Entlastende Medizintechnik
Forscher der TU entwickeln neuartige Orthesen und Operationsverfahren
01.10.2013 von Christian Meier
Exoskelett – das klingt nach Science-Fiction, nach einer Rüstung mit Motoren an den Gelenken, die dem Träger übermenschliche Kräfte verleiht. Am Institut für Elektromechanische Konstruktionen (EMK) der TU Darmstadt wird Medizintechnik entwickelt, die aus der Vision ein Stück Wirklichkeit macht.

Für ältere Menschen, die sich mit Treppensteigen oder mit dem Aufstehen aus dem Sessel schwertun, entwickeln EMK-Forscher ein Exoskelett mit einem Mini-Elektromotor, um die Muskeln der Senioren zu unterstützen.
Diese sogenannte aktive Kniegelenksorthese soll es Senioren erlauben, Etagenwohnungen zu behalten oder schwungvoll aus einem Sessel aufzustehen. „Unsere Medizintechnikforschung orientiert sich am Bedarf in Gesellschaft und der Ärzteschaft“, sagt Daniel Pfeffer, Mikrotechnik-Ingenieur am EMK.
Eine 50-jährige Tradition des helfe, die komplexen Projekte – Know-how aus verschiedensten technischen Disziplinen fließt in sie ein – zum Erfolg zu führen: Die Forscher aus den drei Fachgebieten des Instituts arbeiten stets eng zusammen. EMK
Hilfreich für minimalinvasive Chirurgie
Dabei entsteht in den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Medizintechnikprojekten Erstaunliches. Etwa Assistenzsysteme für die minimalinvasive Chirurgie. „Sie geben Chirurgen den Tastsinn wieder, der bei dieser Form der Chirurgie verloren gegangen ist“, erklärt Doktorand Sebastian Matich vom EMK. Wenn Operateure ihre Instrumente durch sehr kleine Schnitte in der Bauchdecke einführen und sie von außen fernsteuern, fehlt ihnen der direkte Kontakt zum kranken Gewebe.
„Einen Tumor kann der Arzt dann nicht mit Hilfe seines Tastsinns vom umgebenden Gewebe unterscheiden“, sagt Matich. Daher könne aus Versehen gesundes Gewebe beschädigt werden. Der Mikrotechnik-Ingenieur entwickelt mit einem Kollegen des Fachgebiets Mess- und Sensortechnik und Chirurgen der Uniklinik Tübingen ein System für minimalinvasive Eingriffe zur Darmkrebsentfernung.
Dabei steuert der Chirurg Greifer über ein Gestänge fern. Sensoren messen die Kräfte, die bei der Operation auf die Greifer wirken. Die Messwerte werden von einem Aktuator in eine Bewegung umgesetzt, die der Arzt am Steuergerät spürt.
Schonend für das Gewebe
Diese Technik liefert neben dem Tastsinn potenziell neue Möglichkeiten: „Das Verhältnis zwischen der Kraft, mit der der Arzt hantiert, und derjenigen am Greifer lässt sich regulieren“, sagt Matich. Besonders sensibles Gewebe könnte auf diese Weise sanft behandelt werden.
Das EMK-Team entwickelt seine Systeme meist von Grund auf neu, angefangen bei den einzelnen Komponenten bis hin zum Design des Gesamtsystems. Das Institut baut dabei auf ein breites Know-how von mikromechanischen Gelenksystemen bis hin zur Aktorik und Sensorik.
Dabei betritt das Team oft auch technisches Neuland. So hat der Messtechnik-Ingenieur Dr.-Ing. Thorsten Meiss den kleinsten Kraftsensor der Welt entwickelt, der kaum dicker ist als ein menschliches Haar und dennoch die Kräfte in allen drei Raumrichtungen misst. Er soll bei der Herzkatheterisierung eingesetzt werden.
Beim Durchdringen von Ablagerungen und beim Setzen von Stents navigieren Ärzte mit feinsten Führungsdrähten durch die äußerst engen Herzkranzgefäße. Dabei orientieren sie sich an Röntgenbildern. Sie können beim Bedienen des Führungsdrahts aber nicht fühlen, wenn dessen Spitze auf eine Gefäßabzweigung oder auf Ablagerungen an den Gefäßwänden trifft.
Der Kraftsensor wurde von Meiss und seinem Team in ein System integriert, bei dem die Messwerte über Aktoren an die Fingerspitzen des Chirurgen weitergeleitet werden und er gewissermaßen einen erweiterten Tastsinn erlangt. So wird ihm die Navigation durch das Adersystem und die Feststellung von Ablagerungen erleichtert.
Die Forschungsergebnisse dieses Projekts werden derzeit in einem DFG-Projekt zum Erkenntnistransfer für einen umfassenden Test weiterentwickelt. Auch das Projekt Orthese ist weit gediehen. Ein Prototyp des motorisierten Exoskeletts wurde an der Uniklinik Heidelberg an Probanden erfolgreich getestet. Es bestehen also gute Chancen, dass Senioren, Patienten und Ärzte bald vom praxisorientierten Erfindergeist der EMK-Forscher profitieren werden.