Fundstücke aus der ULB

Verfassungstexte und Protokolle erinnern an 200 Jahre Verfassungsgeschichte

06.07.2020 von

Vor 200 Jahren war das Darmstädter Residenzschloss, heute eine der zentralen Liegenschaften der TU Darmstadt, Schauplatz einer staatspolitischen Premiere: Mit einer Thronrede eröffnete Großherzog Ludwig I. am 27. Juni 1820 feierlich die erstmals berufene Ständeversammlung. Ihr Ziel: die Beratung und Gestaltung einer Verfassung für das noch junge Großherzogtum.

Dies geschah nicht ganz freiwillig, denn Hessen war bislang nicht mit konstitutionellen Experimenten hervorgetreten. Es war die Deutsche Bundesakte, die 1815 in Artikel XIII den Mitgliedsstaaten den Erlass einer landständischen Verfassung vorschrieb.

Das Großherzogtum Hessen war ein Produkt der Säkularisation und Mediatisierung infolge der französischen Revolution, das mit der Gründung des Rheinbundes 1806 in den Kreis der souveränen Staaten aufgestiegen war.

So unterschiedlich wie die Landesteile waren auch die verschiedenen Herrschaftstraditionen. 1806 wurden die bestehenden Partizipationsrechte, insbesondere die starke Stellung der westfälischen Landstände, im Zuge der Staatsbildung ersatzlos aufgehoben. Erst 1816, nachdem das Großherzogtum durch den Wiener Kongress abermals neue Grenzen erhalten hatte, begann Ludwig I. mit der Verfassungsgebung von oben.

Verfassung des Großherzogthums Hessen, Druck: Gießen 1822.
Verfassung des Großherzogthums Hessen, Druck: Gießen 1822.

1820 – Hessen bekommt ein Parlament

Das Edikt über die landständische Verfassung vom 18. März 1820 bildete den Rahmen für den weiteren Konstitutionalisierungsprozess. Hessen bekam ein Parlament – allerdings war es noch weit entfernt von einer demokratisch legitimierten Volksvertretung im modernen Sinne. Die Landstände bestanden aus zwei Kammern, von denen die Erste Kammer aus Angehörigen des Herrscherhauses, Vertretern des Hochadels und führenden Beamten, darunter dem Kanzler der Universität Gießen, bestand. Auch die beiden Spitzen der evangelischen und katholischen Kirche in Hessen sowie weitere vom Großherzog ausgewählte Persönlichkeiten waren hier Mitglied. In die Zweite Kammer wurden Vertreter des grundbesitzenden Adels, der Städte und der ländlichen Wahlkreise gewählt.

Nach der formalen Eröffnung der Versammlung am 27. Juni 1820 erfolgte am 28. Juni die erste gemeinsame Sitzung, in der die Regierung ihre Vorstellungen übermittelte. Seit dem 1. Juli tagte die Zweite Kammer getrennt. Das Ergebnis war die Verfassung des Großherzogtums vom 17. Dezember 1820. Erlassen von Ludwig I. bildete sie das staatsrechtliche Fundament für die bis 1918 bestehende konstitutionelle Monarchie.

200 Jahre Verfassungsstaat und Parlamentarismus haben im Bestand der ULB Darmstadt ihre Spuren hinterlassen. Zeitgenössische Drucke der Verfassungsurkunde haben sich ebenso erhalten wie gedruckte Thronreden und Landtagsabschiede. Eine Besonderheit bilden die nahezu vollständigen Protokollserien der Landstände. Sie konnten teilweise aus dem Archiv des Landtags übernommen werden und tragen noch heute Besitzstempel und Exlibris aus großherzoglicher Zeit. Sie werden im Rahmen eines vom Hessischen Landtag finanzierten Projekts digitalisiert und 2021 zusammen mit den Protokollen der übrigen Vorgängerparlamente im Web präsentiert.

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