Studie: Bevölkerungszahlen in Slums werden erheblich unterschätzt

Globale Herausforderung für Städte und Ressourcen des Globalen Südens

29.11.2024 von

Eine aktuelle Studie am Institut für Fluidsystemtechnik (FST) beleuchtet die systematische Unterschätzung von Slumbevölkerungen im Globalen Süden. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, wie ungenaue Daten globale Entwicklungsziele, Umweltstrategien und die Infrastrukturplanung beeinflussen.

Slums entstehen häufig inmitten formaler Urbanisierung. Sie sind charakterisiert durch mangelnde Lebensstandards und fehlende Infrastrukturen mit weitreichenden Folgen für Mensch und Umwelt.

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt seit 2007 in urbanen Gebieten. Bis 2050 soll dieser Anteil auf zwei Drittel ansteigen, wobei 90 % des Wachstums in Afrika und Asien erwartet werden. Slums sind oft die ersten Anlaufpunkte für diese Migration. Diese städtischen Wohngebiete sind durch eine unzureichende Infrastruktur und fehlende Lebensstandards gekennzeichnet. Zwar haben die Vereinten Nationen in den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) die Verbesserung von Städten und die Aufwertung von Slums priorisiert. Da globale Schätzungen über Slumbewohner allerdings auf uneinheitlichen Definitionen und Methoden basieren, werden Verbesserungsmaßnahmen erheblich erschwert.

Die Studie von Erstautor Julius Breuer vom Institut für Fluidsystemtechnik (FST) unter Leitung von Professor Peter Pelz (Fachbereich Maschinenbau) ist gemeinsam mit Forschenden des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Universität Würzburg entstanden und vom renommierten Fachmagazin „Nature Cities“ als „Research Highlight“ gewürdigt. Die Publikation „The unseen population: Do we underestimate slum dwellers in cities of the Global South?“ beleuchtet die Herausforderungen bei der Bevölkerungszählung in Slums des Globalen Südens und zielt auf einen einheitlichen Ansatz zur Ermittlung der Bevölkerung auf Basis von Geodaten.

Innovative Methodik zur Ermittlung von Slumpopulation

Abbildung 1: Schaubild zur angewandten Methodik
Abbildung 1: Schaubild zur angewandten Methodik

Die Forscher entwickelten einen Ansatz, der die Bevölkerungsverteilung in Slums weltweit einheitlich erfassen kann. Grundlage dafür waren Daten aus dem international anerkannten WorldPop-Global-Dataset, das Bevölkerungszahlen in einem 100x100-Meter-Raster abbildet. Für Slumgebiete wurden bestehende Daten verwendet, die Slums anhand hochauflösender Satellitendaten und charakteristischer Bebauungsmuster identifizieren.

Die daraus entstandene Methodik (Abb. 1) wurde im Rahmen der Studie auf Slums in acht verschiedenen Städten angewendet: Caracas (Venezuela), Rio de Janeiro (Brasilien), São Paulo (Brasilien), Kapstadt (Südafrika), Kairo (Ägypten), Mumbai (Indien), Dhaka (Bangladesch) und Manila (Philippinen). Die ermittelten Daten wurden anschließend mit Informationen aus Volkszählungen und anderen Quellen überprüft und abgeglichen, um ihre Zuverlässigkeit sicherzustellen. Die Studie identifizierte mehrere Fehlerquellen, wie unzureichende Geometrien von Slumkarten, falsche Bevölkerungsdaten und algorithmische Glättung von Bevölkerungsdichten.

Diese Analyse ergab, dass die Bevölkerungszahlen in Slums weltweit systematisch unterschätzt werden: So hat beispielsweise Mumbai die höchste geschätzte Slumbevölkerung mit 1,5 Millionen. Allerdings variieren die Schätzungen signifikant von tatsächlichen Zahlen. In Dhaka, einer Stadt mit hoher Wachstumsrate, werden laut der Studie bis zu 50 % der Slumbevölkerung übersehen. Eine außergewöhnliche Diskrepanz weist Kairo auf: Offizielle Schätzungen variieren von Hunderten bis zu einer Million Menschen in einzelnen Gebieten.

Durch die Verknüpfung von Fernerkundungsdaten und Bevölkerungsstatistiken ermöglicht der Ansatz eine präzise Analyse der Bevölkerungsverteilung in Slums.

Präzisere Daten als Schlüssel für gerechte und nachhaltige Städte

Die Unterrepräsentation von Slumbewohnern in globalen Datensätzen hat weitreichende Folgen für die Infrastruktur- und Ressourcenplanung sowie die Umwelt insgesamt. Sie wirkt sich außerdem negativ auf die Erreichung der globalen Entwicklungsziele aus, da Investitionen falsch priorisiert werden.

Die Städte im Globalen Süden stehen vor der Herausforderung eines hohen Ressourcenverbrauchs sowie Belastungen durch Abfall und Emissionen. Die Planung nachhaltiger Systeme wird durch unterschätzte Bevölkerungszahlen zusätzlich erschwert. Zudem führen derartige Fehleinschätzungen zu einer unzureichenden Verteilung von Wasser, Strom und sanitären Einrichtungen, was Gesundheitsrisiken verstärkt und soziale Ungleichheit vertieft.

Die Studie unterstreicht, dass globale Methoden zur Erfassung von Slumbevölkerungen dringend überarbeitet werden müssen. Der Einsatz fortschrittlicher Technologien wie KI-gestützter Satellitenbildanalyse könnte entscheidend zur Verbesserung der Datenqualität beitragen. Ebenso ist die Schaffung einheitlicher, global gültiger Definitionen von Slums notwendig, um eine konsistente Datengrundlage zu gewährleisten. Ohne präzise und verlässliche Daten bleibt eine signifikante Bevölkerungsgruppe unsichtbar – mit weitreichenden Folgen für Städte und deren Entwicklung.

Gleichzeitig sind direkte Maßnahmen wie Slum-Upgrading notwendig. Dazu müssen lokale Gemeinschaften eng eingebunden werden, um die Lebensbedingungen gezielt zu verbessern und nachhaltige urbane Lebensräume zu schaffen.

Studie: The unseen population: Do we underestimate slum dwellers in cities of the Global South?

Die Studie erschien erstmals unter einer Creative Commons Linzenz im Juni dieses Jahres in „Habitat International" und wurde nun vom renommierten Fachmagazin „Nature Cities“ als „Research Highlight“ gewürdigt.

Die Publikation ist als Open Access verfügbar und kann als PDF heruntergeladen werden.

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