Geordnete Atome für Quantencomputer

Forschung am Fachbereich Physik

06.01.2020 von

Ein Physik-Forschungsteam entwickelt eine Apparatur, die Atome in gewünschten Mustern anordnet. Auch ein Quantencomputer könnte so funktionieren.

Die nächsten Schritte zum Quantensimulator: Malte Schlosser, Daniel Ohl de Mello, Gerhard Birkl und Dominik Schäffner (von links) besprechen die weiteren Experimente.

In einem Keller im Fachbereich Physik der Technischen Universität Darmstadt öffnet Professor Gerhard Birkl eine Metalltür. In einem halbdunklen Raum steht auf einem wuchtigen Labortisch eine Ansammlung aus Linsen, Spiegeln, Lasern – und eine Vakuumkammer. Der Aufbau erscheint komplex. Gemessen an seiner erstaunlichen Funktion ist er konzeptionell jedoch geradezu simpel. Allein mit Licht verschiebt das Darmstädter Forschungsteam einzelne Atome und ordnet sie zu regelmäßigen Gittern, Würfelaugen oder Buchstaben.

„Wir können die Atome in beliebigen zweidimensionalen Mustern arrangieren, fehlerfrei und mit mehr Atomen als alle vergleichbaren Experimente weltweit“, sagt Birkl, dessen Team diese neue Technik kürzlich in einem renommierten Fachjournal vorgestellt hat. Als Beispiel zeigt der Physiker Fotos, auf denen blaue Fleckchen quadratische Muster von Atomen bilden. Die Forscher liefern einen Beitrag zum Feld der Quantentechnologie, das die Effekte der Quantenphysik für neue Apparate nutzen will. Dazu gehören präzisere Sensoren oder superschnelle Quantencomputer, die bei manchen Aufgaben selbst Supercomputer schlagen sollen.

Als erste Anwendung aber plant Birkls Team einen so genannten Quantensimulator. Dafür will die Gruppe aus einzelnen Atomen ganze Moleküle oder Kristalle nachformen. Mit Hilfe solcher Modelle könnten Forschende schon in wenigen Jahren chemische Reaktionen oder smarte Materialien wie Supraleiter besser verstehen. Herkömmliche Rechner stoßen bei solchen Simulationen schnell an ihre Grenzen.

Wir können die Atome in beliebigen zweidimensionalen Mustern fehlerfrei arrangieren.

Der Rechenaufwand explodiert mit wachsender Anzahl der Atome, aus denen die Modelle bestehen. Selbst Supercomputer schaffen höchstens Verbindungen mit rund 50 Teilchen. Baut man hingegen die zu untersuchenden Materialien aus echten Atomen nach, wächst der Aufwand deutlich lang-samer. Allerdings fällt es normalerweise schwer, beliebig viele Partikel anzuordnen. Die „Skalierbarkeit“, wie Physiker sagen, ist begrenzt.

Die neue Darmstädter Technik hingegen erlaube den Bau von größeren Modellen ohne viel Mehraufwand, sagt Birkl. Der Forscher zeigt eine Glasscheibe mit einer grauen Fläche, die so klein ist wie ein Fingernagel, in der Mitte. „Das ist ein Feld aus Mikrolinsen“, erklärt Birkl. Das Grau kommt von mikroskopisch kleinen Linsen, die in Abständen von einem zehntel Millimeter angeordnet sind. Mit einem Laser bestrahlt, erzeugt jede Linse einen winzigen Brennpunkt, zusammengenommen bilden sie ein regelmäßiges Raster.

„Diese Flecken besonders hoher Lichtintensität halten Atome gefangen“, sagt Birkl. Seine Gruppe projiziert die Brennpunkte mit verkleinerten Abständen von einem tausendstel Millimeter in eine Wolke aus Rubidium-Atomen in der Vakuumkammer auf dem Labortisch. Mehrere Atome sammeln sich in jedem Fokus an. Ziel ist genau ein Atom pro Brennpunkt. Beengt in ihrer Falle stoßen die Teilchen aneinander. Je zwei „kicken“ sich gegenseitig heraus, sodass am Ende entweder kein Atom im Fokuspunkt verbleibt oder genau eines. Das resultierende Muster ist wild zusammengewürfelt. „Um es in eine Ordnung zu bringen, können wir einzelne Atome gezielt von einem besetzten zu einem unbesetzten Platz bewegen“, sagt Birkl. So schreiben die Physiker gewünschte Muster in das Raster.

Zunächst machen sie die Atome sichtbar. Ein Laser bestrahlt die Teilchen, die darauf mit Leuchten antworten. Eine Kamera zeichnet das Muster aus Lichtpunkten auf. Nun ist bekannt, an welchen Plätzen des Gitters Atome sitzen und an welchen nicht. Um die Teilchen in die gewünschte Ordnung zu bringen, ein Quadrat zum Beispiel, nutzen die Forscher eine so genannte optische Pinzette. Das ist ein Laserstrahl, dessen Fokus sich von einem Rasterpunkt zu einem beliebigen anderen verschieben lässt. Durch Erhöhen der Lichtintensität der Pinzette lässt sich ein Atom greifen, durch Verringern wieder absetzen. So bringt dieses Werkzeug ein Atom von einem Platz zum anderen. Ein Algorithmus berechnet die optimale Folge von solchen Zügen, um das Muster schnellstmöglich zu erreichen.

Das ist derzeit Weltrekord.

Bislang gelang es dem Darmstädter Team, 111 Atome fehlerfrei anzuordnen. „Das ist derzeit Weltrekord“, sagt Birkl. Die Skalierung auf wesentlich mehr Teilchen sei lediglich eine technische Frage, fügt er hinzu. „Wir haben bereits Mikrolinsen-Felder mit mehr als 10.000 Einzellinsen, eine Million Linsen lassen sich leicht herstellen.“ Um so viele Atome zu halten, benötige man zudem leistungsstärkere Laser, die es aber gebe.

Zunächst aber planen die Forscher erste Simulationen realer Materialien. „Wir interessieren uns besonders für Graphen“, sagt Birkl. Das ist ein sehr stabiles Netz, das sich aus Sechsecken von Kohlenstoff-Atomen zusammensetzt, Bienenwaben ähnlich. Das oft so genannte „Wundermaterial“ soll hochfeste Werkstoffe ermöglichen oder wegen einzigartiger elektronischen Eigenschaften besonders präzise Sensoren oder schnelle Rechenchips. Um die Eigenschaften eines simulierten Materials zu erkunden, kann Birkls Team die Wechselwirkungen zwischen den Atomen justieren. Dazu regen sie die Teilchen so mit Energie an, dass sie sich vergrößern und gegenseitig stärker beeinflussen.

Graphen bietet sich als Testmodell auch deshalb an, weil es aus nur einer Schicht von Atomen besteht, mithin wie das Atommuster in Birkls Apparatur ein 2-dimensionales Muster darstellt. Die meisten Moleküle haben aber eine dreidimensionale Struktur, Kristalle sowieso. „Mehrere Fokusebenen lassen sich jedoch in mehreren Ebenen hintereinander anordnen“, sagt Birkl. Dazu forscht sein Team bereits. In ein 3D-Raster können dann auch 3D-Muster geschrieben werden.

Auch für künftige Quantencomputer könnte die Darmstädter Methode nützlich sein. Diese sollen einmal Rechenaufgaben lösen, deren Komplexität die Kapazitäten von herkömmlichen Supercomputern bei weitem sprengen. Dazu zählt etwa das Aufspüren von versteckten Mustern in riesigen Datenmengen. Dafür werden solche Rechner tausende, wenn nicht Millionen von „Quantenbits“ benötigen. Atome können diese Art von Speichereinheit, welche die beiden Werte 0 und 1 gleichzeitig speichern, verwirklichen. „Wir können auch grundlegende Operationen zwischen Quantenbits in unserer Apparatur ausführen“, erklärt Birkl. In dem Darmstädter Kellerlabor könnte also in naher Zukunft einer der fortschrittlichsten Computer stehen.

Publikationen

Defect-Free Assembly of 2D Clusters of More Than 100 Single-Atom Quantum Systems“, Physical Review Letters 122, 203601 (2019).

Allgemeinverständliche Darstellung: „Skalierbare Quantentechnologie mit mehr als 100 Atomen”, Physik in unserer Zeit, 50, 215 (2019)