„Krumme Touren“ in der Wirtschaft
Fachtagung zur Korruptionsforschung – Drei Fragen an Korruptionsforscher
20.11.2013 von Jutta Witte / sip
Vorteilsnahme, Skandale, Verflechtungen: Politische Korruption steht im Mittelpunkt der Korruptionsforschung am Institut für Geschichte der TU Darmstadt. Vom 28. bis 30. November untersucht die deutsch-französische Fachtagung „,Krumme Touren‘ in der Wirtschaft“ das Phänomen. Vorab gibt Korruptionsforscher Professor Jens Ivo Engels Antworten auf zentrale Fragen.
Herr Professor Engels, seit wann arbeiten Wirtschaft und Politik zusammen und wie entwickeln sich diese Verflechtungen in der Moderne?
Die Wirtschaft wird erst um 1800 ein eigenständiger, von Politik und öffentlichen Ämtern getrennter Sektor. Vorher wurden Ämter häufig wie private Betriebe geführt; ihre Inhaber durften oft auch Gewinne erwirtschaften. Zur Zeit der Französischen Revolution begann man, Privates und Öffentliches strikt zu trennen. Amtsträger waren ausschließlich dem Staat verpflichtet und Politik sollte nur dem Gemeinwohl dienen.
Entsprechend kritisch sah man es nun, wenn die Wirtschaft Einfluss auf die Politik nahm. Zumindest in der Theorie. Aber je komplexer die Wirtschaftswelt wurde, desto wichtiger wurden für sie die staatlichen Rahmenbedingungen. Einflussnahmen und Lobbyismus nahmen zu. Im Zeitalter der Industrialisierung kommen dann die Berufspolitiker und die Industriellen ins Spiel. Die einen hatten die Macht, die anderen das Geld.
So wie heute. Welchen Mustern folgte denn ihr Zusammenspiel?
Da gab und gibt es verschiedene Möglichkeiten. Schon im 19. Jahrhundert suchten Unternehmer die Nähe politischer Entscheider oder ließen sich in die Parlamente wählen. Seit spätestens 1900 kennen wir die so genannte Organisationspatronage: Große Organisationen wie Parteien oder Gewerkschaften wurden zu Versorgungsmaschinen im Austausch gegen Loyalität.
Zuvor war dies nur in persönlichen Beziehungen geschehen, jetzt entstand eine Mischung aus Organisations- und Personenbeziehung. So kommt es in Frankreich seit dem 19. Jahrhundert oft zu personellem Austausch in den Spitzenposten von Staatsverwaltung und Unternehmen, unter anderem weil die Leistungsträger die gleichen Eliteschulen besucht haben. Ein Bespiel, das mein französischer Kollege Hervé Joly auf unserer Tagung näher beleuchten will.
Woraus speisten Unternehmen ihre ethischen Standards?
Sie konnten sich schlicht aus der privaten Überzeugung des jeweiligen Unternehmers speisen – im 19. Jahrhundert waren sie häufig ein Ausdruck von Frömmigkeit oder „väterlichem“ Verantwortungsgefühl gegenüber den Mitarbeitern. Aber auch „externe“ Mechanismen können ethisches Handeln erzwingen oder sinnvoll erscheinen lassen. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielen in diesem Zusammenhang öffentliche Debatten eine wichtige Rolle: Kritische Medien, Menschenrechts- und Umweltaktivisten prangern vor allem seit den 1970er Jahren das Verhalten einzelner Unternehmen an. Angesichts der drohenden Rufschädigung und der Mobilisierung der Verbraucher haben Unternehmensleitungen darauf reagiert und ihren Betrieben Compliance-Regeln verordnet. Wir wollen dies in Frankfurt anhand der Themenkomplexe Korruption, Umweltschädigung und Gerechtigkeit zwischen industrialisierter und „Dritter Welt“ näher untersuchen.