Ordnung für Wirbel
TU-Forscher entwickeln Lösungen für die präzise Simulation von Turbulenzen
22.01.2016 von Christian Meier
Turbulenzen machen Designern von Autos oder Flugzeugen das Leben schwer. Sie lassen sich nicht präzise genug simulieren. Martin Oberlack vom Fachgebiet Strömungsdynamik will das Problem auf originelle Weise lösen.
Verschmitzt lächelt Albert Einstein von einem Poster an der Wand von Büro. Vielleicht ahnte der geniale Einstein schon vor Jahrzehnten, dass sein Denken Maschinenbauingenieure wie Oberlack dazu beflügeln würde, scheinbar unlösbare Aufgaben der Aerodynamik zu meistern. Das Problem, das Flugzeug- und Autobauer ärgert, schildert Oberlack anhand einer anderen an der Wand befestigten Darstellung im Gang des Professor Martin Oberlacks auf der Darmstädter Lichtwiese. Fachgebietes Strömungsdynamik
Wie ein knallig buntes abstraktes Gemälde sieht der fünf Meter lange Streifen aus, an dessen linkem Rand noch glatte und gleichmäßige Pinselstriche dominieren, das aber mit jedem Meter nach rechts wirrer wird, als hätte der Künstler immer mehr die Beherrschung verloren. Doch es ist kein Kunstwerk. „Das ist eine Computersimulation von Turbulenzen“, sagt Oberlack. Es zeigt die Verwirbelungen eines Luftstroms, der über eine flache Platte streicht. Nach rechts hin, sprich mit wachsender Entfernung von der Platte, gibt es immer mehr Wirbel. „Das ist der Grund, warum die Business-Class im Flugzeug vorne ist“, sagt Oberlack. Am hinteren Teil des Flugzeuges erzeugen mehr Wirbel ein lauteres Geräusch, erklärt der Maschinenbau-Ingenieur.
Auch Supercomputer können Turbulenzen nur ungenau simulieren
Lärm ist nicht das einzige durch Turbulenzen verursachte Ärgernis. Wirbel erzeugen Luftwiderstand und erhöhen so den Spritverbrauch. Die Form eines Fahr- oder Flugzeuges sollte daher so gewählt sein, dass sie möglichst wenig Luftwirbel erzeugt. Dazu probieren die Entwickler viele Varianten in Windkanälen aus. Auch der Computer hilft beim Design. Doch bislang noch nicht ausreichend. „Denn selbst die leistungsstärksten Supercomputer Deutschlands können Turbulenzen nur ungenau simulieren“, erklärt Oberlack. Der Grund: Je weniger zäh ein Medium ist, desto winziger sind die kleinsten Wirbel. Wer das Geschehen mit einem Computer simulieren will, muss aber Wirbel aller Größen berücksichtigen.
Zwar interessieren sich Ingenieure nicht für jedes einzelne Wirbelchen der Luftströmung, sondern nur für statistische Größen, wie die mittlere Geschwindigkeit der Luft in verschiedenen Abständen von der Oberfläche, da sich aus diesem Profil der Luftwiderstand berechnen lässt. „Es kommt auf kleinste Unterschiede im Geschwindigkeitsprofil an“, sagt Oberlack. Die subtilen Unterschiede in den statistischen Werten lassen sich aber nur aus einer vollständigen Simulation des chaotischen Geschehens ableiten, ähnlich wie es viele Einzelmeinungen braucht, um ein Umfrageergebnis präzise und verlässlich zu gestalten. Die Voraussetzung dafür sind Computer mit gigantischen Datenspeichern und unvorstellbarem Rechentempo. Zwar werden Supercomputer immer schneller und ihre Speicher immer größer. „Dennoch wird es noch 50 Jahre dauern, bis sie Turbulenzen mit einer Präzision berechnen können, die teure Experimente in Windkanälen überflüssig machen wird“, sagt Oberlack.
Um die Rechenzeit zu verkürzen, vereinfachen die Entwickler ihre Rechenmodelle mit Hilfe von empirischen Annahmen, die sich auf Experimente stützen. Doch das macht die Simulationen ungenau. „Für Airlines sind aber kleinste Unterschiede im Kerosinverbrauch entscheidend“, betont Oberlack. Zwischen diesem Bedarf an exakten Ergebnissen und der Präzision der vereinfachten Simulationen klafft eine große Lücke. Besonders traurig scheint Oberlack darüber aber nicht zu sein. Denn die Lücke definiert sein Spielfeld. Er und sein 20-köpfiges Team sind weltweit die einzigen, die es mit einer neuen Methode beackern. Und sie haben Lösungen anzubieten.