„Prothesen intelligenter auf die Nutzer anpassen“

Fragen an Prof. André Seyfarth, Leiter des Bewegungsforschungs-Kongresses

04.03.2013

Die TU ist Gastgeberin des 6. Internationalen Symposium zur Bewegungsforschung (AMAM), bei dem Wissenschaftler aus aller Welt vom 11. bis 14. März über moderne Ansätze der Bewegungsforschung referieren. Kongress-Leiter Prof. André Seyfarth spricht im Interview über neueste Erkenntnisse zur Laufforschung und über Darmstadt als Austragungsort.

Prof. André Seyfarth

TU Darmstadt: Warum ist Darmstadt ein geeigneter Austragungsort für diesen Kongress?

Prof. André Seyfarth: An der TU Darmstadt haben wir eines der profiliertesten Zentren der Bewegungsforschung in Deutschland. Und das Umfeld für die Robotik- und Prothetikforschung ist mit stark komplementären Partnern besetzt, sei es aus dem Maschinenbau, der Informatik, der Sportwissenschaft – mit den Schwerpunkten Sportbiomechanik und Sportinformatik – bis hin zur Arbeits- und Ingenieur-Psychologie an der TU.

Diese interdisziplinäre Bandbreite ist in Deutschland einzigartig. Zudem haben wir einen neuen Ansatz für den Prothesenbau: Wir wollen die Arbeitsweise der Muskulatur mit in die Entwicklung von Prothesen einbeziehen.

Was bedeutet das für den Prothesenbau der Zukunft?

Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel im Verständnis davon ab, was eine Prothese oder Orthese leisten muss. Bislang geht man davon aus, dass Prothesen den ursprünglichen Bewegungsabläufe möglichst detailgenau übernehmen müssen, um ein nahezu „normales“, das heißt nicht pathologisches Gangbild zu erreichen.

Aber zum einen gibt es nicht DAS gesunde Gangbild, so gibt es zum Beispiel in unterschiedlichen Kulturen auch unterschiedliche Gehweisen und Laufstile. Zum anderen sind Muskeln erhalten, welche mit der Prothese interagieren können. Wenn wir Prothesen intelligenter auf die Nutzer anpassen können, wird das Tragen von Prothesen künftig effizienter und vielseitiger werden.

Zudem wird eine Prothese künftig die individuellen biologischen Besonderheiten des jeweiligen Patienten zulassen beziehungsweise sich auf sie einstellen können. Das bedeutet, eine Prothese wird sozusagen gemeinsam mit seinem Träger laufen und rennen lernen. Hier entstehen gerade die weltweit ersten Systeme, welche in den nächsten Jahren auch für Anwender nutzbar werden könnten.

Was sind die konkreten Neuigkeiten, über die auf der AMAM 2013 berichtet wird?

Der international sehr prominent besetzte Kongress ist gleichzeitig die Abschlussveranstaltung des EU-Projektes Locomorph. Das vierjährige Projekt hat Forschungsaktivitäten zu Bewegungsabläufen bei Tieren, Menschen und Laufrobotern gebündelt mit dem Ziel, die Wechselwirkung von Körperbau (Morphologie) und Fortbewegung (Lokomotion) besser zu verstehen.

Mit dem Thema der adaptiven Bewegungen zum Beispiel greift Prof. Roy Ritzmann (USA) in einer öffentlichen Vorlesung am 13. März Forschungen auf, die sich mit der Koordinierung von Gehirn und Bewegungssystem befasst: Die meisten Bewegungen werden perfekt beherrscht, ohne dass wir willentlich darauf einwirken. Dabei ist oft noch nicht geklärt, was im Detail bei diesen Bewegungen passiert.

Aber beispielsweise für den Bau von Prothesen ist es wichtig zu verstehen, was bei den einzelnen Bewegungen kontrolliert wird und was automatisch passiert. Es werden die neuesten Forschungsergebnisse der Laufforschung vorgestellt, wie zum Beispiel aktuelle Analysen und Ansätze für die Modellierung von Laufbewegungen und neuartige Robotiksysteme für Forschung und Lehre.

Die Fragen stellte Gerda Kneifel