Computer spielen per Gedankenübertragung

Sebastian Reul will beim ersten Cybathlon der Welt gewinnen

05.10.2016 von

Am 8. Oktober kommt es in der Swiss Arena im schweizerischen Kloten zu einer Weltpremiere: Dort wird der erste Cybathlon ausgetragen – Menschen mit körperlicher Behinderung messen sich dabei in sechs Disziplinen mithilfe neuartiger technischer Assistenzsysteme. Auch eine Gruppe von der TU Darmstadt ist dabei. Wir haben ihnen vor einiger Zeit beim Training für ein virtuelles Rennen mit Gedankensteuerung über die Schulter geschaut.

Was ein bisschen klingt wie Science Fiction ist für Sebastian Reul bereits Wirklichkeit. Der Querschnittsgelähmte arbeitet mit Studierenden der TU Darmstadt für das Team Athena-Minerva an einem Brain-Computer Interface für den Cybathlon 2016. Damit kann er eine Figur in einem Computerspiel steuern – nur mit der Kraft seiner Gedanken.

„Man glaubt es kaum, aber es ist sowohl körperlich als auch mental sehr anstrengend“, sagt der nach einem langen Training sichtlich geschaffte Sebastian Reul. Er ist mitten in den Vorbereitungen für den am 8. Oktober stattfindenden Cybathlon. Auf seinem Kopf trägt er etwas, das aussieht wie eine sehr futuristische Schwimmhaube. Diese EEG-Kappe ist gespickt mit Elektroden und über unzählige Kabel mit einem Messgerät verbunden, um elektrische Signale zu messen, die bei neuronalen Aktivitäten im Gehirn entstehen. Es liest sozusagen seine Gedanken.

Training, das bedeutet messen, Daten interpretieren, experimentieren, an den Stellschrauben drehen, wieder messen und zwischendurch ein bisschen spielen. Reul sitzt vor dem Bildschirm, auf dem nacheinander verschiedene Symbole angezeigt werden. Jedes Symbol steht für eine bestimmte Aktion, die bei einem der Spielelemente ausgeführt werden muss. Der Pilot muss dabei an eine bestimmte Bewegung denken, ohne sie tatsächlich auszuführen.

„Das Gehirn kommuniziert in verschiedenen Frequenzbereichen“, erklärt Karl-Heinz Fiebig, einer der Studierenden, die an dem Cybathlon-Projekt arbeiten. „Wir interessieren uns für die Signale im Frequenzbereich zwischen acht und zwölf Herz, da dieser Frequenzbereich für motorische Dinge zuständig ist.“

Die Aufnahmen dienen in erster Linie zur Kalibrierung. Ein Klassifizierer vergleicht die gemessenen Daten mit alten Daten aus vorherigen Trainingseinheiten und ordnet sie anhand dessen den verschiedenen Aktionen zu. Damit er nicht durch Hintergrundrauschen falschen Alarm gibt, stellt das Team immer wieder an den Schwellenwerten. „Wichtig ist ein klarer Peak. Je besser wir die gewollten Signale vom Hintergrundrauschen trennen können, desto genauer arbeitet der Klassifizierer“, erläutert Natalie Faber. Besonders wichtig wird das, wenn das Team Athena-Minerva am 8. Oktober 2016 in Zürich beim Cybathlon antritt.

Cybathlon – eine Weltpremiere

Cybathlet Sebastian Reul beim Training. Bild: Jannes Lüdtke
Cybathlet Sebastian Reul beim Training. Bild: Jannes Lüdtke

Der Cybathlon ist ein internationaler Wettbewerb für Menschen mit körperlicher Behinderung. In insgesamt sechs Disziplinen messen sich Cybathleten aus der ganzen Welt mithilfe neuester technischer Assistenzsysteme. Anders als beispielsweise bei den Paralympics stehen bei diesem Wettbewerb, der dieses Jahr zum ersten Mal ausgetragen wird, der technologische Fortschritt und die Entwicklung alltagstauglicher Assistenzsysteme im Mittelpunkt. Die Disziplinen reichen vom Fahrradrennen mit Muskelstimulation über einen Armprothesen-Parcours, einen Beinprothesen-Parcours, einen Rollstuhl-Parcours und einen Exoskelett-Parcours bis hin zum virtuellen Rennen mit Gedankensteuerung („BCI-Race“), bei dem das Team um Cybathlet Reul antritt.

Das Team Athena-Minerva wurde im letzten Jahr von Jan Peters vom IAS der TU Darmstadt und Moritz Grosse-Wentrup vom Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Tübingen gegründet. In der Disziplin „BCI-Race“ (Brain-Computer Interface Race) muss Sebastian Reul seine Kontrahenten aus den verschiedensten Ländern in einem Jump & Run-Spiel schlagen. Der „Avatar“, eine generische Spielfigur, muss dabei allein mit Gedankenübertragung durch einen Parcours mit unterschiedlichen Hindernissen gesteuert werden. Tatsächliche Bewegungen sind strikt untersagt und führen zur Disqualifizierung. Darüber hinaus verrauschen sie auch das Signal und lenken den Piloten zu sehr ab. Bei einem Cybathlon-Testlauf im letzten Jahr belegte das Team bereits den 3. Platz.

Es läuft also gut und trotz einiger Schwierigkeiten macht das Cybathlon-Projekt große Fortschritte. Vor allem wenn man bedenkt, dass dieses noch sehr junge Forschungsfeld an der TU Darmstadt erst seit etwas über einem Jahr besteht. Zum Spiel kommt es an diesem Tag dennoch leider nicht, denn die vielen Aufnahmen zur Kalibrierung haben den Akku des Messgeräts zu sehr beansprucht. „Das wird uns beim Cybathlon hoffentlich nicht passieren.“, scherzt Sebastian Reul. Für ihn ist klar: Ob Science Fiction oder nicht, er will das virtuelle Rennen beim Cybathlon gewinnen.