Per App die Augen öffnen

Juniorprofessor Martin Knöll forscht zu menschengerechter Stadtgestaltung

19.10.2016 von

Die Forschungsgruppe Urban Health Games (UHG) untersucht, an welchen Orten in der Stadt Menschen sich wohl oder unwohl fühlen. Aus den gesammelten Daten sollen Konzepte für eine menschengerechte Stadtgestaltung entstehen. Ein Ziel des Teams um Juniorprofessor Martin Knöll ist es, Bürger für ihre Umwelt zu sensibilisieren. Nun erhielt UHG eine Förderung in Höhe vom 350.000 Euro vom Deutschen Akademischen Austauschdienst.

Auf dem Luisenplatz sammeln Studierende Daten über die Darmstädter Innenstadt. Bild: Marianne Halblaub-Miranda

Der Luisenplatz polarisiert: Der geschäftige Verkehrsknotenpunkt, an dem Fußgänger, Radfahrer, Straßenbahnen und Busse aufeinandertreffen, löst bei vielen Menschen Stress aus. Das ist das Ergebnis einer Studierendenbefragung, die die Forschungsgruppe Urban Health Games vor einiger Zeit durchgeführt hat. Das Spannende: „Bei internationalen Studierenden, die wir befragt haben, schneidet der Luisenplatz gut ab: Von ihnen wird er als aufregender, urbaner Ort wahrgenommen“, sagt Jun.-Prof. Dr.-Ing. Martin Knöll, Architekt und Leiter der interdisziplinären Forschungsgruppe.

Gesammelt werden die Daten mithilfe einer App: Die Nutzer bewegen sich durch die Stadt und geben in ihr Smartphone ein, ob sie die Orte, an denen sie sich aufhalten, als angenehm oder stressig empfinden. Aus diesen Informationen haben die Wissenschaftler Faktoren abgeleitet, die Stressempfinden fördern. „Zum Beispiel hat das Sichtfeld einen Einfluss. Ist es zu groß, kann man zwar selbst viel überblicken, hat aber auch selbst das Gefühl, sehr sichtbar zu sein“, nennt Stadtplaner Knöll ein Beispiel. Hier könne man stadtplanerisch ohne zu großen Aufwand Einfluss nehmen, indem man neue Sichtachsen – etwa durch Begrünung – schafft. Weitere Faktoren sind die Dichte der Bebauung und das Straßennetzwerk.

Datenerhebung mittels App

Mittels der App „MoMe“ wird erhoben, welche Orte von Nutzern als entspannend oder stressig empfunden werden. Grafik: MoMe / Urban Health Games
Mittels der App „MoMe“ wird erhoben, welche Orte von Nutzern als entspannend oder stressig empfunden werden. Grafik: MoMe / Urban Health Games

Die verwendeten Daten werden immer genauer: Im Seminar „Gesundheit und Stadtgestaltung“ schwärmen Studierende aus, um Passanten in der Innenstadt zu befragen. Sie begleiten die Personen an Orte, die diese als unangenehm empfinden und erheben dabei mithilfe der App die genauen GPS-Koordinaten sowie die Blickrichtung, um die Ergebnisse weiter zu verfeinern. „So lernen unsere Studierenden auch Methoden aus der Psychologie kennen – etwa, wie man Interviews führt. Unser Konzept beinhaltet es, auf Menschen zuzugehen. Nur so kann man menschenorientiertes Gestalten in die Lehre einbringen“, sagt Knöll.

Für ihre Arbeit hat die Forschungsgruppe nun eine Förderung des Deutschen Akademischen Austauschdiensts in Höhe von 350.000 Euro erhalten. Das geförderte Projekt PREHealth beschäftigt sich mit der Frage, wie Stadtbewohner ermutigt werden können, den öffentlichen Raum aktiv zu nutzen (siehe Infobox).

„Menschengerechte Stadtgestaltung kann nur dann funktionieren, wenn man die Stadtbewohner für das Thema begeistern kann“, ist Knöll überzeugt, der schon seine Dissertation diesem Thema widmete: Kennt man die Vorlieben und Abneigungen der Einwohner nicht, kann auch in der Planung darauf keine Rücksicht genommen werden. „Dabei helfen uns App-Games als Methode: Sie können die Spielenden animieren und für das Stadtbild sensibilisieren.“ Beim Projekt „Stadtflucht“ etwa wurden die Probanden mittels eines Smartphone-Spiels durch das Hafengebiet rund um den Frankfurter Ostbahnhof gelotst. Ermittelt wurde dabei, an welchen Orten die Spieler Entspannung empfanden. „Bei unseren Untersuchungen fällt uns auf, dass Menschen aller Altersklassen von solchen Spielen fasziniert sind.“

Spätestens der Hype um das Augmented-Reality-Spiel „Pokémon Go“ zeigte, dass besonders Jugendliche für smartphone-unterstützte Aktivitäten empfänglich sind. Neben der Animierung zur Bewegung sind die Spiele auch für das Sammeln von Daten extrem interessant: „Jugendliche spielen im Bereich der Stadtplanung im Moment keine Rolle. Das würde sich ändern, wenn man wüsste, an welchen Orten im öffentlichen Raum sie sich gerne aufhalten und warum“, sagt Martin Knöll. „Wir arbeiten daran, solche Daten zu generieren, um menschengerechte Stadtplanung möglich zu machen.“

Projekt PREHealth

Das Projekt PREHealth („Promoting education and jobs to enhance the use of urban blue and green infrastructure for health and fitness”) wird untersuchen, welche Rolle digitale Anwendungen in der Vermittlung und Planung aktiver und gesundheitsfördernder Räume leisten können. Können Augmented Reality Games beispielsweise die Teilhabe fördern, indem Spieler kollektiv Daten sammeln, aus denen Bewegungsprofile erstellt werden? Zu diesem Zweck werden Anwendungen gemeinsam mit Nutzern entwickelt und in Schulen, Universitäten und in der Erwachsenenbildung getestet.

Am Projekt sind sieben europäische Partner beteiligt, darunter vier Universitäten und Forschungseinrichtungen (TU Darmstadt (Federführung); die Universität Utrecht, PRISMA-Planning and Research Consultants und die Szechenyi Istvan University) sowie drei Städte (Darmstadt, Athen und Gyor) und vier weitere Partner, darunter die Region BrabantCity. PREHealth startet im Dezember 2016 und läuft bis Ende 2019.