Geschichte als Naturwissenschaft?

Podium zu Perspektiven biologischer Forschung in der Geschichtswissenschaft

06.01.2016 von

Anlässlich der Gründung des neuen Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena 2014 veranstaltet das Institut für Geschichte an der TU Darmstadt am 26. Januar 2016 eine Podiumsdiskussion über Chancen und Grenzen naturwissenschaftlicher Methoden in der Geschichtswissenschaft. Was es mit dem Thema auf sich hat, erklären Prof. Dr. Jens Ivo Engels und Prof. Dr. Gerrit Schenk vom Institut für Geschichte der TU Darmstadt.

Die großen Fragen der Menschheitsgeschichte werden vermehrt mit naturwissenschaftlichen Methoden geklärt. Bild: Jan Ehlers

Ursprünglich als Institut für „Geschichte und Naturwissenschaft“ konzipiert, möchte das neue Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena große Fragen der Menschheitsgeschichte mit Hilfe technisch-naturwissenschaftlicher Methoden und Konzepte klären. Insbesondere Evolutionsbiologie und Genanalyse sind die Methoden der Wahl. Im Mittelpunkt stehen quantitative naturwissenschaftliche Analysen materieller Zeugnisse der Vergangenheit.

Dies ist eine Herausforderung für die Geschichtswissenschaft, denn diese hat sich in den letzten Jahrzehnten von quantifizierenden Forschungen abgewandt. Stattdessen standen kulturwissenschaftliche und qualitative Ansätze im Mittelpunkt. Kulturelle Deutungen erfuhren mehr Aufmerksamkeit als ‚hard facts‘. Diese Ausrichtung beruht auf der erkenntnistheoretisch begründeten Skepsis gegenüber objektivierbaren Aussagen. Allerdings deutet sich auch in der Geschichtswissenschaft ein Trend hin zum Interesse für „das Materielle“ an, etwa in der Klimageschichte, bei der Erforschung von Naturkatastrophen und Infrastrukturen. Dies sind Themen, die schon seit längerem am Institut für Geschichte der TU Darmstadt erforscht werden.

Den Dialog fördern

Prof. Dr. Jens Ivo Engels. Bild: Katrin Binner
Prof. Dr. Jens Ivo Engels. Bild: Katrin Binner

Prof. Dr. Jens Ivo Engels und Prof. Dr. Gerrit Schenk vom Institut für Geschichte der TU Darmstadt erläutern im Gespräch, warum die Podiumsdiskussion „Geschichte als Naturwissenschaft?“ am 26. Januar an der TU Darmstadt den Dialog zwischen den verschiedenen Positionen fördern und eine überfällige Debatte in Gang setzen möchte.

Warum haben Sie die Veranstaltung „Geschichte als Naturwissenschaft? Perspektiven biologischer Forschung in der Geschichtswissenschaft“ initiiert?

„Seit 2014 gibt es in Jena ein Max-Planck-Institut für „Menschheitsgeschichte“. Dort sind aber keine Historiker beschäftigt, sondern vor allem Biologen. Das Institut nimmt für sich in Anspruch, die „Geschichte der Menschheit“ mit biologischen Methoden „umfassend zu erforschen“. Das macht neugierig, ist aber auch eine Herausforderung. Bislang kennen nur wenige Historikerkollegen die Forschungen, die dort betrieben werden. Das möchten wir ändern.“

Warum findet die Debatte an der TU Darmstadt statt?

„Die TU ist wegen ihrer Tradition der „großen Interdisziplinarität“ der ideale Ort für die Veranstaltung. Viele unserer Kollegen in der Geschichtswissenschaft beschäftigen sich mit soziologischen oder kulturwissenschaftlichen Ansätzen. Bis in die Naturwissenschaften richten sie den Blick selten – auch weil sie zu Recht davon ausgehen, dass sie davon wenig verstehen. In Darmstadt gibt es eine lange Tradition, die Hürden solcher Verständigungsprobleme zu nehmen und produktiv damit umzugehen. Genau dies möchten wir mit der Podiumsdiskussion für das Verhältnis zwischen den beteiligten Biologen und der historischen Fachwissenschaft anstoßen – in der Hoffnung, dass es nicht die letzte Diskussion sein wird.“

„Spannende Herausforderung“

Prof. Dr. Gerrit Schenk. Bild: Katrin Binner
Prof. Dr. Gerrit Schenk. Bild: Katrin Binner

Was ist der inhaltliche Kern der Kontroverse?

„Zuletzt hat sich die Geschichtswissenschaft von quantifizierenden Ansätzen verabschiedet. Sie orientiert sich weitgehend an Fragen kultureller Deutung. Naturwissenschaftliche Methoden, die ein anderes Wirklichkeitsverständnis zugrunde legen, bieten da eine spannende Herausforderung.
Dies hat durchaus eine politische Komponente. In den 1930er Jahren gab es eine Geschichtswissenschaft, die „Volksgeschichte“ betrieb und sich auf Erkenntnisse über „Rassenlehre“ und Vererbung stützte. Das schien damals innovativ – zugleich ließen sich ihre Vertreter bereitwillig vor den Karren völkischer Politik spannen. Diesen Kontext gilt es stets zu bedenken. Nicht weil das gleiche heute droht. Doch diese Geschichte zeigt, dass auch Naturwissenschaft zeitgebunden arbeitet und eben nicht ‚objektiver‘ ist als andere wissenschaftliche Methoden.“

Wie lautet Ihre Position?

„Wir sind zunächst sehr neugierig, welche zusätzlichen Erkenntnisse die Biologie bietet – augenblicklich wissen wir noch sehr wenig. Wir hoffen, dass diese Ansätze uns vor allem über Fragen von Gesundheit oder körperlicher Entwicklung in Kulturen Aufschluss geben, die keine oder kaum schriftliche Dokumente hinterlassen haben. Wir glauben allerdings nicht, dass man mit Biologie allein die „kulturelle Entwicklung“ der Menschheit auch nur annähernd erklären kann. Für die großen Deutungen wird man weiterhin ausgebildete Fachhistoriker brauchen, die vor allem eines können: Informationen in ihren jeweiligen Zeithorizont einbetten. Denn nur im Kontext ergeben Informationen Sinn.“