Ländersache Infektionsschutz

Forschungsprojekt „Corona-Verordnungen im deutschen Föderalismus“

24.08.2020

Professorin Nathalie Behnke vom Institut für Politikwissenschaft am Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften der TU untersucht die Unterschiede bei den Corona-Schutzmaßnahmen der Länder. Erste Zwischenergebnisse wurden nun veröffentlicht.

Auch die Verordnungen zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen sind Ländersache.

Gemäß der föderalen Ordnung der Bundesrepublik sowie der Vorgaben im Infektionsschutzgesetz liegt die Kompetenz für die Formulierung und Umsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen bei den Bundesländern. Zwar hat im Zuge der Gesetzesnovelle des Infektionsschutzgesetzes am 25. März 2020 der Bund seine Kompetenzen im Pandemieschutz ausgeweitet und hätte im Prinzip nun das Recht, in bestimmten Themenbereichen auch einheitliche Regulierungen zu erlassen. Bislang hat die Bundesregierung jedoch weitgehend darauf verzichtet, von dieser Kompetenz Gebrauch zu machen. Stattdessen erlassen die Länder – in enger Abstimmung untereinander und mit dem Bund – jeweils eigene Corona-Verordnungen. Dementsprechend erleben wir seit dem Beginn des Pandemie-Lockdowns im März 2020 ein Nebeneinander von 16 Corona-Verordnungen teils unterschiedlichen Inhalts. In den Medien und teils in der wissenschaftlichen Debatte wird deshalb häufig vom ,Flickenteppich‘ gesprochen und die Krisentauglichkeit des deutschen Föderalismus in Zweifel gezogen.

Um empirisch klarer feststellen zu können, wie groß tatsächlich die Unterschiede in den Infektionsschutzmaßnahmen der Länder sind (und wie problematisch dementsprechend die föderale Ordnung für die Bewältigung einer pandemischen Krise ist), hat Professorin Nathalie Behnke vom Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt mit ihrem Team für den Zeitraum von Mitte März bis Mitte Juni alle Rechtsgrundlagen der Länder – im Wesentlichen Rechtsverordnungen und Allgemeinverfügungen – mit Bezug zum Corona-Pandemieschutz gesammelt und ausgewertet. Die Auswertung bezieht sich auf drei Aspekte:

• Erstens wird in einer Themen- und Zeitübersicht dargestellt, welche Art von Maßnahmen in welchem Bundesland wann eingeführt, geändert oder gelockert wurden. Hierbei wird die gesamte Bandbreite der Infektionsschutz-Maßnahmen – von allgemeinen Hygienemaßnahmen wie Abstandsgeboten oder Maskenpflicht über Regelungen für Reiseheimkehrer, Versammlungs- und Veranstaltungsverbote, Betretensverbote und Verhaltensregeln für Kranken-, Pflege- und Betreuungseinrichtungen, Schließung von Einrichtungen, Betrieben und Gastronomien bis hin zu Regelung von Freizeit-, Sport-, Kultur- und Reiseaktivitäten – betrachtet. Es zeigt sich, dass der Weg in den Lockdown zeitlich eng koordiniert stattgefunden hat und kaum Unterschiede zwischen den Ländern bestehen. Der Weg aus dem Lockdown heraus, also die Lockerung der Maßnahmen, ist jedoch sowohl inhaltlich als auch zeitlich wesentlich uneinheitlicher. Selbst beim Weg aus dem Lockdown heraus zeigen sich aber Effekte der wechselseitigen Beobachtung und Anpassung zwischen den Ländern im Sinne von Best Practices.

• Zweitens werden für einen Ausschnitt dieser Regelungsinhalte über die 20 Erhebungswochen hinweg die Regelungsinhalte in einer qualitativen Inhaltsanalyse hinsichtlich der Restriktivität der Maßnahme codiert. Auf diese Weise werden für Restriktivitätsindizes für jedes Bundesland gebildet, die dann übersichtlich das quantitative Ausmaß sowie die inhaltliche Schwerpunktsetzung der Unterschiede im Zeitverlauf abbilden können.

• Im dritten Schritt werden die Werte auf dem Restriktivitätsindex mit potenziellen Erklärungsvariablen korreliert, um festzustellen, ob systematische Unterschiede zwischen den Bundesländern sich beispielsweise auf die Wirtschafts- und Finanzkraft eines Landes, die parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierung oder die relative Nähe zu Wahlen zurückführen lassen.

Die Datenerhebung für den ersten Schritt ist abgeschlossen, erste Zwischenergebnisse sind in einer Publikation für die Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht. Die Datenerhebung für den zweiten und dritten Schritt ist noch im Gange, mit ersten Ergebnissen wird im Herbst gerechnet.

Nathalie Behnke/bjb