Papierkram ohne Plastik

Chemie-Start-up-Projekt CeraSleeve® will Papierherstellung revolutionieren

06.07.2023 von

Papier und Karton gehören in die blaue Tonne. Die Deutschen sammeln und trennen ihren Müll vorbildlich. Rund 80 Prozent des Altpapiers wird recycelt. Seit Plastik verpönt ist, werden zunehmend mehr Papiertüten und Papierverpackungen verwendet. Es sind oftmals nassfeste und wasserabweisende Papiere, die eine gewisse Reißfestigkeit garantieren, wenn die Milch dann doch mal ausläuft. Diese sogenannten Verbundpapiere aber bereiten den Recyclinghöfen Probleme. Entweder ist ihnen Kunststoff beigemischt oder sie sind mit Plastikfolie bezogen. Die Folge: Das Papier, das Plastikprodukte eigentlich umweltverträglich ersetzen soll, kann nicht sortenrein aussortiert werden, landet auf dem Müll und wird letztendlich verbrannt. Das TU- Start-up-Projekt CeraSleeve® schafft jetzt mit einer völlig neuen Technologie Abhilfe.

CeraSleeve® – Pioniere der naturbasierten Papierveredelung: Dr. Nicole Rath, Augustin Coreth, MBA und Dr. Mathias Stanzel (v.re.n.li.)

Darmstadt. Campus Lichtwiese der Technischen Universität. Standort der natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fachbereiche. Moderne Forschungsbauten, viel Glas, viel Stahl. Im L2-Gebäude ist die Chemie untergebracht. Im vierten Stock, in der Makromolekularen Chemie, forschen Nicole Rath und Mathias Stanzel. Die beiden promovierten Chemiker arbeiten daran, sogenannte nassfeste und wasserabweisende Papiere recyclingfähig herzustellen.

„Mit unserer patentierten und kreislauffähigen Materialinnovation CeraSleeve® können wir Papier mit einer leicht verfügbaren, kostengünstigen und völlig unbedenklichen Substanz wasserabweisend und nassfest machen“, erzählt Mathias Stanzel. CeraSleeve® ist ein Beschichtungsverfahren, das Silica verwendet, vereinfacht gesagt, Sand.

„Wir statten das Papier mit einer hauchdünnen Silicaschicht aus und ersetzen so die fossilen Rohstoffe, aus denen die herkömmlichen Nassfestmittel und Polyethylenfolien produziert werden“, ergänzt Nicole Rath. Das so hergestellte Papier ist nachgewiesenermaßen recyclingfähig; die Cellulosefasern können vollständig zurückgewonnen werden. Der Clou: Jede Papiersorte kann durch CeraSleeve® veredelt werden.

Innovation durch Forschung

Systematische Analyse, übergreifendes Denken: Dr. Mathias Stanzel und Dr. Nicole Rath entwickeln mit ihrer patentierten Materialinnovation CeraSleeve® eine Anwendungsmöglichkeit für ihre Forschungs­ergebnisse.
Systematische Analyse, übergreifendes Denken: Dr. Mathias Stanzel und Dr. Nicole Rath entwickeln mit ihrer patentierten Materialinnovation CeraSleeve® eine Anwendungsmöglichkeit für ihre Forschungs­ergebnisse.

Angefangen hat alles mit der Doktorarbeit von Nicole Rath. Dafür forschte sie im Labor von Professorin Dr. Annette Andrieu-Brunsen und Professor Dr. Markus Biesalski vom Institut für Makromolekulare Chemie. Bei einem ihrer Experimente machte die junge Wissenschaftlerin eine zufällige Entdeckung.

„Ein kontra-intuitives Ergebnis“, konstatiert Nicole Rath trocken. Eigentlich wollte sie eine stabile Membran aus Silica herstellen. Dabei entdeckte sie einen Nebeneffekt, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Das Papier, das sie mit Silica beschichtete, wurde wasserabweisend. „Mir war nicht gleich klar, dass das etwas ganz Besonderes ist“, erinnert sich die Chemikerin.

Auch ihre Doktormutter vermutete zunächst einen Verfahrensfehler. „Professorin Andrieu-Brunsen ließ mich den Versuch fünf oder sechs Mal wiederholen, weil auch sie nicht glauben konnte, dass diese Methode wasserabweisendes Papier erzielt.“ Es blieb dabei: Der Effekt funktionierte immer. Eine Materialinnovation war geboren.

Kleine Ursache – große Wirkung

Mit Grundlagenforschung Innovationen schaffen: Nicole Rath machte aus ihrer Entdeckung eine anwendungsorientierte Technologie.
Mit Grundlagenforschung Innovationen schaffen: Nicole Rath machte aus ihrer Entdeckung eine anwendungsorientierte Technologie.

Mit der Produktion von Papier hatte sich Nicole Rath bis dahin nie beschäftigt. „Ich bin Chemikerin und komme aus der Grundlagenforschung.“ Doch das Potenzial ihrer Entdeckung ließ sie nicht mehr los. Rath gewann ihren Studienkollegen und Mitdoktoranden Mathias Stanzel für weitere Untersuchungen. Die Kolleg:innen vom Institut für Papierfabrikation und Mechanische Verfahrenstechnik stehen transdisziplinär mit Rat und Tat zur Seite. Der Pioneer-Fund der Universität ermöglichte Stanzel, die Forschungsarbeiten an der Silica-Papierbeschichtung fortzusetzen. Er fand heraus: „Die Methode funktioniert bei allen Cellulosestoffen, aus denen Papier ja hergestellt wird – egal ob lange Fasern, kurze Fasern, aber auch Baumwolle.“ Damit war auch klar: Diese Innovation hat weltweit großes Marktpotenzial.

Abenteuer Forschungsausgründung

Mathias Stanzel: „CeraSleeve® löst die Problematik der schlechten Recyclingfähigkeit heutiger nassfester und wasserabweisender Papiere.
Mathias Stanzel: „CeraSleeve® löst die Problematik der schlechten Recyclingfähigkeit heutiger nassfester und wasserabweisender Papiere.

Pappteller, Papiertüten, Trinkhalme und -becher bis hin zu Hygienepapier: die Beschichtung CeraSleeve® kann für vielfältige Papierprodukte nassfeste und wasserabweisende Lösungen anbieten, die nachhaltig und kreislauffähig sind. Aus dieser Idee und mit einer großen Portion unternehmerischem Mut machten Nicole Rath und Mathias Stanzel ein Gründungsprojekt. „Wir wollten nicht, dass das Patent einfach so an der Uni liegen bleibt und nichts daraus entsteht.“ Das Innovations- und Gründungszentrum HIGHEST der TU Darmstadt bestärkte die Forscher in ihrer Geschäftsidee und berät die beiden seither.

Professorin Annette Andrieu-Brunsen und Professor Markus Biesalski betreuen das Ausgründungsprojekt als Mentoren: „CeraSleeve® hat das Potenzial, durch die Verbindung von Expertise im Bereich Papier, im Bereich Sol-Gel Chemie und der neuen Nutzung von Analytikmethoden ganz neue Materialeigenschaften und damit ganz neue Produkte zu schaffen“, davon sind die Professoren überzeugt. Die Materialinnovation sei nachhaltiger als herkömmliche Verbundpapiere, könne dabei aber mit aktuellen Produkteigenschaften mithalten. „CeraSleeve® ist ein Beispiel dafür, wie anfänglich, vermeintliche Probleme im Labor durch systematische Analyse und übergreifendes Denken zu einer Erfolgsstory werden können.“

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Mit ihrem Projekt CeraSleeve® erreichten Rath und Stanzel 2021 beim TU-Ideenwettbewerb den 2ten Platz. Um eine Anschlussfinanzierung zu sichern, holten sich Rath und Stanzel den Betriebswirtschaftler Augustin Coreth mit an Bord. Der Mann ist völlig begeistert von CeraSleeve®: „Ich wollte schon immer ein eigenes nachhaltiges und damit zukunftsfähiges Unternehmen gründen“, erzählt Augustin Coreth.

Coreth kümmert sich um Businessplan, Unternehmensstrategie, Vertrieb und Marketing. Gemeinsam warb das Team vor kurzem 1,13 Millionen Euro Fördermittel vom EXIST-Forschungstransferprogramm der Bundesregierung ein. Es ist eine der größten Fördersummen, die ein Forscherteam der TU Darmstadt je erhalten hat und ermöglicht, aus CeraSleeve® ein Geschäftsmodell zu machen.

Kundenorientiertes Geschäftsmodell

Erfolgsstory: CeraSleeve® generiert an den Schnittstellen etablierter Forschungsfelder neues Wissen und verbessert damit Papierprodukte.
Erfolgsstory: CeraSleeve® generiert an den Schnittstellen etablierter Forschungsfelder neues Wissen und verbessert damit Papierprodukte.

Ziel des Gründerteams ist es, mit CeraSleeve® ein Plug-and-Play-Produkt anzubieten. „Wir möchten mit der Papierindustrie zusammenarbeiten und eine Lösung anbieten, für die es weder neue Maschinen noch eine Umstellung der Produktionsweise benötigt“, so Stanzel. Dass das Team mit seiner Idee richtig liegt, belegt die große Resonanz, die es für sein Produkt erfährt.

„Mehrere große Papierhersteller haben bereits großes Interesse daran, unsere Technologie in ihrer Produktion einzusetzen.“, so Nicole Rath. Sie wissen: Die Papierhersteller stehen unter Druck. Zunehmend mehr Abnehmer bestehen auf nachhaltig produziertem und recylingfähigem Papier. Der Markt verlangt es. Deshalb arbeiten die Drei derzeit mit Hochdruck daran, ihre Silica-Lösung zu skalieren.

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