Die Handwerklichkeit von Kunst und der Umgang mit unterschiedlicher Materialität verbindet die ausgewählten Arbeiten. Sie machen den Ausstellungsraum atmosphärisch und ästhetisch auf überraschende Weise erfahrbar. Das Rahmenprogramm wird durch Performances ergänzt, die für einen Abend realisiert werden.
Nach dem Erfolg von RADAR I im Herbst 2018 gibt das Kunstforum der TU Darmstadt erneut jungen Kunststudierenden die Möglichkeit, ihre Arbeiten – zum Teil erstmals außerhalb der Kunsthochschule – zu präsentieren. International ist die Ausstellung dieses Mal geworden und künstlerisch durch Musik, Sound und Performances erweitert.
Kuratiert von Julia Reichelt vereint sie Werke von acht Künstler*innen, die sich vielschichtig und sehr individuell mit existentiellen Fragen beschäftigen, in denen immer wieder die aktuell brennenden Fragen unserer Gesellschaft integriert sind: Das Verhältnis zur Natur, zur Digitalisierung, das Verhältnis untereinander – und nicht zuletzt zu sich selbst.
Der wie ein creator mundi mit den Elementen wie Erde, Holz und Feuer arbeitende Kevin Michalski von der Kunstschule Mainz zeigt in seiner monumentalen Arbeit, die er bewusst ohne Titel lässt, wie kühn und raumfüllend er mit großen Formaten umgeht. „Ich wollte das einfachste Material nehmen, das es gibt.“ Erde ist bislang immer sein Ausgangspunkt. Der Prozess des Schaffens, der kräftezehrend und lang ist, wird von ihm bewusst durchlebt. „Man kommt der Existenz nah“. Was entsteht – und das können Sie hier erleben –, ist ein Monolith, der Ruhe ausstrahlt. Bewusst keine „Konzept-Arbeit“, die eine zusätzliche Bedeutungsebene vorgibt, sondern offen gelassen für vielerlei Assoziationen. „Die Kunst durch den Körper spüren, synästhetisch.“ So beschreibt er, um was es ihm geht. Wann wird Skulptur zu Raum? Wann eine Performance zur Installation? Seine Arbeit changiert zwischen den einzelnen Gattungen und berührt nicht zuletzt durch seine Unmittelbarkeit.
Langsam und bedacht entstehen auch die Arbeiten der isländisch-dänischen Sóley Ragnarsdóttir (Städelschule Frankfurt). Auch bei ihr gibt es die Auseinandersetzung mit Materialität – jedoch immer im Spannungsfeld von künstlich-toxischen Elementen und natürlich-unbehandelten Elementen. Sie nutzt Naturmaterialien wie Sonnenblumenkerne oder Holz, jedoch auch künstliche oder giftige Elemente wie Epoxidharz, Acryl oder Plastikperlen. Nah an der Natur sein und gleichzeitig weit davon entfernt. Spannungen werden ausgelotet, konkret und abstrakt, linear und skulptural. An das amerikanische Pattern and Decoration movement der 1970er/80er Jahre oder auch an Jugendstilformen erinnern die feinen Linien in ihren Bildern. In oft monatelanger Arbeit entstehen ihre skulpturalen Gemälde. „To slow down“ – die Arbeit zu verlangsamen ist ihr wichtig und auch als politisches Statement zu verstehen. So erreicht sie letztlich auch die meditative Qualität ihrer Arbeiten, die eine Leichtigkeit und Serenität ausstrahlen. Für die Katalogbroschüre hat sie ein Zitat der amerikanischen Künstlerin Agnes Martin herausgesucht, dass die Stimmung in Sóley Ragnarsdóttirs Arbeiten so gut beschreibt: „I believe in living above the line. Above the line is happiness and love, you know. Below the line is all sadness and destruction and unhappiness. And I don’t go down below the line for anything.‟
Saya Schulzen, Studentin der Hochschule für Gestaltung Offenbach, nutzt das Material Ton für die Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie. In „By the time my father brought the hand-woven carpet into our 60m² home, my familys’ issues could no longer be swept under the rug“ versucht sie einen Teppich ihrer Jugend wiederherzustellen und gleichzeitig, Erinnerungen zu verarbeiten oder aufzuarbeiten. Der „Teppich“ aus Ton besteht aus vielen Einzelteilen, wie Erinnerungen oder Situationen im Leben. Erst durch die korrekte Zusammensetzung ergibt sich ein Bild. Ein gewebter Teppich lässt sich rollen oder falten, er geht nicht kaputt und lässt sich betreten. Ein Bodenbelag aus Ton zerbricht leicht, ist fragil – wie die Erinnerung und damit verbundenen Emotionen. „Meine Arbeiten erzählen von der Erforschung meiner Wurzeln, wobei es nicht immer um Ethnizität geht, jedoch beständig um Zugehörigkeit und Abgrenzung, um Diversität. Meine Plastiken und Bilder sind von Kerben, Punkten, Details durchsetzt. Ich arbeite mit kleinem, feinem Werkzeug und so ergibt sich ein sukzessiver Arbeitsprozess. Dieses entschleunigte Schöpfen erlaubt es mir, Traum und Realität, Erinnerung und Imaginiertes verschmelzen zu lassen. Über meine abstrakteren Plastiken will ich existenzialistische Fragestellungen mittels organischer Formensprache ergründen. In meinen Zeichnungen beabsichtige ich, die Mehrdimensionalität der Psyche zu durchdringen.“
Immanuel Birkert (Städelschule Frankfurt) nutzt den Werkstoff Keramik für seine extra für die Ausstellung geschaffene Serie „Night Is Falling And I’m Blind And Wake“: Er kreiert ein Vasenobjekt, das lebendige Züge erhält – platziert als einladendes Entrée in einer leeren Nische des Foyers Altes Hauptgebäude. Es ist der Auftakt in die Ausstellung und macht aus dem großzügigen Eingangsbereich einen Raum für die Kunst. In der dazu gehörigen Zeichnung hier im Kunstforum gerät dieses Vasen-Wesen in eine surreale Szenerie. Die Begeisterung für die deutsche Frühromantik und den Jenaer Kreis um Tieck, Wackenroder und Karoline Günderrode inspirieren Immanuel Birkert. Das Manifest der neuen „Kunstreligion“, die „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" von 1797 begleitet ihn seit seiner Jugend. Deren „Phantasien über die Kunst, für Freunde der Kunst“ hat er im letzten Jahr sogar umgeschrieben und auf die heutige Zeit bezogen. So wird der Besuch des Frankfurter Technoclubs Tanzhaus West mit ihren im Rausch verzückten Tänzern zur schwärmerisch geschriebenen Allegorie über das Wesen der Musik – und zur Inspirationsquelle für die beiden hier ausgestellten Werke.
Auch die Ölgemälde von Štěpán Brož (Faculty of Fine Arts, Brno) entführen in eine andere Welt. Um den Kampf des Lebens in der spätkapitalistischen Gesellschaft zu überleben, untersucht er den winzigen Überlappungsraum zwischen dem magischen Feld des Humors und dem Ernst, der mit einer möglichen Vorstellung von romantischer Erhabenheit einhergeht. Seine Bilder erzählen von vergangenen Zeiten und sind gleichzeitig postapokalyptische Zukunftsvision. Der Künstler beschreibt das so: „Weit weg in einem fernen Land, wenn man die nebligen Berge und die tiefen verzauberten Wälder durchquert, liegt ein Ort, der von allen möglichen Kreaturen bewohnt wird. Einst gab es vielleicht ein Land, vielleicht sogar einen Staat mit Bürokratie und entwickelter Industrie. Jetzt krabbelt nur noch Moos über rostige Rohre und alte Lindenbäume bedecken die Ruinen einst monumentaler Betonbauten. Zuerst verhielten sich die Einheimischen zaghaft. Aber als sie vorsichtig ihre Unterkünfte, das wilde Unkraut und die Stämme gewachsener Bäume verließen, sahen sie, dass es nichts zu befürchten gab. Und seitdem versammeln sie sich immer noch häufig im Kreis und schlemmen bis zu den ersten Sonnenstrahlen am Morgen. Manchmal hört man sie Drehleier spielen, manchmal hört man nur das Laubsäuseln im milden Wind und fröhliche Plaudereien in der Nacht über das grüne Land murmeln.“
Auch Zoé Mahlau von der Hochschule für Gestaltung Offenbach untersucht in ihren musikalischen Performances innere „Gefühlswelten“ durch das Zusammenspiel musikalischer und elektronischer Klänge. Sie hat am Freitag, 14. Februar und am Sonntag, 29. März 18 Uhr die Ausstellung gemeinsam mit Dominik Schmitt (Hochschule Darmstadt Fachbereich Gestaltung) mit einer Klangperformance von Zither im Zusammenspiel mit elektronischen Klängen bereichert und musikalische und emotionale Stimmungen untersucht.
Innere Prozesse durch die objektive Ebene der Sprache will Carla Vollmers, Studentin der Hochschule für Gestaltung Offenbach, in ihren Performances sichtbar machen. Sie interessiert das „inszenierte Unterbewusstsein“. Dies wird am Freitag, 13. März 18 Uhr auch im TU Kunstforum der Fall sein, wenn sie ihr Happening „Tell me a truth about truth“ (2020) präsentiert. Das kleine, aber feine Atelier Münch & Ruhland am Herrngarten wurde als zusätzlicher Ausstellungsraum gewonnen. Dort wird Max Brücks mehrteilige interaktive Installation „Heizwerk“ (2019) zu sehen sein – eine Auseinandersetzung mit der Konsumgesellschaft und dem gesellschaftlichen Massenphänomen des Selbermachens. Auch Max Brück setzt sich mit der heutigen Überflussgesellschaft auseinander und geht der Frage nach, warum sich gerade in digitalen Zeiten viele Menschen wieder auf die Arbeit mit ihren Händen besinnen. Das Reparieren oder Restaurieren der Do-it-yourself-Gesellschaft scheint nicht mehr aus einer Notwendigkeit, sondern viel mehr aus einer Art Sehnsucht zu entstehen. Dieser Sehnsucht geht er in „Heizkraftwerk“ nach.
Was hier im Kunstforum bei RADAR II passiert ist eine Kunst, die die Sinne anspricht. Der Prozess des Erschaffens wird bewusst wahrgenommen und spürbar. Gerade in unserer technologisierten Welt fehlt oftmals das Einfache, Lebendige, die Welt mit allen Sinnen zu spüren. Die Sehnsucht danach könnte ein verbindendes Element der so unterschiedlichen Positionen in RADAR II sein.
„Das Gefühl geerdet zu sein, kann man nicht unterschätzen.“ (Kevin Michalski)
Mit: Max Brück, Zoé Mahlau, Saya Schulzen und Carla Vollmers (Hochschule für Gestaltung Offenbach), Kevin Michalski (Kunsthochschule Mainz), Immanuel Birkert und Sóley Ragnarsdóttir (Städelschule Frankfurt) und Štěpán Brož (Brno University of Technology, Faculty of Fine Arts, Tschechien).