Der Titel ATMEN ist paradox: Jemand zu etwas aufzufordern, was er sowieso tut. So verordnet ein Schild, sich einmal rein auf das Wesentliche zu konzentrieren – zu »atmen«. Mehr als vierzig solcher »Anweisungen« werden im Stadtgebiet zu entdecken sein. Sie sind Teil der Kunstaktionen des Hamburger Künstlers Matthias Berthold. Sie laden ein zum Experimentieren und Erfahrungen sammeln, zum Entdecken von Freiräumen.
Schilder sind im öffentlichen Raum omnipräsent mit ihren Aufforderungen oder Verboten. Dies konterkariert Berthold in seinen Instruktionen, die wie herkömmliche Straßenschilder wirken und die er seit zwanzig Jahren entwickelt. Sie animieren zu Selbstversuchen und zu scheinbar unsinnigem Handeln. Die Wirksamkeit und die Möglichkeiten von Wörtern findet sich auch in seinem rund zehn Meter hohen Fassadenkunstwerk der neuen Energiezentrale auf der Lichtwiese in Darmstadt (»Wortfeld«, 2019). Es besteht aus 39 Beziehungswörtern, die beim Betrachten Assoziationen auslösen ohne diese greifbar machen zu können. Sie schweben auf der Fläche, schwerelos, von ihrer Syntax befreit. »Es sind Anfänge von Bedeutungen, die letztlich aber offen bleiben.« (Matthias Berthold). Ein Spiel um Sinnsuche und Sinnfindung entsteht. Ein zweites »Wortfeld«, besser »Buchstabenfeld« wird auf einer der Fahnen am Alten Hauptgebäude der TU Darmstadt zu finden sein.
Konkret »handhabbar« werden Bertholds Texte auch durch die Glückskekse, die Teil der Kunstaktionen sind. Sie sind »Kunstwerk« und Werbung zugleich. Im Inneren dieses kleinen knusprigen Gebäcks, dass aus asiatischen Restaurants bekannt ist, verbirgt sich ein kleiner Zettel, wie eine Verheißung. Anders als bei den Schildern im öffentlichen Raum, die weithin sichtbar ihren festen Standort und eine vermeintliche Autorität haben, sind die Glückskekse kleine, persönliche Überraschungen.
Ein umfangreiches Rahmenprogramm ist Teil der Kunstaktionen von Matthias Berthold, so zum Beispiel seine experimentellen »Windwanderungen« oder die partizipative Aufführung des Konzerts »In C« von Terry Riley, ein Klassiker der Minimal Musik, das auf einem Notenfeld basiert, eine Kooperation mit dem Orchester der TU Darmstadt.