Die „Bombenlücke“ wird 60

Geschichte eines Gebäudeteils mit selbsterklärendem Namen

17.05.2017 von

Im September 1944 traf eine Bombe den westlichen Seitenflügel des Alten Hauptgebäudes der Technischen Hochschule Darmstadt in der Hochschulstraße. Die so entstandene Lücke markierte symbolisch die Situation, in der sich die Stadt und die Hochschule am Ende des Zweiten Weltkriegs befanden: Eine Trümmerlandschaft, die nach Wiederaufbau verlangte.

Blick auf die Bombenlücke im Westflügel des Alten Hauptgebäudes (links) – der Neubau nach erfolgter Modernisierung (rechts). Bild: Universitätsarchiv TU Darmstadt / Thomas Ott
Blick auf die Bombenlücke im Westflügel des Alten Hauptgebäudes (links) – der Neubau nach erfolgter Modernisierung (rechts). Bild: Universitätsarchiv TU Darmstadt / Thomas Ott

Rund 80 Prozent des Gebäudebestandes der damaligen TH waren 1945 zerstört; von den ursprünglich 54.000 Quadratmetern Nutzfläche waren lediglich 12.000 Quadratmeter übrig. Für den Wiederaufbau der Hochschule wurde 1949 das Staatliche Hochschulbauamt eingerichtet. Außerdem beauftragte das Land Hessen 1949 den Architekturprofessor Herbert Rimpl zu prüfen, ob die TH wieder an ihrem alten Standort oder besser auf einem neuen Gelände an der Peripherie der Stadt aufgebaut werden sollte. Rimpl legte 1950 ein Konzept (»Rahmen-Raumprogramm«) vor und bot darin verschiedene Lösungsmöglichkeiten an.

Die Hochschule, die Landesregierung und die Stadt Darmstadt einigten sich (eher widerwillig) zugunsten des alten Standortes. Einerseits wollte man den Lehrbetrieb schnellstmöglich wieder aufnehmen, andererseits war vorauszusehen, dass die vorhandenen finanziellen Mittel für den Bau eines neuen Standorts nicht ausreichen würden. Nachdem die nötigen Institutionen geschaffen wurden und die Wirtschaft durch die Währungsreform wieder auf eine solide Basis gebracht wurde, konnte der Wiederaufbau systematisch durchgeführt werden. In den ersten Nachkriegsjahren konzentrierte man sich vor allem auf einfache Reparaturen und Gebäudeinstandsetzungen.

Im Vierjahresplan von 1955 bis 1958 stand unter anderem die bereits damals sogenannte »Bombenlücke« auf dem Programm. An ihrer Stelle sollte ein Neubau entstehen; die Pläne entwarf der TH-Architekturprofessor Heinrich Bartmann. Ein Wiederaufbau in der ursprünglichen Form war nicht in Betracht gezogen worden. Zu aufwendig wäre eine Rekonstruktion des Gebäudeteils gewesen – ein Thema, das in dieser Zeit in vielen deutschen Städten diskutiert wurde. Zudem war man mit der ehemaligen Raumsituation unzufrieden, denn die Geschosshöhen waren enorm und somit unwirtschaftlich und die Raumanordnung ungünstig, da die Arbeitsräume zum Hof und die Flure zum Herrngarten lagen.

Gegenentwurf zum Neoklassizistischen Stil

Professor Bartmann entwarf einen Neubau in Stahlbetonskelettbauweise, der sich mit seiner schlichten Nachkriegsarchitektur von den Nachbargebäudeteilen im neoklassizistischen Stil bewusst absetzen sollte. Um eine effiziente Raumnutzung zu schaffen, wurden die Geschosshöhen verändert und ein zusätzliches viertes Geschoss eingefügt. Erstes und viertes Geschoss haben dieselbe Raumhöhe wie die angrenzenden Gebäudeteile. Die zweite und dritte Etage wurden zu Zwischengeschossen, die eine niedrigere Raumhöhe haben und durch Differenztreppen zu erreichen sind. Erfreulich war, dass trotz der starken Zerstörung die Innenausstattung (Terrazzoböden, das Haupttreppenhaus mit Stufen aus Granit, Säulen sowie die gusseisernen Geländer) unversehrt geblieben waren.

Keine leichte Aufgabe

Die Bauarbeiten begannen 1955. Ein Zwischenfall sorgte für größeres Aufsehen: Bei Abbrucharbeiten an der Ruine stürzte die Außenwand zusammen, da eine Flurdecke von drei übereinander liegenden Korridoren zusammensackte. Es stellte sich heraus, dass die Decken aus Schlackenbeton gegossen waren, ohne sie mit zusätzlichen Trägern zu versteifen. Nach Abschluss der Bauarbeiten im Jahr 1957, also vor nunmehr 60 Jahren, fanden schließlich die Fakultäten für Architektur, Maschinenbau, Kultur- und Staatswissenschaften sowie Teile der naturwissenschaftlichen Fakultäten Platz in der ehemaligen Bombenlücke.

Im Zuge eines größeren Generalsanierungsprojekts wurden 2012 Modernisierungsmaßnahmen am westlichen Seitenflügel vorgenommen. Der Nachkriegsbau erhielt damit eine neue Gebäudehülle. Seinen prägenden Namen hat er nie abgelegt.

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