Was die Welt im Innersten zusammen hält

Mit Ionen-Pingpong Kräfte in Atomkernen sichtbar gemacht

20.06.2013

Einem internationalen Wissenschaftlerteam ist es erstmals gelungen, mit einem Flugzeitmassenspektrometer die Bindungsenergien exotischer Atomkerne zu bestimmen. Wie jetzt im Fachmagazin Nature berichtet, ergeben sich aus dem Vergleich der Messungen mit neuen theoretischen Werten wichtige Rückschlüsse auf die Natur der Kräfte, die diese Atomkerne im Innersten zusammenhalten.

Multireflexions-Flugzeitmassenspektrometer zur Massenbestimmung von Calcium-54 am europäischen Forschungszentrum CERN. Bild: Klaus Baum

Die schwierigen Messungen wurden möglich durch eine Erweiterung des Präzisionsexperiments ISOLTRAP am europäischen Forschungszentrum CERN. In der von Forschern der Universität Greifswald beigesteuerten neuen Komponente werden Ionen wie bei einem Pingpongspiel hin und her reflektiert.

So konnten erstmals die Massen der künstlich erzeugten Isotope Calcium-53 und Calcium-54 bestimmt werden. Diesen Isotopen kommt eine Schlüsselrolle in der kernphysikalischen Grundlagenforschung zu. Die Messungen bestätigen Vorhersagen der beteiligten Wissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt, bei denen auch Dreikörperkräfte berücksichtigt werden.

Aus den Massen der Atomkerne kann über Einsteins Formel E=mc2 auf die Energien geschlossen werden, mit denen die Protonen und Neutronen im Kern gebunden sind. Besonders hohe Bindungsenergien findet man bei Kernen mit „magischen“ Protonen- und Neutronenzahlen, bei denen die Kernbestandteile geschlossene Schalen bilden. Diese speziellen Zahlen sind für die stabilen Kerne wohl bekannt. Sie lauten 8, 20, 28, 50, 82 und 126.

Zerfall binnen eines Wimpernschlags

Bei den exotischen Systemen mit kurzen Halbwertszeiten besteht aber noch erheblicher Forschungsbedarf. Zur Verbesserung der theoretischen Beschreibung nahmen die Darmstädter Theoretiker Dreiteilchenkräfte hinzu, für deren quantitative Charakterisierung lediglich Eingangsdaten der leichtesten Elemente, Wasserstoff und Helium, benötigt wurden.

Mit Rechnungen am Jülich Supercomputing Centre gelang es, Vorhersagen für die Massen der viel schwereren Calcium-Isotope zu treffen. Diese zeigen für Neutronen neben den bekannten Schalenabschlüssen bei 20 und 28 die zusätzliche magische Zahl 32.

Atomkernen mit einem großen Ungleichgewicht zwischen Protonen und Neutronen kommt eine besondere Bedeutung für das Verständnis der Kernkräfte zu. Allerdings sind entsprechende Messungen extrem schwierig, da diese Atomkerne nur in geringsten Mengen produziert werden können und binnen eines Wimpernschlags wieder zerfallen.

Solche Teilchen liefert die „Isotopenfabrik“ ISOLDE am europäischen Forschungszentrum CERN in Genf als Ionenstrahlen an die Präzisionswaage ISOLTRAP. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass die gewünschten Atome nur „verunreinigt“ mit weiteren Teilchen ähnlicher Masse, sogenannten Isobaren, bereitgestellt werden können.

Erste Messungen an exotischen Calciumisotopen

Schematische Darstellung eines Atomkerns bestehend aus Nukleonen (Neutronen und Protonen). Die Massen der neutronenreichen Calcium Isotope, gemessen mit ISOLTRAP, geben Aufschluss über die starke Kraft zwischen Nukleonen und sind besonders sensitiv auf Dreikörperkräfte. Bild: Johannes Simonis
Schematische Darstellung eines Atomkerns bestehend aus Nukleonen (Neutronen und Protonen). Die Massen der neutronenreichen Calcium Isotope, gemessen mit ISOLTRAP, geben Aufschluss über die starke Kraft zwischen Nukleonen und sind besonders sensitiv auf Dreikörperkräfte. Bild: Johannes Simonis

Unter diesen Bedingungen kommen die bisher verwendeten Mikrowaagen, die Penningionenfallen, an ihre Grenzen. Als Alternative bieten sich Multireflexions-Flugzeit-Massenspektrometer an. Daher wurde nun für ISOLTRAP ein entsprechendes Instrument an der Universität Greifswald entwickelt, aufgebaut und in das ISOLTRAP-Massenspektrometer integriert.

Nach dem Einsatz als hochauflösender Isobarenseparator für Penningfallen-Untersuchungen ermöglichte es jetzt als Massenspektrometer die ersten Messungen an den Isotopen Calcium-53 und Calcium-54.

Das Prinzip, die Flugzeitmassenspektrometrie, ist einfach: Alle Ionen erfahren die gleiche Kraft und werden daher bei unterschiedlicher Masse auf verschiedene Geschwindigkeiten beschleunigt. Deswegen kommen sie nach Durchlaufen einer Driftstrecke nacheinander am Detektor an – die leichten zuerst und die schweren später: Es entsteht ein Flugzeitmassenspektrum. Üblicherweise sind die Driftstrecken etwa einem Meter lang.

Aber hier kommt ein Trick ins Spiel: Mit einem „Ionenspiegel“ lassen sich die Ionen reflektieren und mit einem zweiten Spiegel kann man kilometerlange Driftstrecken auf Meter-Größe zusammenfalten. Das Ionen-Pingpong, bei dem die Teilchen tausende Male hin und her gespiegelt werden, dauert nur wenige Millisekunden. Es ist viel schneller als die Penningfallen-Experimente und benötigt zudem auch weniger Ionen.

Zukunftstechnologie zur Erforschung des Atomkerns

Damit war der Durchbruch zu den exotischen Calciumisotopen geschafft und die Vorhersagen der Darmstädter Theoretiker konnten überzeugend bestätigt werden. Der erfolgreiche Einsatz des Greifswalder Instruments etabliert die Multireflexions-Flugzeitmassenspektrometrie als Zukunftstechnologie zur Erforschung des Atomkerns.