Mit Kletterausrüstung ins Gebirge der Mathematik

Fortschritte durch gemeinsames Forschen

30.09.2021 von

Der Darmstädter Mathematiker Anton Freund gründet eine Nachwuchsgruppe von Forschenden. Er erhofft sich davon neue kreative Impulse für sein Fachgebiet Logik.

Anton Freund forscht in der Arbeitsgruppe Logik am Fachbereich Mathematik

Träfe ein Klischee über Mathematiker zu, hätte Dr. Anton Freund die kontaktarme Coronazeit kaum in seiner Berufsausübung behindern dürfen. Denn brüten Mathematiker nicht meist alleine über kniffligen Problemen? Doch auch sie brauchen den intensiven Austausch mit Fachkollegen. „Das ist unglaublich wichtig“, betont Freund, Wissenschaftler an der Arbeitsgruppe Logik der Technischen Universität Darmstadt. Denn Mathematik sei ein kreativer Prozess, der nur gemeinsam gelinge.

Die Diskussion mit Kollegen habe ihm in den letzten Monaten sehr gefehlt, sagt Freund. Umso mehr freut er sich über seine erfolgreiche Bewerbung beim Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Erlaubt sie doch dem 31-Jährigen, eine Nachwuchsgruppe von Forschenden zu leiten. „Der Austausch in der Gruppe, die ich leiten darf, wird einfach super“, zeigt sich Freund begeistert. Auch wenn ein Gespräch oft nicht direkt eine Lösung bringe. „Aber es kommt ganz oft vor, dass man nach einer Diskussion neue Ideen hat.“ Freund freut sich auch auf den Austausch mit Studierenden in den Vorlesungen, die er ab Oktober 2021 halten wird.

Logik grundlegendes Denkwerkzeug

Sein Fachgebiet, die Logik, war schon für Aristoteles ein grundlegendes Denkwerkzeug. Der antike griechische Philosoph fragte sich, wie sich neue Erkenntnisse durch logisches Schlussfolgern herleiten lassen. Von ihm stammt etwa das Schließen per Syllogismus. Von zwei Prämissen, z.B. „Menschen sind sterblich“ und „Sokrates ist ein Mensch“ lässt sich eine dritte Aussage ableiten, im Beispiel „Sokrates ist sterblich“. Aus diesen Anfängen hat sich über die Jahrhunderte ein hoch komplexes logisches Gebäude entwickelt: die mathematische Logik.

Diese beschäftigt sich mit dem mathematischen Beweisen. Mathematiker leiten ausgehend von wenigen Grundannahmen, so genannten Axiomen, viele neue Aussagen her. Ein solches Axiom lautet zum Beispiel: „Jede natürliche Zahl hat einen Nachfolger“. „Dieses Vorgehen hat sich als sehr mächtiges Instrument erwiesen“, erklärt Freund. Mathematiker dringen, wie Entdecker eines neuen Kontinents, immer weiter vor, indem sie Sätze aus Axiomen konstruieren, diese neu kombinieren, um weitere Sätze zu bauen. In der mathematischen Logik werden diese Entdeckungen auf grundlegender Ebene analysiert. Die Logik erstellt also eine Landkarte für den Kontinent der Mathematik.

Anton Freund will die mathematische Landschaft weiter auskundschaften. Wenn er die Leitfragen seiner Forschung beschreibt, gestikuliert er und in seinem Gesicht spiegelt sich die Vorfreude auf neue, aufregende Einsichten. „Welche mathematischen Axiome brauche ich, um welche mathematischen Ergebnisse zu erzielen?“, fragt er zum Beispiel. Oder: „Kann ich unterscheiden zwischen mathematischen Ergebnissen, die man mit wenigen Axiomen zeigen kann und anderen, die mehr Axiome brauchen?“

„So erhalten wir neue Methoden, um unsere zentralen Fragen zu beantworten.“

Zwar kundschaften Mathematiker die Landschaft ihres Faches schon seit vielen Jahrzehnten aus. Doch diese ist sehr vielfältig, mit Flüssen, Gebirgen und Wäldern. So geradewegs, wie man sich es als Laie vielleicht vorstellt, lässt sie sich nicht erschließen. Das prinzipielle Problem zeigte der österreichisch-amerikanische Mathematiker Kurt Gödel vor 90 Jahren. Die Mathematik als Ganzes lasse sich nie aus einem einzigen Satz von Axiomen herleiten, sagt sein „Unvollständigkeitssatz“.

Daher gibt es mehrere Systeme von Axiomen, von denen ausgehend sich verschiedene mathematische Gebiete erschließen lassen. Im Bild gesprochen: Manche Gipfel erreicht man mit Wanderschuhen, während es für andere eine Kletterausrüstung braucht. Mathematische Logiker wie Freund erforschen also, was man mindestens braucht, um an ein bestimmtes Ziel zu kommen. Sie machen Gödels allgemeine Erkenntnis konkret. Dass das allein mit Hilfe der Logik überhaupt gelingt, fasziniert Freund an seinem Fach am meisten.

Freund untersucht beispielsweise einen Satz, der nur dank eines komplexen Systems aus Axiomen zu beweisen ist. Damit passt er allerdings sozusagen nicht in seine landschaftliche Umgebung, in der Dinge leichter beweisbar sind. „Wir wissen noch nicht genau, wie dieser Graphenminorensatz zu klassifizieren ist“, erklärt Freund. Er lässt sich auf jeden Fall nur aus außergewöhnlich starken Axiomen herleiten. Aber wie stark genau müssen diese sein? Und was genau kann man mit dem Graphenminorensatz beweisen?

„Was wir tun, ist sehr abstrakt“, räumt Freund ein. „Es hat aber auch Bezüge zur Anwendung.“ Der Graphenminorensatz hilft zum Beispiel Informatikern bei der Entscheidung, ob bestimmte komplexe Algorithmen in einer annehmbaren Zeit zu einem Ergebnis kommen oder nicht. Die Erkenntnisse der Darmstädter Forscher könnten solche Methoden verbessern.

„In der Beweistheorie ist Darmstadt einer der weltweit sichtbarsten Standorte“

Damit steht Freund in einer langen Tradition der Logik an der Technischen Universität Darmstadt, denn diese habe eine stark angewandte Ausrichtung, erklärt Ulrich Kohlenbach, der seit 2004 Professor in der Darmstädter Logikgruppe und dessen Mitarbeiter Anton Freund ist. „In der Beweistheorie ist Darmstadt einer der weltweit sichtbarsten Standorte“, sagt der Mathematiker. „Wir sind bekannt dafür, die mathematische Logik auf Beweise in der Mathematik und auch auf die Informatik anzuwenden.“ Die Wurzeln reichen Jahrzehnte zurück. Pioniere der künstlichen Intelligenz, etwa der Informatiker Wolfgang Bibel und der Mathematiker Rudolf Wille haben in Darmstadt gewirkt. Insbesondere auf Wille, der ab 1970 Professor in Darmstadt war und Klaus Keimel (ab 1971 in Darmstadt), gehe die hiesige Arbeitsgruppe Logik zurück, erklärt Kohlenbach.

Verbindungen zur Informatik gebe es auch in der Lehre, sagt Kohlenbach. „Logiknahe Vorlesungen für Informatik werden in Darmstadt traditionell von Mathematikern gehalten“. Oft seien ein Drittel der Teilnehmenden in den Logikvorlesungen Informatik-Studierende. Vielleicht auch in der Vorlesung, die Anton Freund ab Herbst halten wird.

Darüber hinaus wird er sich mit zwei Promovierenden seinen Forschungsfragen widmen. „Ein kleines Team zu leiten ist eine Möglichkeit, die man sonst auf meiner Karrierestufe noch nicht hat“, freut sich Freund. Vom gemeinsamen Forschen erhofft er sich wesentliche Fortschritte. „Wir wollen zwei Forschungsgebiete miteinander verbinden“, erklärt der Mathematiker. „So erhalten wir neue Methoden, um unsere zentralen Fragen zu beantworten“, sagt er. Unter anderem wird es dabei auch um den oben genannten Graphenminorensatz gehen. Er freut sich auf die Gruppenerfahrung: „Die Promovierenden werden zwar von mir lernen, aber auch ihre eigenen Ideen einbringen“, sagt Freund. „Der gemeinsame kreative Prozess wird sehr spannend.“ Vielleicht entdecken die jungen Forschenden ja eine ganz neue Landschaft auf dem Kontinent der Mathematik.

Publikation

Anton Freund, Pi^1_1-comprehension as a well-ordering principle, in Advances in Mathematics 355, 2019, article no. 106767, 65 pp.

https://doi.org/10.1016/j.aim.2019.106767

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