Der Gratwanderer

TU-Beschäftigte im Porträt: Wolf Hertlein

13.04.2017 von

Wolf Hertlein ist Leiter des Beschwerde- und Verbesserungsmanagements für Studium und Lehre an der TU Darmstadt und damit Ansprechpartner für eine Vielzahl an Anfragen. Ein Einblick in seine Arbeit.

Klärt die Dinge, sooft es geht: Wolf Hertlein. Bild: Katrin Binner

Studierende dauert die Korrektur einer schriftlichen Prüfung viel zu lange. Sie beklagen mangelnde Erreichbarkeit von Verwaltungsstellen, kritisieren Klausuren als unfair und zu anspruchsvoll oder ärgern sich darüber, dass sich für sie wichtige Lehrveranstaltungen überschneiden: Das Spektrum der Beschwerden, die im Lehrbetrieb einer Universität anfallen können, ist groß. Seit 2009 gibt es mit Wolf Hertlein für alle Studierenden und Hochschulangehörigen eine Anlaufstelle für Kritikpunkte oder Hinweise, wie sich Dinge und Abläufe verbessern lassen. Und diese wird genutzt: Im vergangenen Sommersemester brachten 95 Personen ihr Anliegen vor, 63 Prozent davon Männer und 34 Prozent Frauen, im Großteil der Fälle Studierende.

„Die Ausschreibung für das Beschwerde- und Verbesserungsmanagement ist mir mehr oder weniger vor die Füße gefallen. Ich wollte gerne mehr mit Menschen arbeiten, reden und helfen, sodass mich die Stellenbeschreibung sehr gereizt hat“, fasst Hertlein, der zuvor seit 1999 in der Pressestelle der TU Darmstadt arbeitete, den Wechsel in die neue Stelle zusammen.

Neue Erfahrungen

Damit begann für den Mathematiker ein neuer und spannender Abschnitt. Vorher gab es keine Stelle dieser Art an der TU und keine Erfahrungen auf diesem Gebiet. Die Literatur zum Thema ist auf den Hochschulbereich bezogen eher spärlich, Ansätze aus der Wirtschaft nur eingeschränkt auf Hochschulen anwendbar. „Anfangs war ich ziemlich hilflos, ich musste selbst etwas entwickeln“, so der 54-Jährige.

Er machte sich voller Elan an die Arbeit: Eine berufsbegleitende Ausbildung als Mediator half vom ersten Tag an für das eigene Rollenverständnis. Hertlein holte sich Anregungen von anderen Hochschulen, initiierte inzwischen fest etablierte Jahrestreffen und vernetzte sich europaweit. Aber auch die internen Ansprechpartner der TU nutzte er für Fragen und Feedback. Aus den gesammelten Ergebnissen und Erfahrungen wurde schließlich das Konzept für das Beschwerde- und Verbesserungsmanagement . Bewusst ist „Beschwerde“ Bestandteil des Titels, so ist klar benannt, dass auch unangenehme Themen auf den Tisch kommen dürfen und ein offenes Ohr finden.

Raum für Ideen und Lösungen

Meist geht es zunächst um Hinhören und Ernstnehmen eines vermeintlichen Problems; der Erstkontakt geschieht oft per E-Mail. Handelt es sich um eine Beschwerde und nicht etwa um einen Beratungsbedarf, der an anderer Stelle bearbeitet werden kann, und betrifft die Kritik das Studium oder die Lehre, prüft Hertlein das Anliegen auf Nachvollziehbarkeit und Berechtigung: „Wenn etwa ein Professor kein Empfehlungsschreiben für ein Stipendium ausstellt, ist das keine legitime Beschwerde im Sinne meiner Arbeit, denn auf ein Empfehlungsschreiben besteht aus meiner Sicht kein Anspruch .“

Im Sommersemester 2016 etwa sah Hertlein sich in 66 von 90 Fällen zuständig. Ist die Beschwerde ein Anliegen, bei dem Hertlein vermitteln kann, folgt üblicherweise ein persönliches Gespräch. Danach nimmt Hertlein meist ebenfalls per E-Mail Kontakt mit der betreffenden Person auf, gegen die sich die Kritik richtet. „Eine schriftliche Nachricht überfällt den Gesprächspartner nicht. Ich hatte Zeit mich vorzubereiten, mein Gegenüber jedoch noch nicht, daher ist die E-Mail meist eine geeignetere Möglichkeit das Anliegen freundlich vorzubringen“, schildert Hertlein sein Vorgehen. Manchmal treffen sich beide Seiten mit ihm als Vermittler, um den Fall zu besprechen. „Das Ziel ist es letztlich zu erreichen, dass sich beide Seiten in einem partizipativen Prozess für die Argumente der jeweils anderen öffnen und so Raum entsteht für Ideen und Lösungen“, fasst Hertlein zusammen, jedoch sei dies der Idealfall.

Nicht jeder Fall verlaufe für alle Seiten zufriedenstellend und meist sei die erste Reaktion erst einmal Rechtfertigung, jedoch stellt Hertlein fest: „An der TU gibt es einen hohen Qualitätsanspruch und eine hohe Kooperationsbereitschaft, das ist bemerkenswert und hilft mir in meiner Arbeit sehr.“

Dennoch komme es auch zu Missverständnissen oder ungeklärten Situationen und selbst bei einer Verständigung sei Zufriedenheit beider Seiten nicht immer erreichbar, so Hertlein. Gerade die schwierigen Fälle seien es jedoch, die er als Erfolgserlebnis empfindet, wenn er zu einer Klärung beitragen konnte. Der begeisterte Bergwanderer vergleicht: „Meine Arbeit hat immer etwas von einer Gratwanderung. Sie ist anstrengend, fühlt sich oft heikel an, ist immer wieder anders. Und ich trage als ‚Bergführer‘ Verantwortung für die anderen und will sie sicher ans Ziel bringen.“

Seit einem Jahr ist das Beschwerde- und Verbesserungsmanagement zusätzlich auch Ansprechstelle für Studierende in Fällen sexualisierter Diskriminierung und Übergriffe. Ein neues und besonders herausforderndes Arbeitsfeld für Hertlein, der seine Tätigkeit auch als ständigen Lernprozess versteht. „Es ist anstrengend, aber eine supergute Arbeit“, fasst er mit einem Lachen zusammen.