Großbritannien verlässt das Erasmus+-Programm

TU Darmstadt sucht nach neuen Wegen für den Austausch

02.02.2021

Großbritannien steigt nicht nur aus der EU aus, sondern überraschend auch aus dem Erasmus+-Programm. Die TU Darmstadt hat rechtzeitig eigene Abkommen mit ihren Partneruniversitäten auf der Insel ausgehandelt, damit der Austausch der Studierenden weitergehen kann.

Die University of Warwick ist eine britische Partneruniversität der TU.

Der Ausstieg der Briten aus dem europäischen Austausch-Programm hat für Regina Sonntag-Krupp nicht nur eine akademische, sondern auch eine ideelle Komponente. Traditionell, sagt die Leiterin des Dezernates Internationales an der TU Darmstadt, zog es zwar immer schon mehr deutsche Studierende ins Königreich als Briten nach Deutschland. Dieser Trend und das Inseldenken werde sich durch den Rückzug aus Erasmus+ aber vermutlich weiter verstärken. „Künftig werden noch weniger britische Studierende in die EU kommen. Das ist schade. Es geht viel Weltwissen und Weltoffenheit verloren“, bedauert sie.

Regina Sonntag-Krupp engagiert sich seit vielen Jahren für den Austausch von Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Sie hat selbst lange im Ausland gelebt und gearbeitet, unter anderem in Afrika. In ihrem direkten Arbeitsumfeld hat der Brexit bereits Spuren hinterlassen. Eine englische Kollegin besitzt nun neben der britischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft, damit sie weiter wie bisher an der TU Darmstadt arbeiten kann. Unlängst haben zwei englische Post-Docs die Technische Universität in Richtung Heimat verlassen, während europäische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Insel den Rücken kehren. Auch für die zehn britischen Doktorandinnen und Doktoranden, Postdocs und Gastforschende an der TU muss nun der Aufenthaltsstatus überarbeitet werden.

Eine Zäsur in der britisch-deutschen Zusammenarbeit

Der Ausstieg der Briten bei Erasmus kommt überraschend und trifft deutsche wie britische Hochschulen gleichermaßen.1987 war das Programm aus der Taufe gehoben worden, Großbritannien zählte damals selbst zu einem der Gründungsmitglieder. Heute ist der europäische Austausch mit 450 Millionen Euro jährlich das weltweit größte Förderprogramm von Auslandsaufenthalten an Universitäten. Unter dem Titel Erasmus+ bündelt es zudem schulische und berufliche Bildungsprogramme.

Eine Teilnahme, das zeigen die Beispiele Norwegen oder Türkei, wäre auch nach dem Brexit möglich gewesen. Im März 2020 hatte die UUKi, (Universities UK International – die Dachorganisation britischer Hochschulen), vorgerechnet, dass den Universitäten im Königreich durch einen Ausstieg aus dem Erasmus-Programm jährliche europäische Fördergelder in dreistelliger Millionenhöhe verloren gehen würden. Die britische Regierung begründet den Ausstieg jedoch mit zu hohen Kosten. Sie hat ein nationales Stipendienprogramm angekündigt, das den Namen Alan Turings trägt.

Die deutsche Hochschulrektorenkonferenz (HRK) bezeichnet den Rückzug als „Fehler“ und Zäsur in der traditionell engen deutsch-britischen Zusammenarbeit. „Wissenschaft lebt von Begegnungen, Austausch und Diversität schon auf der Ebene der Studierenden“, so die HRK. Großbritannien zähle zu den wichtigsten Zielländern deutscher Studierender. 2018 studierten rund 15.300 Deutsche und arbeiteten fast 6.000 deutsche Wissenschaftler an britischen Unis.

Austauschzahlen wegen Corona derzeit gering

An der TU Darmstadt wechseln bisher jedes Jahr zwischen 13 bis 20 Erasmus-Studierende für ein Auslandssemester auf die Insel, ein Trend, der wegen Brexit und Corona jedoch zuletzt rückläufig war. Im International Office der TU Darmstadt spüren Referatsleiterin Jana Freihöfer und ihre Kollegin Sabine Roos die Folgen von EU-Ausstieg und Pandemie schon länger. Nicht nur auf Darmstädter, auch auf britischer Seite sind die Austauschzahlen zuletzt abgestürzt. Besuchten 2013 noch sieben britische Studierende die TU, so kommen heute gar keine mehr. Wegen hoher Studiengebühren war der Austausch mit dem Königreich ohnehin immer etwas schwieriger als mit anderen europäischen Partnern, sagt Dezernatsleiterin Sonntag-Krupp. „Britische Studierende gehen fast gar nicht ins Ausland“, berichtet auch Sabine Roos, Erasmus+-Koordinatorin und Referentin für strategische Partnerschaften an der TU. Diese Immobilität und die notwendige Befreiung von den hohen Studiengebühren britischer Unis erschwerten häufig die Suche nach Partnern und Austauschplätzen.

Mit dem Rückzug Großbritannien aus Erasmus+ wird es nicht einfacher: Bisher waren Erasmus-Studierende auf der Insel von Studiengebühren befreit, künftig müssen Europäer dort mit den Studiengebühren für internationale Studierende rechnen, den doppelt so hohen „overseas fees“. Die TU Darmstadt hat vorsorglich mit ihren Partnerunis in England, Schottland und Wales Post-Brexit-Deals abgeschlossen. Diese sehen unter anderem vor, dass TU-Studierende auch weiterhin von Studiengebühren befreit sind. Aktuell unterhält die TU Partnerschaften mit den Universitäten von Warwick, Bristol, Herfortshire und Leicester sowie der Aberystwyth-University und der schottischen Heriot-Watt-University.

An neuen Lösungen wird gearbeitet

„Wir wollen bei Studierendenaustausch und Forschungskooperationen am Ball bleiben“, sagt Professor Jens Schneider, Vizepräsident für Transfer und Internationalisierung. Die TU forciert ihre Internationalisierung, ist Mitglied im europäischen Uninetzwerk UNITE! und unterhält etliche Forschungsverbünde mit britischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, etwa in der Cyber-Security, im Maschinenbau und den Materialwissenschaften. „Die Bereitschaft zur Kooperation ist auf beiden Seiten weiterhin sehr groß“, betont Schneider. Der Vizepräsident der TU spricht von einem „Verlust und Bruch in der Studierenden-Mobilität“. Das Ende der Förderung richte Schaden an; Großbritannien sei bei TU-Angehörigen wegen der Sprache und dem Renommee der Hochschulen beliebt.

Die TU Darmstadt sucht derzeit nach englischsprachigen Alternativen für ihren Studierendenaustausch. „Wir bemühen uns um neue Lösungen für unsere Studierenden“, sagt Schneider. So will sich die Universität jetzt in Schottland und Wales verstärkt nach Kooperationsmöglichkeiten umsehen. Die Schotten wären gerne in der EU und im Erasmus-Programm geblieben. „Sie denken sehr viel europäischer“, weiß Dezernatsleiterin Sonntag-Krupp. Die Zahl der Austauschplätze war dort immer höher.

Bis 2023 ist noch Zeit. Solange laufen alle Erasmus-Projekte weiter, die 2019/2020 noch eine Förderung bekommen haben, teilt der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) mit. Wegen der Corona-Pandemie wurde sie um zwölf Monate verlängert. Mit dem Brexit gelten für Studierenden jedoch seit dem 1. Januar 2021 schon Änderungen: Wer beispielsweise länger als sechs Monate im Vereinten Königreich bleibt, muss ein Studierenden-Visum beantragen. Das kostet mehrere hundert Pfund, ebenso wie der verpflichtende Antrag auf Zugang zum öffentlichen Gesundheitsdienst. Die DAAD-Außenstelle in London rechnet zwar damit, dass britische Unis weiterhin Interesse an europäischen Studenten haben und vermehrt Stipendien anbieten werden. Aber an den Umfang des Erasmus-Programms wird das nicht heranreichen.

alu