Halbzeit bei PRORETA 3

Continental übergibt Forschungsfahrzeug an die TU Darmstadt

13.05.2013 von

Mit der Übergabe eines Forschungsfahrzeugs von Continental an die TU geht das Projekt PRORETA 3 in seine zweite Projekthälfte. In der dritten Staffel der PRORETA 3-Forschungskooperation arbeiten die TU Darmstadt und der internationale Automobilzulieferer Continental seit rund zwei Jahren an einem integralen Fahrerassistenzkonzept für Stadtverkehrsszenarien zur Vermeidung von Unfällen beziehungsweise Reduzierung von deren Folgen.

Die Kamera registriert, wenn der Fahrer seine Augen nicht auf eine potentiell gefährliche Situation gerichtet hat. Bild: Continental

Neben der Erforschung neuer Fahrerassistenzsysteme werden bereits verfügbare Fahrerassistenzsysteme vernetzt zusammengeführt und funktionale Synergien erschlossen. Bezüglich der Wechselwirkung zwischen System und Fahrer werden neue leistungsfähigere Mensch-Maschine-Schnittstellen erforscht.

Das Konzept verfolgt eine modulare Systemarchitektur. Nachdem das gemeinsam entwickelte Konzept in ein Forschungsfahrzeug von Continental integriert wurde, liegt in der zweiten Projektphase ein Schwerpunkt nun auf der praktischen Erprobung: Ziel ist es, die Wirksamkeit des Konzepts in realen Fahrsituationen zu belegen. Das Projekt läuft noch bis Herbst 2014.

Einzelne Assistenzsysteme werden miteinander vernetzt

„In komplexen Verkehrsszenarien wie im Stadtverkehr ist es besonders anspruchsvoll, Gefahren zu erkennen und situationsangemessen zu reagieren“, sagte Dr. Peter Rieth, Leiter Systems & Technology der Division Chassis & Safety bei Continental.

An dieser Stelle setzt PRORETA 3 an: In der ersten Phase des Projekts entwickelten die Forscher eine leistungsfähige Systemarchitektur sowie eine leistungsgesteigerte Umfelderfassung, indem sie verschiedene Fahrerassistenzsysteme miteinander vernetzten. „Assistenzsysteme wie Spurhalteassistenten oder Kollisionswarner funktionieren bisher in Fahrzeugen wie unabhängige Einzelsysteme. Durch deren Vernetzung kann die vorhandene Sensorinfrastruktur im Fahrzeug optimal ausgenutzt werden“, sagte Professor Hermann Winner, Leiter des Fachgebiets Fahrzeugtechnik an der TU Darmstadt und Projektleiter für PRORETA 3.

Für die Erfassung des Fahrzeugumfelds greift das Forschungsfahrzeug auf serienreife Sensorik zurück: Es ist vorne mit einer Stereokamera und einem Fernbereichs-Radar sowie zur Erfassung des seitlichen und rückwärtigen Bereichs mit vier Nahbereichs-Radarsensoren ausgestattet.

Verbesserte Mensch-Maschine-Schnittstelle

Eine weiße Lichtspur oder eine knallrote Wand: je nach Gefahrensituation warnt das LED-Lichtband auf eine andere Weise. Bild: Continental
Eine weiße Lichtspur oder eine knallrote Wand: je nach Gefahrensituation warnt das LED-Lichtband auf eine andere Weise. Bild: Continental

Aufbauend auf der Umfeldsensorik haben die Forscher der TU Darmstadt das Konzept eines sogenannten Sicherheitskorridors erstellt. Verlässt das Fahrzeug den Sicherheitskorridor, beispielsweise durch einen Fahrfehler oder Ablenkung des Fahrers, wird dieser gewarnt und gegebenenfalls durch aktive Systemeingriffe in Lenkung und Bremse in seiner Handlung unterstützt.

„Im komplexen Stadtverkehr muss die Interaktion zwischen Fahrer und Assistenzsystem optimal umgesetzt sein, damit der Fahrer die Hinweise auch intuitiv versteht und angemessen ‚richtig‘ reagiert“, sagte Dr. Peter Rieth. Dafür wurden im Rahmen von PRORETA 3 verschiedene Konzepte untersucht, die auch Informationen über das Verhalten des Fahrers einschließen.

Im Forschungsfahrzeug wird dafür eine Infrarotkamera im Innenraum verwendet, die erkennt, wohin der Fahrer seinen Blick gerichtet hat. So weiß das Fahrzeug, ob der Fahrer nach vorne auf die Fahrbahn oder woanders hin blickt. Weitere Informationen liefern das Bedienverhalten von Lenkung, Gas- und Bremspedal. Informationen zum Gefahrenniveau liefern wiederum die Fahrerassistenzsysteme.

Zusammen mit einem intelligenten Gaspedal, das mit dem Fahrer über Gegendruck und Vibration kommunizieren kann und akustischen Signalen ist ein LED-Lichtband, das sogenannte Halo (von griechisch „halos“, „Lichtring“), Kernelement in der Mensch-Maschine-Schnittstelle. Einerseits ist das Halo mit der Infrarot-Innenraumkamera und andererseits mit den verschiedenen Fahrerassistenzsystemen vernetzt.

Dabei bildet es ein Kernelement für eine Mensch-Maschine-Schnittstelle, die in Abhängigkeit von Umfeld und Fahrerzustand die Aufmerksamkeit des Fahrers auf Gefahrenzonen um das Fahrzeug lenken soll, wenn eine Gefahr nicht im Blickfeld des Fahrers auftaucht. Hier ist eine Frühwarnung angebracht und wird sicher auch vom Fahrer akzeptiert. Liegt die Gefahr im Blickfeld des Fahrers, dann kann die Warnung auf eine Akutwarnung beschränkt werden.

Umgekehrt kann bei visueller Ablenkung des Fahrers eine Warnung erfolgen, solange die Situation noch nicht kritisch ist. Das Halo umfasst den gesamten Fahrzeuginnenraum und hat die Möglichkeit, verschiedene Farben für unterschiedliche Dringlichkeitsstufen anzunehmen. Dies nimmt der Fahrer auch peripher war und lenkt fast intuitiv die Aufmerksamkeit in die entscheidende Richtung. Innerhalb des Sicherheitskorridors wird es mit Hilfe eines Längs- und Querführungssystems auch möglich sein, teilautomatisiert zu fahren – das System kann also bestimmte Fahrmanöver selbstständig ausführen, womit es den Fahrer unterstützt und entlastet.

Vision des unfallfreien Fahrens

Bereits seit den 1980er Jahren arbeiten die TU Darmstadt und die Continental Division Chassis & Safety an gemeinsamen Forschungsprojekten. Die erste PRORETA-Forschungskooperation (2002-2006) befasste sich mit Notbrems- und Notaus¬weichassistenten auf vorausfahrenden oder stehenden Verkehr. Bei PRORETA 2 (2006-2009) stand ein Überholassistent zur Vermeidung von Unfällen mit entgegenkommendem Verkehr im Fokus der Untersuchungen. An PRORETA 3 sind die Fachgebiete für Fahrzeugtechnik, Arbeitswissenschaft, Regelungstheorie und Robotik sowie Regelungstechnik und Mechatronik der TU Darmstadt beteiligt, die einen wichtigen Beitrag zu der Forschungskooperation leisten.

„Wir sehen es als unternehmerische Aufgabe, die Kooperation von universitärer Wissenschaft und Industrie stärker zu fördern und Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter möglichst früh an industrierelevante Entwicklungs-Aufgabenstellungen heranzuführen. Dazu möchten wir unseren aktiven Beitrag leisten, einen Beitrag, der uns unserem Ziel der Vision Zero, dem unfallfreien Fahren, ein Stück näher bringt“, unterstrich Dr. Rieth.