Spannungsfrei und produktiv

TU Darmstadt und Siemens entwickeln multifunktionale Gleichstromschalter

08.12.2016 von

Partnerschaften zwischen der TU und der Industrie zeichnen sich durch praxisorientierte Forschung an der Nahtstelle von Grundlagenforschung und Produktentwicklung aus. Ein Fallbeispiel.

Peter Hock (li.) und Professor Volker Hinrichsen. Bild: Sandra Junker

Die Energiewende bringt neue Aufgaben mit sich. Dezentrale Energieerzeuger wie Photovoltaikanlagen müssen vernetzt werden, beim Stromtransport lösen Erdkabeltrassen die bisherigen Überland-Freileitungen ab. Das Problem: Mit dem bisher gebräuchlichen Wechselstrom ist vieles davon technisch schwierig oder aufwändig. Eine potenziell günstigere Lösung liegt im Gleichstrom. Doch dieser birgt ganz eigene Herausforderungen. Insbesondere das Schalten – unerlässlich für den Aufbau eines Netzes – sei „nicht trivial“, erklärt Professor Volker Hinrichsen, Leiter des Fachgebiets Hochspannungstechnik am Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik.

Wechselstrom ändert periodisch seine Polarität und hat in regelmäßigen Abständen einen „Nulldurchgang“ – der ideale Zeitpunkt für Schaltvorgänge und der einzige, an dem ein mechanischer Schalter den Strom dauerhaft unterbrechen kann.

Diesen Nulldurchgang gibt es bei Gleichstrom nicht. Deshalb muss ein Gleichstromschalter um weitere Komponenten neben dem eigentlichen Schaltkontakt, der zum Beispiel in einer Vakuumröhre untergebracht ist, ergänzt werden – eine, die mit einem überlagerten Impuls einen künstlichen Nulldurchgang des Stroms erzeugt, und eine, die die dabei entstehenden Überspannungen begrenzt und als Energieabsorger die im Netz gespeicherte Energie aufnimmt. In einem bereits abgeschlossenen Dissertationsprojekt untersuchte das Fachgebiet, wie genau dieser Nullimpuls für einen Vakuumschalter beschaffen sein muss und was ein Vakuumschalter bei Gleichstrombeanspruchung überhaupt leisten kann. „Wir haben die Grenzen ausgelotet“, sagt Hinrichsen zufrieden.

Peter Hock hatte mit seiner Masterarbeit in dem Projekt mitgewirkt. Sein Promotionsprojekt zum Thema „Gleichstromschalten in der Mittelspannung“ in Zusammenarbeit mit der Firma Siemens AG baut nun darauf auf. „Es geht darum, auf Basis der für einen einzelnen Vakuumschalter erforschten Grundlagen ein möglichst kompaktes Modul zu entwickeln, welches eine Kaskadierung, also Hintereinanderschaltung, mehrerer Module ermöglicht und dessen Spezifikationen industriellen und anwendungstauglichen Vorgaben entsprechen“, erklärt Hock.

Lösung für ein drängendes Problem

Blick auf den Laboraufbau. Bild: Sandra Junker
Blick auf den Laboraufbau. Bild: Sandra Junker

Festgelegt wurden die Anforderungen gemeinsam mit den Experten der Siemens AG und anderen Projektpartnern. Hocks Arbeit klärt nun wesentliche Fragen: Kann man solche Module überhaupt einfach in Reihe schalten? Öffnen sich alle Schalter synchron, und verlöschen beim Schalten brennende Lichtbögen gleichzeitig? Was geschieht, wenn mechanische Komponenten altern? Reichen ein gemeinsamer Nullimpulserzeuger und ein gemeinsamer Energieabsorber für mehrere Vakuumschalter oder braucht jeder Schaltkontakt seine eigenen Komponenten?

Das auf fünf Jahre ausgelegte Projekt wird die wesentlichen Parameter liefern, nach denen Schaltmodule für eine künftige Gleichstrom-Mittelspannungsebene hergestellt werden können. Solche könnten zum Beispiel auch jetzt schon im internationalen Bahnverkehr praktisch eingesetzt werden. „Dieses Projekt ist typisch für eine Zusammenarbeit mit der Industrie – wir bearbeiten ein reales Problem, und die Lösung muss anwendbar und bezahlbar sein“, erklärt Hinrichsen.

Die Zusammenarbeit geht über eine Auftragsforschung, also die Transaktion „Geld gegen Forschungsleistung“ und umgekehrt, weit hinaus. Hinrichsen und Hock unterstreichen den kontinuierlichen intensiven Austausch mit dem Industriepartner Siemens AG. Zudem stellt Siemens für das Projekt Standardkomponenten wie auch aufwändige Sonderanfertigungen zur Verfügung, die nicht in den TU-Werkstätten hergestellt werden können. Die TU wiederum bringt bestehende, hoch komplexe Anlagen und Forschungsexpertise ein, die es in dieser Form sonst in Deutschland kaum gibt.

Rahmenvereinbarungen regeln etwa Urheberrechte und Vertraulichkeit und erleichtern so die Kooperation bei Einzelprojekten – „eine für beide Seiten komfortable Situation“, sagt Hinrichsen. Die Verbindungen, die dabei entstehen, halten. Vier ehemalige Doktoranden des Fachgebiets haben bereits ihren Arbeitsplatz bei Siemens gefunden. „Nach fünf Jahren in einem gemeinsamen Projekt kennt man die Qualitäten des anderen und weiß, dass man gute Leute einstellt“, sagt Hinrichsen. „Die Zusammenarbeit ist eine echte Symbiose und eine Win-win-Situation.“

Mehr zur strategischen Partnerschaft zwischen TU und Siemens in der hoch³: