Rettung durch Blutsauger

KIVA-Projektwoche setzt auf Insekten als Fliegende Doktoren

22.11.2016 von

Kann und darf man blutsaugende Insekten wie Stechmücken, Schnaken und Tigermücken nutzen, um Impfstoffe und Therapeutika auf Menschen zu übertragen, die von einer Epidemie bedroht sind? Ihre Antworten auf diese Fragen präsentierten 109 Studierende der Biologie, der Philosophie und der Soziologie zum Abschluss ihrer KIVA-Projektwoche.

Eine extrem ansteckende Infektionskrankheit mit erhöhter Todesrate beim Menschen verursacht eine Epidemie in einem südostasiatischen Land. Aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung der Bevölkerung sowie des erhöhten Sicherheitsrisikos für freiwillige medizinische Helfer bieten konventionelle Maßnahmen zur präventiven und akuten Behandlung des Erregers in diesem Fall keine ausreichende Hilfe. Hilfe könnte aus der Luft kommen und durch Wesen, die gemeinhin bestenfalls als lästig gelten: fliegende, blutsaugende Insekten, die während ihrer Mahlzeit durch ihren Speichel Moleküle mit einer spezifischen Wirkung zur Bekämpfung des Erregers in den menschlichen Wirt übertragen können. Sie könnten so zu Fliegenden Doktoren werden, die „impfen“ oder therapieren.

Mit diesem – hypothetischen – Szenario setzten sich 109 Studierende der Biologie, der Philosophie und der Soziologie in zwölf interdisziplinär zusammengesetzten Gruppen während der diesjährigen KIVA-Projektwoche auseinander. Sie mussten eine Fallstudie für einen konkreten Erreger mit hohem Gefährdungspotenzial in einem frei zu wählenden südostasiatischen Land erstellen. Mit Hilfe gentechnischer Methoden sollten sie einen Vektor – also ein fliegendes Insekt als Überträger – zur prophylaktischen oder therapeutischen Behandlung der Infektionskrankheit entwickeln. Dieser musste rückholbar und damit kontrollierbar sein. Auch ein geeigneter Impfstoff oder ein Therapeutikum waren auszuwählen. Neben der Ausarbeitung der biotechnologischen Aspekte sollten die Teams auch die notwendigen Schritte zur Aufklärung der Bevölkerung durch eine Öffentlichkeitskampagne zu ihrem Vorhaben erarbeiten. Die philosophische Aufgabe bestand darin, alle Entscheidungen zu reflektieren und deutlich zu machen, auf der Basis welcher Wertvorstellungen sie getroffen wurden und gängige Vorstellungen stellenweise zu hinterfragen. In jedem Fall mussten auch Chancen und Risiken abgewogen werden.

Begleitet wurden die Studierenden von Betreuerinnen und Betreuern in ihren Gruppen und am Helpdesk sowie von Prof. Dr. Heribert Warzecha und Prof. Dr. Andreas Jürgens (Biologie), Prof. Dr. Christoph Hubig und Prof. Dr. Petra Gehring (Philosophie) sowie Prof. Dr. Marek Fuchs (Soziologie).

Die Aufgabe zur Entwicklung der Fliegenden Doktoren sei durchaus fordernd und berge technische, medizinische, ethische, ökologische oder auch kulturelle Frage und Unwägbarkeiten, bilanziert Professor Dr. Heribert Warzecha, Fachbereich Biologie. „Ein Ziel ist es eben auch, den Studierenden zu zeigen, dass eine Disziplin alleine diese Fragen nicht klären kann.“

Bei der Präsentation ihrer Ergebnisse zeigten die Studierendengruppen, welche unterschiedlichen Ausprägungen des fiktiven Szenarios und welche vielfältigen Lösungsansätze möglich sind. Die Jury war hochkarätig besetzt mit externen Expertinnen und Experten der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, des Zentrums für Infektiologie und Parasitologie der Universitätsklinik Heidelberg, des World Wildlife Funds for Nature Deutschland und des Biotechnologie-Unternehmens IDT Biologika und Vertreterinnen und Vertretern der TU Darmstadt. Sie berücksichtigte bei der Auswahl der besten Projekte sowohl fachliche Aspekte der Lösung als auch Punkte wie die Qualität der getroffenen Entscheidungen und des Umgangs mit ethischen Problemen.

„Ich war sehr beeindruckt, was die Studierenden in der doch kurzen Zeit von einer Woche geleistet haben. Im biologischen Teil gab es sehr interessante Lösungsansätze, an denen man erkennt, dass sich die Studierenden sehr intensiv mit den Moskitos, Krankheitserregern und Präventionsmaßnahmen auseinander gesetzt haben. Wie so häufig in der Projektwoche gab es Lösungsvorschläge, die wir im Vorfeld niemals erwartet hätten. Auch der gesellschaftliche Kontext in den Zielländern sowie die ethischen und philosophischen Aspekte wurden intensiv diskutiert.
Ich denke, die Studierenden haben viel sowohl über ihr jeweiliges Fach als auch über die anderen Fachdisziplinen erfahren können. Und sie haben erkannt, wo sie noch einiges an Fachwissen erwerben müssen.“

Prof. Dr. Heribert Warzecha

Das Treppchen

1. Platz Gruppe 7: Schnake Aedes vexans gegen Fleckfieber auf den Philippinen

In ihrem Szenario beschreiben die Studierenden die Gefahr einer sich ausbreitenden Fleckfieber-Epidemie auf den Philippinen, ausgelöst durch das Bakterium Rickettsia prowazekii. Übertragen wird die Krankheit in diesem Szenario durch die Kleiderlaus, die aufgrund massenhafter Kleiderspenden nach einem Tsunami auf die Inselgruppe gelangt ist. Als Impfstoff wählt die Gruppe die gut verträgliche Variante des Subunit-Impfstoffes aus. Es handelt sich hierbei um eine sogenannte Todimpfung, bei der lediglich die immunologisch relevante Untereinheit (Subunit) des Erregers verabreicht wird. In diesem Fall soll die Schnakenart Aedes vexans genetisch so modifiziert werden, dass sie die immunologisch relevante Untereinheit in ihren Speicheldrüsen produziert. Die Bevölkerung wird mittels einer gut durchdachten Aufklärungskampagne auf die massenhafte Impfung durch Mückenstiche vorbereitet. Bei dieser Kampagne baut die Gruppe auf die Unterstützung der katholischen Kirche und den Einfluss von religiösen ausgerichteten Fernsehsendern, um die überwiegend katholisch gläubige Bevölkerung zu erreichen.

2. Platz Gruppe 10: Tigermücke Aedes albopictus gegen Tollwut auf Laos

In Laos ist eine veränderte Form der Tollwut aufgetreten, die nicht nur über Bisse sondern auch über verunreinigtes Trinkwasser übertragen werden kann und damit zu einem gravierenden Anstieg der Todesfälle im Land führt. In ihrem Szenario möchten die Studierenden die weitere Ausbreitung des Erregers durch die Verabreichung eines Subunit-Impfstoffes über genetisch modifizierte Aedes albopictus-Weibchen (Asiatische Tigermücke) verhindern. Um die Mückenlarven möglichst flächendeckend zu verteilen, hat die Gruppe spezielle Kapseln entworfen, die aus Flugzeugen abgeworfen werden können und voll kompostierbar sind. Die Vermehrung der transgenen Mücken wird durch zwei integrierte Sicherheitsmechanismen verhindert, die u.a. das Absterben der Weibchen nach der Blutmahlzeit bewirken. Auf diese Weise sollen die Fliegenden Doktoren nicht selbst zum Überträger gefährlicher Krankheiten werden.

3. Platz Gruppe 2: Gelbfiebermücke Aedes aegypti gegen Chikungunya-Fieber in Kambodscha

Eine mutierte Form des Chikungunya-Fiebers fordert im Szenario der Studierenden zahlreiche Todesopfer im buddhistischen Kambodscha. Genetisch veränderte Weibchen der Gelbfiebermücke (Aedes aegypti) sollen die Bevölkerung der Ballungszentren durch die Applikation eines Impfstoffes vor Schlimmeren bewahren. Um die Fliegenden Doktoren vom Wildtyp, als potenziellen Krankheitsüberträger, unterscheiden zu können, produzieren die Mücken neben dem Impfstoff auch einen Farbstoff. Eine ausgeklügelte, mehrphasige Aufklärungskampagne sorgt für Transparenz und Akzeptanz des geplanten Vorhabens. Um die Vereinbarkeit des Projekts mit dem Glauben der kambodschanischen Bevölkerung zu prüfen, hielten die Studierenden sogar Rücksprache mit einer buddhistischen Nonne.

Statements der Studierenden

„Wir hatten am Anfang eigentlich den Eindruck, dass das Konzept nicht machbar ist: Kann man das ethisch verantworten? Werden die Mücken Krankheiten übertragen? Und können Mücken überhaupt genug Impfstoff liefern? Aber wir haben dann doch eine Strategie gefunden.“
Linda Paul (Biologie)

„Das Projekt war richtig spannend. Ich habe zum ersten Mal richtig als Soziologin gearbeitet. Ich habe gesehen was unser Aufgabenbereich ist, gerade auch im Zusammenhang mit biologischen Fragestellungen. Das war sehr beeindruckend.“
Janina Heidel (Soziologie)

„Es war das erste Mal, dass ich in der Rolle als Geisteswissenschaftler in einer Teamarbeit mitgewirkt habe. Ich habe gesehen, dass es schwierig ist, sich genug Gehör für seine fachliche Meinung zu verschaffen – aber es ist möglich.“
Bernd Liebenau (Philosophie)