Erkenntnisse aus dem Untergrund

TU-Forschende werten für Geothermie-Projekt Bohrkerne aus fünf Kilometern Tiefe aus

05.01.2021 von

4900 Meter weit senkte sich vor einigen Monaten ein Bohrer des United Downs Deep Geothermal Project in den Granit unter Cornwall. Die 19 dabei gewonnenen Bohrkerne – die „tiefsten“, die jemals im Festlandsbereich von Großbritannien entnommen wurden – liegen inzwischen an der TU Darmstadt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Instituts für Angewandte Geowissenschaften untersuchen sie, um herauszufinden, wie mit dem Projekt in Cornwall nachhaltig und effizient geothermische Energie gewonnen werden kann.

Das von der EU geförderte United Downs Deep Geothermal Project (UDDGP), das zur Zeit in Cornwall entsteht, ist das erste Geothermie-Kraftwerk in Großbritannien. Die Ausgangsbedingungen sind günstig, denn das Granit-Gestein unter Cornwall produziert viel Wärme durch natürlichen, radioaktiven Zerfall von Uran, Thorium und Kalium, wie er in allen Gesteinen vorkommt. Doch um die Erdwärme nutzen zu können, muss der Boden auch gut durchlässig sein. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ihn viele Risse, sogenannte „Klüfte“, durchziehen. Nur dann lässt sich kühles Wasser in einer Injektionsbohrung einspeisen, das durch das Gestein zirkuliert und auf 180 bis 200 Grad erhitzt über eine Produktionsbohrung wieder nach oben gefördert wird und dort Turbinen und Generatoren antreibt. „Als klar war, dass dort gebohrt wird, wurden wir angefragt“, erklärt Dr. Kristian Bär vom Fachgebiet Angewandte Geothermie (geleitet von Prof. Dr. Ingo Sass) im Fachbereich Material- und Geowissenschaften, der das Projekt an der TU leitet und die Bohrkernentnahme überwachte. Zu seinen Arbeitsgebieten gehören unter anderem tiefengeothermische und petrophysikalische Reservoircharakterisierung und geothermische Machbarkeits- und Potenzialstudien.

Die Darmstädter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen bereits seit 2018 im Rahmen des EU-Projekts MEET, ob sich die Wärmereservoire in den tiefen Grundgebirgseinheiten in Europa geothermisch nutzen lassen und wie die Geothermie in Europa flächendeckend einen Beitrag zur nachhaltigen Energieversorgung leisten kann. Ihre Expertise fließt nun auch in das UDDGP-Projekt ein, das zum Demonstrator-Vorhaben im Rahmen von MEET wurde. Die Forschenden begleiten das Praxisprojekt eng von wissenschaftlich-technischer Seite und beraten bei der Ausführung.

Hydrothermale Alterationen

Die Bohrkerne, die in Cornwall aus Tiefen zwischen 4200 und 4900 Metern gewonnen wurden, werden nun in Darmstadt umfassend untersucht, auf Wärmeerzeugung, mechanische Eigenschaften, mineralogische und geochemische Zusammensetzung und daraufhin, wie geothermale Prozesse in der Vergangenheit das Gestein und seine Eigenschaften verändert haben. „Diese sogenannten ,hydrothermalen Alterationen‘ zeigen, dass in diesen Zonen in der Vergangenheit schon einmal heißes Wasser zirkuliert ist“, erklärt Bär. „Und diese Bereiche eignen sich möglicherweise besonders gut, um dort wieder Wasser für die geothermische Energiegewinnung zirkulieren zu lassen.“

Denn darum geht es beim TU-Beitrag zum UDDGP-Projekt: Herauszufinden, wie man eine ausreichend große Menge Wasser – etwa 50 bis 70 Liter pro Sekunde – nachhaltig durch das Wärme-Reservoir in der Tiefe in Umlauf bringen kann. Die Bohrkerne verraten auch, wo Klüfte im Gestein vorhanden, aber möglicherweise noch nicht ausreichend durchlässig sind. Aus dem Verhalten des Granits ziehen die Forschenden Rückschlüsse, ob und wie man die Klüfte weiter öffnen und wie der Wasserfluss sinnvoll erhöht werden kann, um die Geothermieanlage betreiben zu können. „Wir sind dafür verantwortlich, die Projektbetreiber dabei zu unterstützen das Projekt nachhaltig, effizient und umweltfreundlich zu gestalten“, sagt Bär.

In wenigen Wochen sollen in der Anlage in Cornwall die nächsten Entwicklungsschritte folgen, um die Wasserzirkulation im Reservoir zu verbessern. Wenn alles nach Plan läuft, wird die Anlage demnächst mindestens 1,5 Megawatt Elektrizität ins nationale Versorgungsnetz einspeisen und die Region mit ca. 20 Megawatt Wärmeenergie versorgen.

MEET

Das Projekt MEET (Multidisciplinary and multi-context demonstration of Enhanced Geothermal Systems exploration and Exploitation Techniques and potentials) wird im Rahmen des EU-Horizon-2020-Programms mit rund 10 Millionen Euro gefördert. Die TU ist mit knapp 2,06 Millionen Euro an dieser Fördersumme beteiligt. 16 Partner aus fünf Ländern arbeiten im Projekt MEET zusammen, das zehn Demonstrator-Vorhaben in Europa betreut.