Schaumstoff-Reste in über 3.000 Metern Höhe
Mutmaßlich letzte Notunterkunft „Iglu“ in Peru entdeckt
14.06.2024
Eine Forschungsreise nach Peru brachte materielle und schriftliche Zeugnisse der historischen Notunterkunft „Iglu“ zutage. Rund 500 Iglus waren nach einem Erdbeben am 31. Mai 1970 in der Katastrophenzone errichtet worden. Zu dem Zeitpunkt stellten Notunterkünfte aus Schaumstoff eine technologische Innovation dar und wurden für lange Zeit weitergenutzt.
Ein Gastbeitrag von Adrian Franco, Promotionsstudent am Institut für Geschichte der TU Darmstadt
An der von Erdbeben und Tsunamis bedrohten Steilküste vor der peruanischen Hauptstadt Lima thront seit 2015 das Dokumentationszentrum Lugar de la Memoria, la Tolerancia y la Inclusión Social (LUM). An dem von der Bundesrepublik mitfinanzierten Erinnerungsort wird der Opfer und der Vertriebenen der 1980er- und 1990er-Jahre gedacht, als der bewaffnete Kampf linksextremistischer Gruppen in Peru zu einer Spirale der Gewalt geführt hatte.
Die Opfer und Vertriebenen durch Naturkatastrophen kommen am LUM nicht zur Sprache, dabei können sie zu den traurigen Präzedenzfällen in der Geschichte Perus gezählt werden: Am 31. Mai 1970 forderte ein Erdbeben Tausende Opfer und Verletzte. Im andinen Hochland löste das Beben in der Folge Geröll- und Schlammlawinen aus, die den Ort Yungay unter sich verschütteten. Die Überlebenden flohen nach Lima oder erhielten vor Ort eine Notversorgung. Noch heute wird in Yungay an die Katastrophe von 1970 erinnert: Über der verschütteten Stadt befindet sich ein Gedenkort.
Weltweite Solidarität
Das Erdbeben von 1970 löste weltweite Solidarität mit den Überlebenden aus. Humanitäre Hilfe erreichte Peru auch aus der Bundesrepublik: Die Notunterkunft „Iglu“ für die Stadt Caraz war das Ergebnis einer Zusammenarbeit . zwischen dem Chemiekonzern Bayer AG und dem Deutschen Roten Kreuz (DRK)
Eine Forschungsreise im Frühjahr 2024 konnte Archivquellen und Publikationen in Peru sichten, die von der internationalen Katastrophenhilfe zeugen. Die Forschungsreise erfolgte im Rahmen des , das von der Gerda Henkel Stiftung gefördert wird. historischen Forschungsprojektes „Build Back Better!“
Wissensaustausch mit Forschenden vor Ort
Die Forschungsreise wurde in enger Abstimmung mit dem Centro de Historia an der staatlichen Universidad Nacional de Ingeniería (UNI) in Lima durchgeführt und profitierte von dem Wissensaustausch mit Forschenden an dieser . Ohne die Unterstützung des Centro de Historia wäre der Zugang zu Archiven und Bibliotheken in Lima und in der Stadt Huaraz nur schwer möglich gewesen. technikhistorischen Forschungsstelle, die in Peru einmalig ist
Im Dialog mit Historiker:innen und Sozialwissenschaftler:innen an der UNI sowie an der und am Pontificia Universidad Católica del Perú (PUCP) ergaben sich Einblicke in die technikhistorische Forschungslandschaft: So leitet Edilberto Huamaní Huamaní am Centro de Historia der UNI eine Publikationsreihe zur Infrastrukturgeschichte Perus, etwa zum Ausbau des Eisenbahnnetzes seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Der Historiker Lizardo Alfredo Seiner Lizarraga forscht an der PUCP zum Technologietransfer zwischen der Bundesrepublik und Peru im U-Boot-Bau seit den 1950er-Jahren. Und Raul Asensio am IEP beleuchtet die technische Zusammenarbeit zwischen Spanien und Peru im Denkmalschutz, etwa beim Wiederaufbau der im Jahr 1950 vom Erdbeben versehrten UNESCO-Weltkulturerbestätte Cuzco. Instituto de Estudios Peruanos (IEP)
Lokalisierung eines der letzten Iglus
Dank der tatkräftigen Unterstützung durch Zeitzeug:innen des Erdbebens von 1970 konnte das mutmaßlich letzte Iglu in der Stadt Caraz lokalisiert und aufgesucht werden. Im andinen Hochland der Provinz Ancash gelegen, war das Schaumstoffmaterial nach mehr als einem halben Jahrhundert in Nutzung verwittert und hatte an Volumen verloren. Der Großteil der Wandfläche des Iglus war aufgebrochen und nicht mehr intakt. Die erhaltenen Fragmente aus Polyurethan stützten die verbleibenden Reste der Wand. Die Grundfläche des Iglus scheint dem Originalzustand zu entsprechen.
Fotografien des Iglus von Caraz wurden vor Ort angefertigt und als Forschungsdaten publiziert. Eine Veröffentlichung von Daten zur Geolokalisierung des Iglus befindet sich in Vorbereitung. Weitere Forschungsdaten umfassen , die den Aufbau der Iglus in Caraz festhalten. in Deutschland erhaltene Filmaufnahmen
Eine baugeschichtliche Untersuchung, eine Materialanalyse sowie eine Kartierung des Iglus erfolgten nicht. Diese Aufgaben stellen mithin Anknüpfungspunkte für zukünftige, wohl interdisziplinäre Forschungsvorhaben dar, die über das Fach Geschichte hinausreichen.
Klimabilanz einer Forschungsreise
In Anlehnung an die Empfehlungen der fällt die Klimabilanz der Archivreise problematisch aus: Der transatlantische Flug von Deutschland nach Peru und zurück veranschlagt laut einer Hochrechnung der Non-Profit-Organisation Atmosfair rund 5.403 Kilogramm CO2-Emissionen. Eine Kompensation der Flugreise soll erfolgen. Kommission für Nachhaltigkeit bei der DFG