Neue Energieversorgung für Industrieprozesse

Auftakt des Kopernikus-Projekts SynErgie am 30.11. in Darmstadt

29.11.2016 von

Mit den „Kopernikus-Projekten für die Energiewende“ hat das Bundesforschungsministerium die größte Forschungsinitiative zu dieser gesellschaftspolitischen Herausforderung auf den Weg gebracht, für die bis zum Jahr 2025 bis zu 400 Millionen Euro bereitgestellt werden sollen. Eines der vier ausgewählten Schlüsselthemen – die Neuausrichtung von Industrieprozessen auf eine schwankende Energieversorgung – wird von der TU Darmstadt gemeinsam mit der Uni Stuttgart koordiniert. Die Auftaktveranstaltung findet am 30. November 2016 in Darmstadt statt.

Prof. Dr. Eberhard Abele. Bild: Institut PTW
Prof. Dr. Eberhard Abele. Bild: Institut PTW

Eine Herausforderung der Energiewende ist es, die Erzeugung von Wind- und Solarstrom und deren Verbrauch zeitlich aufeinander abzustimmen. Was dies für Schlüsselbranchen und Produktionsabläufe in Unternehmen bedeutet und welche Lösungen vielversprechend sein könnten – von Speichern über Informationstechnologien zur flexiblen und optimierten Steuerung der Stromabnahme bis zur Elektrolyse – werden Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft zum Auftakt des Kopernikus-Projekts „SynErgie“ in Darmstadt abstecken.

Im Interview erläutert Prof. Dr.-Ing. Eberhard Abele, Sprecher des Direktoriums des Kopernikus-Projektes „SynErgie“ und Professor im Fachbereich Maschinenbau der TU, die Bedeutung des Projektes. Er sagt: „Wir vernetzen Windrad und Solarmodul mit der Produktionsmaschine.“

Wie ist das Projekt „SynErgie“ zustande gekommen?

In der internationalen Forschungslandschaft zeichnen wir uns in Deutschland dadurch aus, dass wir mit zahlreichen Forschungsinstituten an Hochschulen und an Fraunhofer-Instituten gerade im Bereich der Produktionsforschung eine sehr hohe Kompetenz aufbauen konnten. Einige dieser Institute haben sich schon zu einem frühen Zeitpunkt mit der Frage der Energieeffizienz in der Produktion aber auch den Möglichkeiten des sogenannten energetischen Demand-Side-Managements in der Industrie befasst. Insofern war es naheliegend, dass die Ausschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) auf ein großes Interesse der heutigen wissenschaftlichen Kernmitglieder des Kopernikus-Projekt „SynErgie“ gestoßen ist.

Zugute kam es den Initiatoren dabei, dass sie vielfältige Kontakte zu der Industrie hatten und somit auch die wirklich interessierten und für ein solches Großprojekt geeigneten Industriepartner ansprechen und auswählen konnten. Die Größe des Konsortiums und vor allem die Abdeckung der deutschen Industrielandschaft mit all den energierelevanten Branchen ist eine Besonderheit. In diesem Konsortium besprechen Energieexperten, Forscher, Anlagenhersteller aber auch Anlagenbetreiber sowie Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Gruppen die Gestaltung des zukünftigen Ansatzes für Demand-Side-Management in vielfältiger Weise. Im Kern ging es in der Antragstellungsphase immer um die Frage: Wie können wir aus Produktionssicht einen möglichst nachhaltigen Beitrag zur Energiewende leisten?

War es schwieriger, die Industriepartner zu überzeugen?

Natürlich ist nicht jede Firma, die von einem Forschungsprojekt hört, gleich dafür zu begeistern. Dafür muss ein Unternehmen zunächst überzeugt werden, dass die neuen Ansätze Synergiepotentiale und letztendlich neue Erkenntnisse liefern. Aber am Ende haben wir ein breit aufgestelltes, hochkompetentes Partnerkonsortium hier zusammengebunden, von dem wir überzeugt sind, dass wir in dem Verbund wertvollere und nachhaltigere Ergebnisse erreichen können als in zahlreichen aufgesplitterten Einzelaktivitäten.

Was sind die Ziele?

Innerhalb der nächsten zehn Jahre wollen wir alle technischen und marktseitigen Voraussetzungen schaffen, um den Energiebedarf der deutschen Industrie maßgeblich mit dem volatilen Energieangebot zu synchronisieren. Das kann natürlich nur gelingen, wenn die Forschungsarbeiten von Anfang an die rechtlichen und sozialen Aspekte berücksichtigen. SynErgie will damit zur gesellschaftlich akzeptierten und gleichzeitig kosteneffizienten Realisierung der Energiewende auf Basis erneuerbarer Energien beitragen. Die erzielten Erkenntnisse bilden zudem die Grundlage für Deutschland, sich international zum Leitanbieter für Demand-Side-Management zu entwickeln und so die deutsche Industrie auch in Zukunft zu stärken.

Aus diesem Gesamtziel lassen sich vier Teilziele ableiten:

  • Erstellen einer Potentialkarte nach Branchen und geographischer Verteilung für die Lastverschiebungspotentiale bei Industrieprozessen und Querschnittstechnologien (Potentialanalyse).
  • Die industrielle Nachfrage muss mit dem zunehmend fluktuierenden Angebot in Einklang gebracht werden. Dazu müssen die neuen Möglichkeiten der IKT auf Demand-Side-Technologien übertragen werden (Smart Grid).
  • Wir müssen die gesellschaftlichen Anforderungen und Auswirkungen energieflexibler Lösungen identifizieren und bewerten, und diese in die Lösungsentwicklung einbeziehen.
  • Der betriebs- und volkswirtschaftliche Nutzen von energieflexiblen Industrieprozessen muss – in Abhängigkeit von regulatorischen Rahmenbedingungen – dargestellt werden. Dazu sind geeignete Markt- und Strompreissysteme zu entwickeln und zu bewerten.
  • Der betriebs- und volkswirtschaftliche Nutzen von energieflexiblen Industrieprozessen muss – in Abhängigkeit von regulatorischen Rahmenbedingungen – dargestellt werden. Dazu sind geeignete Markt- und Strompreissysteme zu entwickeln und zu bewerten.

Damit die Forschungsergebnisse effizient verwertet und erfolgreich in die Industrie, in die weitere Forschung und in die Ausbildung transferiert werden können, wählt das SynErgie-Projekt den Ansatz, die Erkenntnisse in Pilotanlagen und Demonstratoren zu testen und zu veranschaulichen.

Was könnten gesellschaftliche Auswirkungen dieser energieflexiblen Lösungen sein?

Demand-Side-Management kann letztendlich auch Arbeitsbedingungen in der Produktion oder Logistik tangieren. Wenn wir die zur Verfügung stehende volatile Energie wirklich sinnvoll einsetzen wollen, müssen Produktionsanlagen bei Angebot von Sonne und Wind maximale Last abnehmen und in voller Kapazität betrieben werden. In diesem Zusammenhang müssen für die relevanten Industriebranchen flexiblere Arbeitszeitmodelle oder Entkopplungsmodelle für Bediener und Anlage entwickelt werden. Es geht aber nicht nur darum, die ökonomisch beste Lösung zu finden, sondern auch die sinnvollste für die Gesellschaft.

Schauen Sie dabei auch, wie andere Länder das lösen?

Da Deutschland der Vorreiter in der Energiewende ist und die anderen Länder in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nachziehen werden, handelt es sich hier um eine Art spannende Pionierarbeit. Zur Technikfolgenabschätzung wurde die letzten Jahre umfangreich publiziert aber die konkrete Fragestellung vor dem Energiewende-Hintergrund ist neu. Im europäischen Raum gibt es nichts vergleichbares, aber wir stehen im engen Austausch mit unseren internationalen Kollegen. Andere Industrieländer werden über kurz oder lang ähnliche Probleme haben und Lösungen für das sogenannte Demand-Side-Management benötigen. Die globalen Exportchancen für Software, Regelungstechnik und Beratungsdienstleistung sind groß.

In welchen Branchen sehen sie diese Flexibilisierungschancen?

Eine unserer Leitbranchen dafür ist die Aluminiumerzeugung. Ebenfalls großes Potential dürfte in der Zementindustrie, der Papierindustrie aber auch der Luftverflüssigung sein. Darüber hinaus ist die gesamte Produktion im Maschinenbau interessant, wo die Anschlussleistung einzelner Anlagen zwar wesentlicher kleiner ist, dafür aber Anlagen wie Härteöfen tausendfach in Deutschland in Betrieb sind.

Und wie sehen die ersten Schritte des Projekts aus?

Im Kopernikus-Projekt SynErgie sind aktuell über 80 Partner aus Forschung, Industrie und gesellschaftlichen Organisationen vertreten. Sie können sich sicher vorstellen, dass ein effizientes und zielgerichtetes Arbeiten in einem solchen Großprojekt einiges an Anstrengung und Strukturierung erfordert. Um das Projekt handhabbar zu machen, betrachten verschiedene Unterkonsortien gezielt einzelne Aspekte, wie zum Beispiel relevante Schlüsselproduktionsprozesse aus allen energieintensiven Branchen, die Produktionsinfrastruktur, das Markt- und Stromsystem inklusive der gesellschaftlichen Stakeholder oder die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien.

Diese fokussierten Arbeiten sind eingebettet in zwei übergreifende Forschungsthemen: Die branchenübergreifende Analyse des technisch und wirtschaftlich möglichen Flexibilisierungspotenzials, das in der deutschen Industrie vorherrscht. Und in einem zweiten Schritt die Betrachtung von volkswirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Aspekten, unter anderem in der energieflexiblen Modellregion Augsburg.

Können Sie einen Überblick geben, mit welchen Fragen Sie sich im ersten Projektjahr beschäftigen werden?

Das erste Jahr dient zunächst zur klaren Analyse der Gesamtsituation: Mit wieviel Zubau an erneuerbaren und volatilen Energien müssen wir rechnen? Welche Flexibilitätspotentiale haben wir insgesamt? Wo und wie sind diese kurz-, mittel- und langfristig zu heben? Wie können Branchen, Unternehmen und Regionen motiviert werden dieses Flexibilitätspotenzial zu nutzen? Wie viel lokalen Netzausbau können wir durch SynErgie vermeiden? Weitere Fragen, die uns zu Beginn beschäftigen werden, sind: In welchen Technologien sollte folglich die Forschung und Entwicklung weiter intensiviert werden? Wie werden sich die Preise an Regelleistungsmärkten durch die zunehmende Flexibilisierung der industriellen Abnehmer verändern? Und wie lassen sich an den Energiebörsen durch die Projektergebnisse negative Preise vermeiden?

Was sind die größten Hürden, die Sie sehen?

Die Herausforderung liegt einerseits in der Komplexität des Energiesystems aber auch in der Heterogenität der Industrielandschaft in Deutschland. Die Mitglieder des Projektkonsortiums sind überzeugt, dass die vielfältig strukturierten Industriebranchen und Produktionsunternehmen alle einen gewissen Beitrag zur stärkeren Nutzung der volatilen Energien leisten können. Jedoch müssen neben den technischen Möglichkeiten der Anlagen insbesondere Anreize geschaffen werden um zukünftig verstärkt energieintensive Anlagen hochzufahren wenn die „Sonne scheint und der Wind bläst“. Da jedes Unternehmen einzigartig ist bezüglich ihrer Produktionsanlagen und ihrer Produktionssteuerung sind einmal gefundene Lösungsmuster nicht sofort auf weitere Unternehmen übertragbar. Hier ist es eine große Aufgabe des Projektes, Pionierarbeit mit möglichst weitreichenden Impulsen für die deutsche Industrie zu leisten.

Inwiefern beeinflusst die Förderdauer Ihre Forschungsarbeit?

Die Energiewende in Deutschland ist – das zeigen die gesamten Diskussionen der letzten Zeit – keine Aufgabe, die in wenigen Jahren umsetzbar sein wird. Um dieses ambitionierte nationale Projekt erfolgreich zu realisieren bedarf es auch gerade im Projekt SynErgie noch grundlegender Forschungsarbeit, zahlreicher produktionstechnischer Entwicklungen und deren pilotartiger Erprobung in unterschiedlichen Branchen. Insofern ist es außerordentlich begrüßenswert, dass das Kopernikus-Programm mit einem zehnjährigen Forschungsrahmen bewusst langfristig angesetzt ist. Eine kleinstrukturierte Forschungslandschaft mit kurzzeitigen Forschungsprojekten würde dem visionären Ziel der Energiewende nicht gerecht werden.

Wie stellen Sie sich das Ergebnis vor?

Dieselbe Fragen haben wir uns während der Konzeption des Projektes ebenfalls gestellt, und daraus eine Vision entwickelt: Indem wir die Anforderungen einer energetischen Nachfrageflexibilität in die bisherigen umfangreichen Maßnahmen der deutschen Industrie zur Energieeffizienz einbeziehen, erreichen wir, dass der zukünftige Energiebedarf von Produktionsprozessen mit dem fluktuierenden Angebot effizient synchronisiert werden kann.

Dies resultiert für die Unternehmen in verbesserten Konditionen in der Energiebeschaffung und erschließt für das Stromsystem zusätzliche, systemdienliche und leicht verfügbare Flexibilitätskapazitäten. Eine Energie-Synchronisierungs-Plattform steuert und überwacht die Energieverteilung innerhalb des Produktionssystems und reagiert hochdynamisch auf Anforderungen des Stromsystems. Um den Bedarf kostenoptimal decken zu können, nehmen die Unternehmen aktiv am Strommarkt teil und beeinflussen schon proaktiv ihre Produktionsplanung. In den Industriewerken werden Regelleistung und die flexible Energiebeschaffung zu einem frei wählbaren Automatisierungsgrad in Angebote für das Stromsystem übersetzt und effizient vermarktet.

Welchen Beitrag leistet Ihr Kopernikus-Projekt zum Erfolg der Energiewende?

Wir sind davon überzeugt, dass Unternehmen in den nächsten drei bis zehn Jahren durch die immer schnellere und größere Anpassung ihrer Stromnachfrage an das schwankende Stromangebot wesentlich zum Gelingen der Energiewende beitragen können. Ein bedeutsamer Aspekt, um dies zu erreichen, ist die IT-Vernetzung vom Solarmodul oder Windrad bis hin zur Produktionsmaschine. Denn nur, wenn Unternehmen wissen, wann gerade sehr viel oder sehr wenig Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird und die Börse das durch niedrige Strompreise signalisiert, können sie darauf reagieren. Das gilt auch für die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland, die diese Chancen bisher noch nicht ergriffen haben. Diese müssen erst einmal dazu motiviert werden, über das Potenzial nachzudenken! Dafür ist es auch wichtig, den gesamten Prozess transparenter zu gestalten.

Neben den Unternehmen müssen natürlich auch die Betreiber der Strommärkte und Stromnetze „fit“ für die Energiewende gemacht werden. Auch für diese ist die Vernetzung zwischen Erzeugern und Verbrauchern wichtig. Letztendlich müssen die Strommarkt- und Stromnetzbetreiber sicherstellen, dass sich Stromangebot und Stromnachfrage immer ausgleichen. Dies erfordert die Vernetzung von Stromerzeugern, Stromverbrauchern und den Betreibern der Strommärkte und Stromnetze. Aber natürlich reichen für das Gelingen der Energiewende auch vier Projekte in der Größe der Kopernikus-Projekte nicht aus. Am Ende müssen wir alle mithelfen, in vielen großen, mittleren und kleinen Projekten unser aller Verhalten zu ändern, wenn wir die gemeinsam gewollte Energiewende auch gemeinsam zum Erfolg führen wollen.