Seine Arbeitsgruppe im Kolleg werde sich außerdem mit den Identitätsangeboten beschäftigen, die in China im 20. und 21. Jahrhundert gemacht werden, so Liu weiter. Persönlich erhoffe er sich eine wissenschaftliche Perspektive auf das Thema. „Darüber hinaus wünsche ich mir, ein objektiveres Bild von China durch das Kursprogramm zu erhalten und mich mit anderen interessierten Köpfen über China auszutauschen.“

Die für den nächsten März geplante Präsenzarbeitsphase des Kollegs in Hangzhou wurde gerade wegen der aktuellen Lage und der Einreisebeschränkungen abgesagt und wird ersatzweise in Berlin stattfinden. Liu hofft jedoch weiter auf einen realen Aufenthalt vor Ort in China.

cst

Die Studienstiftung des deutschen Volkes ermöglicht mit ihrem neuen China-Kolleg Stipendiatinnen und Stipendiaten aller Fachrichtungen, sich über einen längeren Zeitraum hinweg differenziert mit der Volksrepublik China zu befassen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschäftigen sich in vier disziplinär ausgerichteten Arbeitsgruppen mit Chinas neuen Seidenstraßen, Identitätsdiskursen im modernen China, Public Health in China und Chinas Rolle in der internationalen Klimapolitik. Das Kolleg kann individuell durch Sprachkurse sowie Studien-, Forschungs- oder Praxisaufenthalte vor Ort ergänzt werden.