„Wir nehmen jede Idee ernst“

HIGHEST, das Innovations- und Gründungszentrum der TU, im Porträt

10.11.2020 von

Die TU Darmstadt gehört zu den Top 10 der deutschen Gründerhochschulen und hält mittlerweile mehr als 200 Patente. Das liegt nicht nur an der Innovationskraft und dem Pioniergeist ihrer Forschenden, sondern auch an HIGHEST. Das Team des 2013 gestarteten Innovations- und Gründungszentrums verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie die Studierenden mit ihren Erfindungen in den Fokus stellt und ihnen Wege öffnet in eine optimale Verwertungsstrategie. Ein Blick in die facettenreiche Welt des Transfer- und IP-Managements.

Das TU-Start-up Wingcopter wurde von HIGHEST begleitet.

Als Tom Plümmer und Jonathan Hesselbarth 2015 beim Innovations- und Gründungszentrum HIGHEST vorstellig wurden, hatten sie ein drei Jahre altes Patent, Prototypen und eine Vision im Gepäck, um aus ihrer Technologie ein marktfähiges Produkt zu machen: eine Langstreckendrohne, die die Vorteile eines Multicopters und Flugzeugs vereint und selbst die entlegensten Orte erreicht. Eine Firma hatten sie allerdings noch nie gegründet. In der Gründungsberatung von HIGHEST stand dann zunächst einmal eine Strategiesitzung auf der Agenda, um grundlegende Fragen zu klären: Was ist der Kompass für mein Start-up? Was meine Mittel- und Langfristplanung? Wo liegen die Anwendungsfelder? Wie lässt sich das Geschäftsmodell eingrenzen?

Das Big Picture

„Egal, wann gründungsinteressierte Studierende oder Wissenschaftler zu uns kommen: Wir fangen immer mit dem Big Picture an“, erläutert HIGHEST-Geschäftsführer Harald Holzer – eine Methode, die sich für Wingcopter auszahlen sollte. Militärische Anwendungen schlossen die Gründer konsequent aus. „Das hat unser Profil klar gezogen und letztlich den Grundstein gelegt für den Erfolg, den wir heute am Markt mit unseren humanitären und kommerziellen Lösungen haben“, sagt Plümmer. Um finanziellen Spielraum zu bekommen, beantragte das Gründerteam, zu dem inzwischen auch der ehemalige Praktikant Ansgar Kadura gehörte, 2017 ein EXIST-Gründerstipendium beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Das HIGHEST-Team begleitete Wingcopter durch das komplexe Antragsverfahren, coachte bei der Entwicklung des Geschäftsmodells, sorgte für einen Berater für fachspezifische Fragen und zog regelmäßig Feedbackschleifen mit den Jungunternehmern.

Ganzheitliches Coaching

„Sie haben uns von Tag eins an unterstützt“, betont CEO Plümmer. Wingcopter ist eines von mehr als hundert technologie- und wissensbasierten Start-ups, die mit Hilfe von HIGHEST eine EXIST – Förderung bekommen haben. Mit einer Förderquote von 90 Prozent können die Beraterinnen und Berater von HIGHEST eine gute Bilanz vorweisen. Doch auch rasante Starts wie der, den Wingcopter hingelegt hat, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ein langer Weg ist von der Erfindung bis zur Ausgründung – oder auch zum Patent. Harald Holzer setzt auf beide Verwertungsstrategien, um die Innovationen aus der TU Darmstadt in die Wirtschaft und Gesellschaft zu transferieren: „Wir nehmen jede Idee ernst, wir schauen uns jeden Erfinder und Gründungsinteressierten genau an, aber wir legen niemandem ein Korsett an.“ Angefangen vom wissenschaftlichen Ergebnis und der „Grundsicherung“ der entsprechenden Intellectual Property (IP), also des geistigen Eigentums, über die Patentierung bis hin zur Gründung und Lizensierung begleitet HIGHEST seine Kundinnen und Kunden aus der Hochschule ganzheitlich.

Erkennen, Sichern, verwerten

„Erkennen, sichern, verwerten“, lautet dabei das Motto. „Die Kunst ist es, den Wert einer Erfindung zu identifizieren und daraus die richtigen Gestaltungsmöglichkeiten abzuleiten“, weiß der HIGHEST-Geschäftsführer. Hierum geht es als erstes, lange bevor an eine Gründung zu denken ist. In vielen persönlichen Treffen loten das HIGHEST-Team mit den Erfindern und Erfinderinnen die Potenziale aus – eine mehrwöchige interne Prüfung inklusive Technologie- und Marktcheck. Revolutioniert die Innovation den „State of the art“, ist sie gewerblich anwendbar und kommt es zur Patentanmeldung ist langer Atem gefragt. „Es kann Jahre dauern bis alles durchgeprüft ist“, erzählt Felix Hausch. An der TU Darmstadt ist er Professor für Biochemie. Er gehört zu den Stammkunden von HIGHEST und ist einer der Wissenschaftler, die den Markt für eine Kommerzialisierung ihrer Forschungsergebnisse immer im Blick behalten.

Patente als Leistungsindikator

Hausch ist international führend bei der Erforschung des Proteins FKBP51. Es kommt im Muskel- und Fettgewebe vor und kann Diabetes, Fettleibigkeit, chronische Schmerzen und Depressionen verursachen. Seit 2016 haben Hausch und die TU Darmstadt fünf Patente sichern lassen für Substanzen, die das schädliche Protein binden und für die Pharmaindustrie als Wirkstoffe in Frage kommen könnten. Gerade startet das Forschungsteam mit einer Anschubfinanzierung aus dem HIGHEST-Pioneer-Fund im Rücken in ein weiteres Drittmittelprojekt zur Erforschung eines Wirkstoffes gegen Adipositas und Diabetes. Das Beispiel zeigt gut den strategischen Nutzen von Patenten, die das Renommee der Forschenden in der Wissenschaftscommunity, bei Förderern und potenziellen Anwendern steigern und es zeigt auch, wie sich von Patent zu Patent der Weg weiter öffnet in Richtung einer Lizensierung, die letztlich auch die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschule steigert, die das entsprechende Patent hält.

Ohne IP-Management kein Erfolg bei der Gründung

„Ein gutes IP-Management legt auch die Basis für eine erfolgreiche Gründung“, betont Holzer. Diese Erfahrung hat auch Onur Karabey gemacht. Er ist Mitgründer von ALCAN Systems. Das 2017 gegründete Start-up ist wie Wingcopter eines der Flaggschiffe unter den Ausgründungen der TU Darmstadt. Das Produkt: smarte Antennen, die auf elektronisch steuerbaren Flüssigkristallen basieren und sich automatisch auf den Satelliten ausrichten. Die Anwendungsgebiete sind vielversprechend und breit gestreut. Karabeys Pioniergeist fiel an der TU Darmstadt bereits 2011 auf fruchtbaren Boden. Er dockte an die Grundlagenforschung seines Doktorvaters und Mentors Prof. Dr. Rolf Jakoby in der Mikrowellentechnik an, gewann den Ideenwettbewerb der TU Darmstadt und trieb die Entwicklung konsequent weiter in Richtung Anwendung. Die entscheidenden Starthilfen für die Gründung kamen auch hier von HIGHEST – über die finanzielle Förderung aus dem EXIST-Forschungstransfer, mit der Karabey den Prototypen fertigstellen und sein Gründerteam aufbauen konnte, und über den Verkauf der Patente an ALCAN Systems. „Für unsere späteren Investoren war es entscheidend, dass uns diese Patente gehören“, berichtet Karabey.

Sprungbrett von der Wissenschaft in die Märkte

Für Start-ups wie Wingcopter und ALCAN Systems ist HIGHEST ein Inkubator, in dem ihre Innovationen weiter reifen können, ein Sprungbrett in Richtung Accelerator oder in die nächste entscheidende Finanzierungsrunde nach der Seed- und Start-up-Phase und nicht zuletzt in den Markt. Für Wissenschaftler wie Felix Hausch erweist sich das kontinuierliche IP-Management, dem sich das Innovations- und Gründungszentrum verschrieben hat, als Türöffner für spätere kommerzielle Erfolge. Profitieren tun alle – von der Expertise und dem Engagement des HIGHEST-Beratungsteams und von einem über viele Jahre gewachsenes Ökosystem aus Investoren, namhaften Unternehmen, Verbänden, Acceleratoren, Hochschulen sowie Expertinnen und Experten vom Patentanwalt bis zum Manager, die bei Bedarf mit ihrem Know-How zur Verfügung stehen. “Für Erfinder und Gründer sind wir der rote Faden“, sagt Harald Holzer.

Mitarbeit: Astrid Ludwig