Bahn frei für Komet Lem

Darmstädter Festival präsentiert das Werk Stanisław Lems

14.10.2016 von

Der polnische Autor Stanisław Lem (1921-2006) gilt als einer der großen Zukunftsdenker der Gegenwart. Wie ein Komet bricht der visionäre Skeptiker durch ein zukunftsbegeistertes Jahrhundert. Das Festival „Komet Lem“ nähert sich dem Autor in verschiedenen Formaten: Wissenschaft, Film, Literatur, Musik, Theater, Ausstellung. Es wird neues Licht auf einen faszinierenden Autor werfen, der nicht nur Tabletcomputer erdacht, sondern auch vor der Allmacht des Internets gewarnt hat.

Die beiden Initiatoren des Komet Lem Fetivals: Prof. Dr. Petra Gehring und Dr. Peter Oliver Loew. Bild: Claus Völker
Die beiden Initiatoren des Komet Lem Fetivals: Prof. Dr. Petra Gehring und Dr. Peter Oliver Loew. Bild: Claus Völker

Zum Start des Festivals sprechen die Projektverantwortlichen Prof. Dr. Petra Gehring (TU Darmstadt) und Dr. Peter Oliver Loew (Deutsches Polen-Institut) darüber, was sie an Lem begeistert.

Peter Oliver Loew: Ich musste gerade daran denken, wie wir beide vor einigen Jahren zum ersten Mal richtig miteinander redeten. Wir standen bei einem Empfang am gleichen Stehtisch und stellten fest, dass wir beide, die Philosophin und der Polenfachmann, ein großes Interesse an Stanisław Lem teilten.

Petra Gehring: Oh ja! Wir kommen aus völlig unterschiedlichen Bereichen und dennoch haben wir da eine Schnittstelle gefunden. Bei mir war’s zu zwei Dritteln die Philosophin, die Lem als Wissenschaftsphilosoph und Techniktheoretiker wirklich interessant findet. Aus dem Rest sprach aber auch die Leseratte: Ich bin in die Lem-Romane als Teenie mit Riesenbegeisterung hineingetaucht.

Loew: Ja, das ging mir auch so. Wahrscheinlich war er der erste polnische Autor, den ich gelesen habe. Für mich als Polenexperten ist Lem heute natürlich etwas ganz Besonderes: Er ist wahrscheinlich der weltweit erfolgreichste polnische Schriftsteller aller Zeiten, alleine auf Deutsch sind mehr als sieben Millionen seiner Bücher verkauft worden. In den 1970er und 1980er Jahren waren die Feuilletons der großen Zeitungen voller Anerkennung für seine Werke.

Programm

Das vielfältige Programm des Festivals Komet Lem vom 19. Oktober 2016 bis 5. März 2017: www.komet-lem.de

Das Institut für Philosophie der TU Darmstadt veranstaltet eine Ringvorlesung anlässlich des Festivals: „Lem zwischen den Welten“

Gehring: Kein Wunder, denn nicht nur Solaris, sondern auch Bücher wie „Der Unbesiegbare“, „Die Stimme des Herrn“, „Transfer“ oder „Fiasko“ sind einfach klasse. Spannend, klug, unfassbar Fremdes tut sich auf. Ebenso der urkomische, satirische Lem. Ich sage nur: „Der futurologische Kongress“…

Loew: Oder der Roman „Lokaltermin“: Ijon Tichy, der schon in den Sterntagebüchern viele skurrile Abenteuer erlebt hat, wird hier mit einem Planeten konfrontiert, über dessen Zivilisationen irdische Forscher bereits Unmengen an Material gesammelt haben. Aber die Informationen widersprechen sich dermaßen, dass er am Ende völlig verwirrt ist und sich selbst vor Ort ein Bild machen möchte. Hier lernt er die Kurdländer kennen, die in ausgehöhlten Riesenechsen leben, und die Losannier, die sich mit Hilfe von Nanotechnik ewige Gesundheit und Glückseligkeit verschaffen. Ein derart absurdes Aufeinanderprallen grundsätzlich unterschiedlicher Lebensentwürfe und Interpretationen unterfüttert Lem mit philosophischen Reflexionen.

Gehring: Das ist ja eines von Lems Merkmalen, diese Verbindung von Ironie, Sachlichkeit, Wissenschaftsbegeisterung und doch auch Skepsis – mit gleicher chirurgischer Genauigkeit seziert er künftige Möglichkeiten und deren dann doch auch wieder unerbittliche Grenzen.

Loew: Als wir damals an diesem Stehtisch standen, fanden wir beide, dass Lem eigentlich für Darmstadt wie geschaffen ist: Technik und Polen, Literatur und Philosophie, das sind Themen, die hier immer wieder Gegenstand von Debatten und Interessen sind. Und im Laufe der Monate ist aus unserer Ursprungsidee …

Gehring: … die war noch ganz bescheiden, es sollte ja erst einmal nur eine wissenschaftliche Tagung werden …

Loew: (lacht) … ja, daraus ist nun ein ganzes Festival geworden. Es dreht sich um Lem als Autor, um Lem als Anreger, und es hat tatsächlich viele spannende Projekte angeregt: Konzerte in der Hochspannungshalle der TU, Theater und Ausstellung im Staatstheater, ein astraler Mix aus Jazz und Rap in der Centralstation, neue Kompositionen in der Akademie für Tonkunst, Philosophie in der TU. Dabei hat Lem von sich behauptet, er sei vollkommen unmusikalisch!

Gehring: Naja, er kokettiert mit seinem angeblich völlig fehlenden musischen Sinn. Wahrscheinlich hätte er sich am liebsten als Worttechniker bezeichnet. Ich glaube, er hat den Ingenieur so verehrt, dass er selbst eine Sinfonie als technisches Produkt bezeichnet hätte, als Urbild einer Erfindung. Übrigens ist er in den Sterntagebüchern ja auf die herrliche Idee eines „olfaktorischen Orchesters“ gekommen, das nicht Töne hervorbringt, sondern dirigiert werden Orchestermitglieder, die mittels seltsamer Geräte Gerüche hervorbringen.

Loew: Jedenfalls möchten wir mit dem Festival Komet Lem dazu beitragen, einen falscher Weise in Vergessenheit geratenen Autor wieder in Erinnerung zu rufen, die Zusammenarbeit zwischen Deutschem Polen-Institut und TU Darmstadt zu intensivieren – und überhaupt zahlreiche Darmstädter Akteure zusammenzubringen. Aus diesen Kooperationen wird sicherlich noch manches weitere Projekt hervorgehen.

Lem über die Naturwissenschaften

Eines Tages erfindet Trurl eine Maschine, die alles produzieren kann, was mit dem Buchstaben n beginnt. Sein Freund Klapauzius will sie auch einmal ausprobieren und weist sie an, „Naturwissenschaften“ herzustellen:

„Die Maschine summte und brummte, und kurze Zeit später schon wimmelte es nur so in Trurls Vorgarten von Naturwissenschaftlern. Die einen lagen sich in den Haaren, die anderen schrieben an dickleibigen Wälzern, andere wiederum griffen danach und rissen sie in Fetzen; in der Ferne loderten Scheiterhaufen auf, in denen die Märtyrer der Naturwissenschaft umkamen; hin und wieder gab es Explosionen, begleitet von seltsam pilzförmigen Rauchsäulen; alle redeten auf einmal, doch keiner hörte zu, es wurden jede Menge Memoranden, Petitionen und Resolutionen verfaßt; etwas abseits von der lärmenden Menge saßen ein paar Greise und bekritzelten fieberhaft Papierfetzen.

‚Na, ist das vielleicht nichts?!‘ rief Trurl voller Stolz. ‚Die Naturwissenschaft wie sie leibt und lebt. Das mußt du zugeben!‘“
Stanisław Lem: Kyberiade. Frankfurt am Main 1983, S. 10