Steile Lernkurve

Kreative Notlösungen an der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB)

07.05.2020 von

Die Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) hält in der Corona-Krise einen Basisservice für Studierende und Wissenschaftler bereit. ULB-Direktor Thomas Stäcker sieht in der vom Virus beschleunigten Digitalisierung „eine Chance“. Das Engagement der Beschäftigten hat ihn beeindruckt und viele Ideen und Notlösungen für das digitale Sommersemester taugen auch für die Zeit danach. Er ist sicher: Die positive Erfahrung mit mobiler Arbeit und Videokonferenzen wird den künftigen Berufsalltag und die Suche nach Fachkräften erleichtern.

Prof. Dr. Thomas Stäcker, Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek.

Den Lockdown hat die Bibliothek vergleichsweise gut überstanden. Zwar war die Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) von einem auf den anderen Tag als Lernort und Forschungssaal geschlossen, die Ausleihe von Printmedien nicht mehr möglich und mehr als drei Viertel des Personals stellten auf mobile Arbeit um, doch die Suche nach anderen Wegen und Möglichkeiten begann sofort. Ein Krisenteam trat zusammen.

Damit Beschäftigte von zuhause weiterarbeiten konnten, ermöglichte die ULB für sie die Nutzung der Katalogisierungssoftware und anderer Softwarewerkzeuge am heimischen PC und stellte, wenn nötig, auch die entsprechende Hardware zur Verfügung. Magazinpersonal, dessen Arbeiten vorübergehend ausgesetzt waren, konnten Fortbildungsmaßnahmen in Form von eigens erstellten Webinaren wahrnehmen. Treffen und Absprachen finden seither digital statt, wofür sogar ein eigener Videokonferenzservice und ein Chatraum installiert wurden. „Der innere Betrieb funktioniert sehr gut. Videokonferenzen klappen mittlerweile souverän“, sagt ULB-Chef Thomas Stäcker.

Scan-Service für Printmedien

Die Einschränkungen für die Nutzer der ULB waren erheblich, doch auch der Ausleihbetrieb ist mittlerweile wieder gut angelaufen. Hart war es vor allem für die Nutzer von Printmedien und Druckprodukten, sagt Professor Stäcker. Deren Anteil liegt immer noch sehr hoch – vor allem, aber nicht nur bei den Geisteswissenschaften. „Sie hätten im Regen gestanden, wenn wir nicht schnell reagiert hätten“, so der Direktor. Schon einen Tag nach dem Shutdown hat das ULB-Team daher einen Scan-Service organisiert. Per Mail konnten Studierende und Wissenschaftler Texte oder Seiten aus Printmedien und Zeitschriften bestellen, die im Rahmen des urheberrechtlich zulässigen Umfangs eingescannt und zugemailt werden. Bis zu 80 Bestellungen nimmt die Bibliothek seither fast jeden Tag entgegen, die von mehreren Beschäftigten abgearbeitet werden. „Ein Service, um die Not zu lindern“, erklärt Stäcker.

Inzwischen ermöglicht die Bibliothek wieder einen limitierten Zugang. Das ULB-Team hat weitere Ideen entwickelt, um die Corona-Zeit zu überbrücken. Gegen Gebühr schickt die Bibliothek beispielsweise bis zu drei Bücher auch per Post zu – gedacht ist das für Nutzer, die das Semester nicht in Darmstadt verbringen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können Bücher, die sie dringend brauchen, aber auch selbst kaufen, später der Bibliothek zur Verfügung stellen und der ULB in Rechnung stellen. Was gekauft wird, muss vorher allerdings abgestimmt werden, sagt Stäcker. Per Web-Formular können Studierende und Wissenschaftler nach wie vor auch Erwerbungsvorschläge für Publikationen einreichen.

Weiterer Ausbau des digitalen Angebots

Nicht erst seit Corona baut die ULB kontinuierlich ihr digitales Angebot aus, betont der Direktor. Insbesondere in der gegenwärtigen Situation eines erstmals virtuellen Sommersemesters leistet die ULB damit wertvolle Unterstützung für digitale Lehrveranstaltungen und ihre Vorbereitung. Neben der vermehrten Beschaffung von E-Medien soll auch der Semesterapparat – also der Buchbestand, den Studierende für bestimmte Kurse benötigen – verstärkt digitalisiert werden.

Forschende, die dieser Tage wertvolle historische Handschriften oder andere rare Bestände der ULB einsehen wollen, die noch nicht digitalisiert sind, können auf einen besonderen Service per Webcam zurückgreifen. „Ihnen wird das Buch in einer einstündigen Video-Sitzung vorgeblättert.“ Die Kamera ist auf die Buchseiten gerichtet und das ULB-Fachpersonal gibt die gewünschten Erläuterungen dazu. „Unsere Leute waren sehr kreativ“, freut sich Stäcker. Auch die vor Corona im Präsenzformat geplanten Veranstaltungen für Nutzer der ULB finden jetzt digital statt. Angeboten werden Sprechstunden, Workshops und Coffee Lectures zu den Themen Literaturrecherche, -beschaffung, und -verwaltung, Zitieren, LaTeX, Word, Forschungsdatenmanagement, Publizieren, Patente, Normen und Bestandserhaltung.

Fruchtbare Erfahrungen

Das Virus hat die Abläufe durcheinandergewirbelt, aber die Erfahrungen mit der Krise beschreibt der ULB-Chef als sehr fruchtbar. „Wir verwalten nicht die Krise, sondern gestalten den Wandel“, betont er. „Die Lernkurve, die wir gerade bei der Nutzung digitaler Medien im Regelbetrieb hingelegt haben, ist steil.“ Die Vorzüge einer Digitalisierung seien sichtbar „und dieser Möglichkeiten wollen wir uns auch in Zukunft bedienen“. Sicherlich würden auch künftig Konferenzen und Besprechungen etwa der ULB-Dependancen Lichtwiese, Stadtmitte und Schloss elektronisch stattfinden. „Man muss sich nicht immer persönlich treffen“, so Stäcker. Die gerade zu schätzen gelernte Kultur des Homeoffice und der mobilen Arbeit will die ULB weiterentwickeln. „Das macht das Arbeitsleben und die Rekrutierung von Fachkräften leichter“, ist er sicher. Wer etwa in Stuttgart mit der Familie lebe, verwurzelt sei und nicht dauerhaft umziehen wolle, der könne leichter für eine Anstellung in Darmstadt gewonnen werden, ohne ständig präsent sein zu müssen. Das schaffe Platz und Freiheiten, eröffne Chancen bei der Organisation des Familienlebens, der Wohnortwahl, lindere Wohnungsnot, teure Mieten und vielleicht sogar das Stadt-Land-Gefälle.

Die Corona-Krise hat für Thomas Stäcker viel positive Energie freigesetzt. „Mein Team hat sich reingekniet. So viel Engagement und Miteinander hat mich sehr berührt“, sagt er.