Fahrzeuge revolutionär neu gedacht

Forschungskonsortium UNICARagil entwickelt Vielseitigkeitsfahrzeug

08.05.2020 von

Das automatisierte und elektrifizierte Fahrzeug ist ein zentraler Baustein moderner Mobilitätskonzepte. Auf die Straße kommt es aber nur mit neuen Architekturen und Entwicklungsprozessen. Unter dem Motto disruptiv, modular und agil wirft das Forschungskonsortium UNICARagil bislang in der Automobilindustrie vorherrschende Strategien über Bord. Um die Sicherheit, die Lokalisierung und die Bewegungsregelung des neuen Vielseitigkeitsfahrzeugs kümmert sich die TU Darmstadt.

Auf der Basis eines gemeinsamen Grundgerüsts sollen vier Anwendungsfälle entstehen.

„Wir erfinden das Fahrzeug und seine Entwicklung komplett neu“, erklärt Hermann Winner, Leiter des Fachgebiets Fahrzeugtechnik (FZD) der TU Darmstadt. Statt wie bislang Autos evolutionär in den bisherigen Anwendungen zu optimieren, verfolgen er und seine Forschungspartner ein disruptiv modulares Konzept. Auf der Basis eines gemeinsamen Grundgerüsts sollen vier Anwendungsfälle entstehen: ein Transporter, der als Personenshuttle oder Lieferwagen genutzt werden kann, und ein Pkw, der später als Privatauto oder Taxi durch die Straßen fahren soll. Alle vier bedienen sich der gleichen Module, unter anderem eines Sensorsystems, das das gesamte Umfeld aufzeichnet, eines Antriebs, der mit der Lenkung und der Bremse in Radeinheiten integriert ist, und Teilen der Karosserie.

„Unser Ziel ist es, künftig Autos wie aus dem Legobaukasten und mit agilen Methoden fertigen zu können“, sagt Winner. Agil ist auch das Fahrzeug selbst. Lenkbar an allen vier Rädern ist es bidirektional unterwegs und kommt zum Beispiel mit einem sehr kleinen Wendekreis aus und kann seitwärts einparken. Die ebenfalls modular gestaltete Softwarearchitektur ist – wie ein „rollendes Handy“ – dienste-basiert und arbeitet mit Apps, die erst miteinander verknüpft werden, wenn das Fahrzeug startet. Zur Halbzeit kann das Konsortium, zu dem führende deutsche Hochschulen und ausgewählte Forscher aus der Industrie gehören, die Plattformen für die vier Fahrzeugtypen und den Prototypen des Sensormoduls präsentieren sowie Simulationen, die unter anderem verschiedene Fahrmanöver zeigen.

Für das Sicherheitskonzept, Lokalisierungssystem und die Bewegungsregelung des neuen fahrerlosen Fahrzeugs ist die TU Darmstadt zuständig. So entwickelt das FZD einen Dienst, der zum Beispiel bei einem Komponentenausfall das Fahrzeug auf eine „Notbahn“ umleitet und dort kontrolliert anhält, ohne Insassen und andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Es ist außerdem für die Absicherung der Module zuständig, die künftig nicht mehr spät als Gesamtsystem, sondern früh einzeln auf ihre Sicherheit getestet werden sollen, sowie für die Kategorisierung von Streckenabschnitten in Anforderungskategorien. Diese soll sicherstellen, dass ein Fahrzeug nur auf solchen Strecken fährt, die es mit seinen aktuellen Fahrfähigkeiten auch bewältigen kann. „Wir fahren nur das, was wir können“, erläutert Hermann Winner. Gemeinsam mit dem Fachgebiet Physikalische Geodäsie und Satellitengeodäsie (PSGD) entwickeln die FZD-Experten schließlich ein Steuerungssystem, das aus Ist-Daten über Ort und Orientierung Stellgrößen berechnet und dafür sorgt, dass das Fahrzeug den vorgegebenen Kurs exakt einhält.

In den kommenden zwei Jahren will der Verbund die Softwareentwicklung und den Aufbau der vier Prototypen weiter vorantreiben. Die Nutzungsszenarien, die das Konsortium am Ende des Projektes vorstellen will, reichen vom Privat-Pkw, der selbstständig sein Ziel erreicht, über das „Motto-Taxi“ für spezielle Angebote bis hin zum Mini-Bus, der den ÖPNV ergänzt, und Transporter, der automatisiert Paketstationen auffüllen kann.

UNICARagil wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Förderschwerpunktes „Disruptive Fahrzeugkonzepte für die autonome elektrische Mobilität“ (Auto-Dis) gefördert und läuft bis zum 01. Februar 2022.

Unter der Federführung der RWTH Aachen beteiligen sich an dem Konsortium folgende Hochschulen: TU Braunschweig, TU Darmstadt, Karlsruher Institut für Technologie, TU München, Universität Passau, Universität Stuttgart und Universität Ulm. Industriepartner sind: ATLATEC GmbH, flyXdrive GmbH, iMAR Navigation GmbH, IPG Automotive GmbH, Schaeffler Technologies AG & Co. KG und VIRES Simulationstechnologie GmbH. Die TU Darmstadt verantwortet die Arbeitspakete „Modulare Absicherung“ (FZD) sowie „Bewegungsregelung und Sicheres Anhalten“ (FZD, PSGD).

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