„Endlich wieder Universitätsleben“

Dr. Muharrem Aktas forscht als Stipendiat der Philipp Schwartz-Initiative

2021/01/01 von

Der türkische Wissenschaftler Dr. Muharrem Aktas wird ab dem Wintersemester 2020/21 als Stipendiat der Philipp Schwartz-Initiative an der TU Darmstadt forschen. Sein Spezialgebiet wird das mechanische Verhalten laminierter Papierbauteile sein. Der 46-jährige Bauingenieur floh 2018 aus Sakarya nach Deutschland.

Dr. Muharrem Aktas forscht ab kommenden Wintersemester an der TU.

„Endlich wieder auf einem Campus arbeiten. Endlich wieder Universitätsleben.“ Zwei Sätze, mit denen Muharrem Aktas beschreibt, was er fühlte, als er das erste Mal mit seinem Mentor, TU-Professor Jens Schneider, die Labore und Einrichtungen des Institutes für Statik und Konstruktion auf der Lichtwiese betrat. Die Aussicht, bald wieder zu forschen und später vielleicht auch wieder einmal Studierende unterrichten zu können, macht ihn glücklich. Muharrem Aktas kann den Start des neuen Semesters kaum erwarten.

Auf seine wissenschaftliche Arbeit hat der Familienvater fast vier Jahre verzichten müssen. Aktas war Associate Professor an der Sakarya Universität in der Türkei, bevor er in Folge des Militärputsches inhaftiert wurde. Vor zwei Jahren floh er mit seiner Familie über das Mittelmeer nach Deutschland. Die Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung hilft verfolgten Wissenschaftlern wie Muharrem Aktas wieder Fuß zu fassen.

3000 Akademiker und Akademikerinnen im Visier

In seinem Heimatland hätte der Bauingenieur nicht mehr arbeiten können. Wie fast 3000 Akademiker und Akademikerinnen landesweit geriet er nach dem Putschversuch 2016 ins Visier von Ermittlungen, seine Wohnung wurde durchsucht und er gemeinsam mit 24 anderen Professoren der Universität verhaftet. Ein traumatisches Erlebnis. 17 Monate war er im Gefängnis, dabei 12 Monate ohne Gerichtsverhandlung oder Kenntnis, was ihm vorgeworfen wird.

Als er endlich entlassen wurde, stand er ohne Arbeit da. Die Universität hatte ihm schon kurz nach dem Putschversuch gekündigt. Die Chancen, wieder eine Stelle zu finden, waren gering. Aktas jüngster Sohn ist Autist. Er war vier Monate, als sein Vater inhaftiert wurde, zwei Jahre alt, als dieser aus dem Gefängnis zurückkam. „Eine Therapie wäre in der Türkei sehr teuer gewesen“, erzählt Aktas. Ohne Job jedoch unbezahlbar. Hinzu kam die Angst vor einer erneuten Inhaftierung. 2018 entschließt sich die Familie daher, das Land zu verlassen.

Ein Leben ohne Lehre und Forschung? Für Muharrem Aktas undenkbar. Mit Hilfe der Philipp Schwartz-Initiative ist das nun wieder möglich. „Ich liebe es, Studierende zu unterrichten“, erzählt der Bauingenieur, der nach seinem Studium in Ankara seinen Doktor an der University of Pittsburgh machte und dort als Teaching Assistent bis 2004 tätig war. An der Sakarya Universität, wohin er nach seiner Rückkehr aus den USA wechselte, erhielt er 2014 sogar die Auszeichnung als „best professor in teaching“. Aktas hofft, vielleicht auch an der TU später einmal wieder in die Lehre einsteigen zu können. Zunächst jedoch, berichtet er, wird er sich in Darmstadt auf die Forschung konzentrieren.

Ich liebe es, Studierende zu unterrichten.

Der türkische Wissenschaftler ist der 5. Stipendiat der Philipp Schwartz-Initiative an der TU Darmstadt. Betreut wird die Initiative an der TU von Aaron Szczerba, zuständig für die Koordination, Flüchtlingsintegration und Scholars at Risk im Dezernat Internationales der Technischen Universität. Szczerba beschreibt das Bewerbungsverfahren für das zweijährige Stipendium als durchaus anspruchsvoll. Verliehen werde es an herausragende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Ein Mentor muss den Kandidaten oder die Kandidatin vorschlagen.

In Muharrem Aktas Fall war das Prof. Jens Schneider. Prof. Schneider lobt den wissenschaftlichen Werdegang, die Leistungen und Veröffentlichungen seines türkischen Kollegen als sehr gut. Im Bauwesen forschte und lehrte Aktas an der Schnittstelle zwischen experimenteller Arbeit und numerischer Simulation von Materialien, Bauteilen und Bauwerken, insbesondere in der Baustatik und Baudynamik. Ein Fachgebiet etwa ist das erdbebensichere Bauen.

An der TU Darmstadt wird sich der Stipendiat mit einem neuen anspruchsvollen Forschungsfeld befassen – mit laminierten Papierbauteilen. Papier gilt als neuentdecktes, nachhaltiges Baumaterial. Aktas Forschungsvorhaben nutzt mechanische Experimente zur Materialcharakterisierung. Darauf aufbauend soll ein Materialmodell entwickelt werden, das in der Lage ist, das mechanische Verhalten und auch Versagen von laminierten Papierbauteilen zu bewerten und vorherzusagen. Eine Forschung mit hohem wissenschaftlichen Potzenial, von dem auch die TU profitiert.

Für Muharrem Aktas ist der Neustart an der TU Darmstadt mehr als reine Karriere: Er schöpft wieder Selbstvertrauen. “Es ist ein neues Leben“, betont er. Der Forscher hat nicht nur einen neuen wissenschaftlichen Anker gefunden, sein autistischer Sohn ist mittlerweile auch in einem integrativen Kindergarten untergekommem. “Wir fühlen uns sehr gut aufgenommen”, sagt Muharrem Aktas.

Die Initiative

Die Philipp Schwartz-Initiative wurde von der Alexander von Humboldt-Stiftung gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt ins Leben gerufen und ermöglicht Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Deutschland die Verleihung von Stipendien für Forschungsaufenthalte an gefährdete Forscherinnen und Forscher. Finanziert wird diese Initiative durch das Auswärtige Amt, die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die Andrew W. Mellon Foundation, die Fritz Thyssen Stiftung, die Gerda Henkel Stiftung, die Klaus Tschira Stiftung, die Robert Bosch Stiftung, den Stifterverband sowie die Stiftung Mercator.

Kontakt

Aaron Szczerba, Koordination Flüchtlingsintegration & Scholars at Risk an der TU Darmstadt

06151 16-29987

www.tu-darmstadt.de/scholars-at-risk

Bewerbungen im Rahmen der 8. Ausschreibungsrunde der Initiative sind noch bis Anfang September möglich. Die Förderung umfasst 24 Monate.