„Es muss keine Hollywood-Produktion werden“

Interview mit Christian Hoppe, Leiter der Arbeitsgruppe E-Learning

17.04.2020 von

Christian Hoppe ist Leiter der Arbeitsgruppe E-Learning an der Hochschuldidaktischen Arbeitsstelle (HDA) der TU. Sein Team arbeitet derzeit fast rund um Uhr, damit die Universität, Lehrende und Studierende in ein digitales Semester starten können. Im Interview spricht der auf Mediendidaktik spezialisierte Diplom-Pädagoge über Herausforderungen und Pragmatismus, virtuelle Vorlesungen und welche Angebote sowie Hilfen die TU jetzt bieten kann.

An der TU wird nicht erst seit Corona an digitalen Angeboten gearbeitet. Was ist derzeit die größte Herausforderung?

Bisher ging es darum, mit digitalen Tools die Präsenzlehre zu ergänzen. Sie waren eine Begleitung oder Möglichkeit, mit Studierenden abseits von Vorlesungen oder Seminaren zu interagieren. Jetzt müssen wir die Lehrveranstaltungen digitalisieren. Das ist eine Herausforderung. Unser Team ist nicht riesig. Wir sind zur dritt in der Hochschuldidaktik und zusätzlich zwei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich im Hochschulrechenzentrum ausschließlich um E-Learning. Derzeit sind wir im Dauereinsatz.

Christian Hoppe, Leiter der Arbeitsgruppe E-Learning an der Hochschuldidaktischen Arbeitsstelle (HDA)
Christian Hoppe, Leiter der Arbeitsgruppe E-Learning an der Hochschuldidaktischen Arbeitsstelle (HDA)

Wie sind die Fachbereiche aufgestellt, gibt es einen E-Learning-Bestand, auf den sich jetzt zurückgreifen lässt?

Viele Fachbereiche haben sich schon vor Jahren auf den Weg gemacht, andere waren zurückhaltender. Das Bild ist durchaus divers. Sehr aktiv sind etwa Informatik, Elektro- und Informationstechnik, die Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, aber auch die Human- und Gesellschaftswissenschaften. Laut unserer jährlichen Erhebungen verzeichnen wir schon vor Corona einen kontinuierlichen Zuwachs von durchschnittlich 7 Prozent bei der Nutzung digitaler Angebote. Neben der Aufzeichnung von Lehrveranstaltungen ist vor allem die Nutzung der Lernplattform Moodle mit ihren vielfältigen Möglichkeiten zur Unterstützung des Lernprozesses beliebt. Im Kommen sind jedoch auch digitale Tools, welche die Interaktion im Hörsaal fördern oder die Durchführung von Prüfungen effizienter gestalten.

Welche Hilfen bieten ihr Team an?

Wir bieten vielfältige Schulungs- und Beratungsangebote an. Dafür haben wir eine eigene Corona-Informationsseite im Web eingestellt, die täglich aktualisiert wird. Wir empfehlen vor allem eine asynchrone Nutzung, weil das im Gegensatz zu Liveangeboten oder Video-Konferenzen nicht zu einer eventuellen Überlastung des Systems oder der Internetleitungen führen kann. Am besten sind niedrigschwellige Angebote. Vorlesungen kann man selbst außerhalb des Campus-Büros aufnehmen, wir stellen dafür Tools zur Verfügung, die Ton, Bild oder Folien aufzeichnen. Pragmatismus ist gefragt. Es muss keine Hollywood-Produktion werden. Die Aufzeichnung von Vorlesungen ist das einfachste Format und wird viel genutzt, kombiniert etwa mit Verknüpfungen zur Uni-Bibliothek, die ebenfalls ein breites Angebot an E-Books und elektronischen Zeitschriften bereithält. Ergänzen lässt sich das mit interaktiven Formaten, um den Kontakt zu Studierenden zu halten. Auf den Lernplattformen kann man Foren einrichten, in denen sich Studierende und Lehrende austauschen können. Es gibt Tools für Umfragen, Übungen oder Gruppenarbeit, auch da beraten wir, welches Konzept das passende ist.

Warum empfehlen Sie asynchrone Angebote?

Wir dürfen die Studierenden nicht vergessen. Sie befinden sich in der gleichen Ausnahmesituation wie alle anderen. Ein zu großer Anteil an Live-Angeboten könnte ihre Situation verschärfen. Wir wissen nicht, ob in WGs alle ein solches Angebot abrufen können, ob Interleitungen stabil genug sind, ob gleichzeitig noch Kinder oder Pflegebedürftige betreut werden müssen. Livemomente sollten besser auf regelmäßige Sprechzeiten oder ergänzende Online-Übungen begrenzt bleiben. Diese Empfehlung deckt sich mit Erfahrungen, die auch andere Hochschulen machen.

Gibt es einen Austausch hessen- oder bundesweit?

Bereits seit Jahren gibt es etablierte Netzwerke mit anderen Hochschulen und einen regelmäßigen Austausch zum Thema Digitalisierung. Jede Hochschule hat ihren eigenen Schwerpunkt gesetzt. Die Uni Kassel etwa hat ein eigenes digitales Prüfungszentrum für PC-Klausuren eingerichtet. Die TU hat einen starken Fokus auf den mediendidaktischen Konzepten digitaler Lehre. Von diesen Erfahrungen profitieren wir nun gegenseitig.

Digitale Prüfungen sind ein ganz eigenes Thema.

Da stehen wir komplett am Anfang. Mitte 2019 haben wir an der TU dazu ein Projekt und eine Abfrage bei allen Fachbereichen gestartet. Wegen der Corona-Krise müssen wir nun schneller schauen, unter welchen Bedingungen wir Prüfungen online stattfinden lassen können. Es gibt Proctoring-Tools zur Überwachung, die überprüfen können, ob alle an ihren PC sitzen, ob jemand googelt oder versucht zu betrügen. Das ist derzeit hessenweit ein Thema, bei dem sich alle Hochschulen austauschen und unterstützen. Zu klären sind Fragen des Datenschutzes – wie reagieren die Studierenden darauf, Prüfungsordnungen und Infrastrukturen müssen angepasst werden. Welche Konzepte gibt es für Massenprüfungen mit bis zu 800 Studierenden? Das ist ein Kulturwandel. Was vorher undenkbar und nicht gewollt war, kommt jetzt neu in die Diskussion.

Welche Reaktionen erleben Sie?

Die Reaktionen sind unterschiedlich. Es ist eine Herausforderung, die wir mit viel Pragmatismus angehen müssen. Was ist machbar in der kurzen Zeit? Wie können wir die Qualität in der Lehre halten? Ausbauen lässt sie sich derzeit vermutlich nicht. Es gibt Lehrveranstaltungen, die nur schwer zu digitalisieren sind.

Welche sind das zum Beispiel?

In der Architektur lässt sich die Diskussion über Entwürfe, der Kommunikationsaustausch nicht so einfach ersetzen. Laborübungen sind in der Chemie oder auch Biologie ein großes Thema. Es ließen sich 360-Grad-Videos aus den Laboren produzieren, die mit Informationen zu den Bildern ergänzt werden können, aber das ersetzt nicht die reale Arbeit im Labor. Das Instrument Virtual Reality und VR-Brillen für virtuelle Laborarbeiten sind noch nicht in dem Maße vorhanden. Und eine TU-authentische Laborumgebung müsste erst einmal in der Kürze der Zeit programmiert werden. In der Bauphysik sind die Kollegen weiter. Dort gab es TU-spezifische Angebote schon vor Corona, aber das ist noch die Ausnahme.

Was raten Sie zum Semesterstart?

Man wächst an den Aufgaben und Erfahrungen. Wir werden sicherlich mit einem guten Angebot starten, das die Studierenden abrufen können. Studierende und Lehrende müssen in der ersten Zeit schauen, wie sie damit klarkommen. Ich halte es für eine Illusion zu glauben, dass die junge Generation aus „digital Natives“ besteht, die alles wissen und sich problemlos mit neuen Medien zurechtfinden. Auch Studierende müssen wir erst heranführen und unterstützen. Dies wird ein gemeinsamer Lernprozess.

Helfen Sie bei Problemen?

Wir können individuell nicht dauernd ansprechbar sein, aber wir bieten Infos über die Webseite, Online-Workshops, Schulungen, Videos, Selbstlernkurse, Links und sehr gut erklärte Handreichungen und Erfahrungsberichte an. Wir sammeln gerade weitere Ideen und werden das Angebot sukzessiv ausbauen. Unterstützt werden wir von einem Team aus rund 20 Studierenden, die richtig klasse Verantwortung übernehmen und uns zur Seite stehen, etwa wenn es darum geht, Video-Tafelaufzeichnungen in Hörsälen zu drehen oder Supportanfragen zur Lernplattform zu beantworten. Ohne sie wäre vieles nicht möglich. Wir versuchen, die Situation gemeinsam anzugehen – und manchmal wird sicherlich auch ein wenig Nachsicht nötig sein.