Wie sich Wasserflöhe gegen fleischfressende Pflanzen verteidigen

Veröffentlichung mit Beteiligung der TU Darmstadt

13.07.2022

Wasserflöhe sind nur wenige Millimeter groß. Aber sie besitzen ein ganzes Arsenal an Verteidigungen – selbst gegen angriffslustige Pflanzen.

Wasserflöhe sind Meister der Anpassung. Dass sie sich nicht nur gegen Tiere, sondern auch gegen fleischfressende Pflanzen zur Wehr setzen können, haben Forschende der Ruhr-Universität Bochum (RUB), der Technischen Universität Darmstadt und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg herausgefunden. Sie zeigten, dass Wasserflöhe in Anwesenheit der Wasserpflanze Utricularia (Wasserschlauch) langsamer schwimmen und seitliche Dornen entwickeln. Beides erschwert anscheinend das Einsaugen in die Fallen der fleischfressenden Pflanze. Die Ergebnisse beschreibt das Team um Dr. Sebastian Kruppert, Dr. Martin Horstmann und Prof. Dr. Ralph Tollrian von der RUB, Dr. Simon Poppinga von der Technischen Universität Darmstadt sowie Prof. Dr. Thomas Speck vom Botanischen Garten Freiburg in der Zeitschrift „International Journal of Molecular Sciences“ (online veröffentlicht am 9. Juni 2022).

Wasserfloh S04 aus Gelsenkirchen

Die Fallen der Wasserpflanze Utricularia werden durch Bewegungen ausgelöst. Sie saugen die Beute innerhalb von wenigen Millisekunden ein und verdauen sie. Eine Pflanze kann viele Fallen ausbilden und auch mehrere Tiere auf einmal fangen. „Dadurch entsteht ein sehr hoher Fraßdruck“, erklären Simon Poppinga und Thomas Speck. Die Forschenden der drei Universitäten wollten wissen, ob sich die wehrhaften Wasserflöhe gegen solche Angriffe durch Pflanzen verteidigen.

Sie suchten zunächst natürliche Lebensräume, in denen Pflanzen und Wasserflöhe zusammenleben. In Gelsenkirchen wurden sie fündig. Das Team isolierte mehrere Individuen aus dem Freiland und versuchte, sie im Labor zu vermehren. Wasserflöhe sind parthenogenetisch: Sie erzeugen genetisch identische Nachkommen, also Klone von sich selbst. Die klonale Linie mit der Bezeichnung „04“ ließ sich gut kultivieren. Aufgrund der geografischen Nähe zum Fußballstadion nannten die Forschenden sie S04.

Anwesenheit von Wasserpflanze lässt Fortsätze länger werden

Im Labor kultivierten die Forschenden S04 gemeinsam mit der Wasserpflanze, zunächst durch ein feines Gitter getrennt. Auf diese Weise konnten die Tiere nicht direkt mit der Pflanze in Kontakt kommen und schwebten nicht in Gefahr – sie konnten aber über chemische Botenstoffe die Anwesenheit des Fressfeinds wahrnehmen. Wasserflöhe, die so lebten, bildeten längere Fortsätze an ihrem Panzer aus und waren zudem kleiner.

Außerdem maßen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Schwimmgeschwindigkeit. Wasserflöhe, die in Anwesenheit der Pflanze lebten, bewegten sich langsamer als solche, die ohne Pflanze aufwuchsen. Hatten die Tiere die Wahl, mieden sie die Nähe zu den Wasserpflanzen. „Dies zeigt, dass die sonst genetisch identischen Tiere Verteidigungen nur aktivieren, wenn sie diese brauchen, weil sie mit den Pflanzen aufwachsen,“ sagt Sebastian Kruppert.

Verteidigte Tiere werden seltener gefressen

Dieses veränderte Verhalten und die Anpassungen im Körperbau zeigten Wirkung. Das Team verglich, wie häufig Tiere, die ohne die Pflanze aufgewachsen waren, gefressen wurden im Vergleich zu Tieren, die der Pflanze ausgesetzt waren. Tatsächlich wurden letztere seltener gefressen. „Das weist darauf hin, dass die anschaltbaren Anpassungen tatsächlich Verteidigungen gegen die Pflanze sind“, folgert Sebastian Kruppert.

„Wir gehen davon aus, dass die Fortsätze die Wasserflöhe breiter machen als den Durchmesser der Saugfalleneingänge“, schildert Martin Horstmann. „Die Fallen sind zwar unterschiedlich groß, aber zumindest von den kleineren Fallen können die Tiere dann nicht mehr gefressen werden.“ Da die verteidigten Wasserflöhe zudem schlanker sind, kann der Wassersog wohl leichter an ihnen vorbeiströmen. Hinzu kommen die langsameren Schwimmbewegungen, die die Fallen wahrscheinlich seltener triggern.

„Uns war zuvor kein anderer Fall bekannt, in dem sich Tiere gegen Angriffe von Pflanzen verteidigen können“, hebt Ralph Tollrian die Besonderheit der Entdeckung hervor. „Dass dann auch noch verschiedene Verteidigungen wie Verhaltensanpassungen und Veränderungen im Körperbau zugleich zu beobachten sind, zeigt, wie wandlungsfähig und faszinierend diese winzigen Tiere sind.“

Die Veröffentlichung

Sebastian Kruppert, Martin Horstmann, Linda C. Weiss, Elena Konopka, Nadja Kubitza, Simon Poppinga, Anna S. Westermeier, Thomas Speck, Ralph Tollrian: Facing the green threat: A water flea’s defenses against a carnivorous plant, in: „International Journal of Molecular Sciences“, 2022

DOI: 10.3390/ijms23126474

Ruhr-Universität Bochum