Diagnostik aus dem Drucker

Forschungsprojekt zur Eindämmung multiresistenter Keime

02.10.2020 von

Im Merck Lab an der TU Darmstadt haben Forscher von Merck und der TU die Diagnostik von bakteriellen Infektionskrankheiten vereinfacht. Damit wollen sie ein globales Problem eindämmen: die Zunahme von multiresistenten Keimen, gegen die keine Antibiotika mehr helfen.

Mit verschiedenen Druckverfahren werden im Merck Lab an der TU Testkarten hergestellt, die zukünftig eine vereinfachte Diagnostik von Infektionskrankheiten ermöglichen.

„So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ sollte das Motto bei der Verwendung von Antibiotika lauten. Doch danach wird oft nicht gehandelt. Die Folge: Bei immer mehr krankmachenden Bakterien versagen die einst als Wunderwaffe gefeierten Medikamente. Vor allem in Kliniken sind multiresistente Keime mittlerweile ein gefürchtetes Problem. Sie führen zu Wundinfektionen, Blutvergiftungen oder anderen Krankheiten, die sich nur schwer oder gar nicht behandeln lassen.

Laut Hochrechnungen werden schon im Jahr 2050 mehr Menschen an Infektionen mit resistenten Keimen sterben als an Krebs“, sagt Dieter Spiehl, Forscher im Merck Lab an der TU Darmstadt. Neben dem überbordenden Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung kritisiert er die gängige Verschreibungspraxis in der Humanmedizin. Bei einer Patientin mit einer Blasenentzündung etwa werde in der Regel nicht untersucht, welche Bakterienart den Infekt verursacht. Meist stecken Kolibakterien dahinter, manchmal aber auch Staphylokokken oder andere bakterielle Erreger. Das könnte man testen – klassischerweise mit einer Kultur in der Petrischale – und dann ein spezifisches Mittel verordnen. Doch nur Kliniken führen solche Analysen standardmäßig durch.

„Für niedergelassene Ärzte ist die Untersuchung zu aufwendig und teuer. Sie verordnen stattdessen lieber Breitbandantibiotika“, bemängelt Spiehl. Solche Präparate bekämpfen verschiedenste Erreger, allerdings auch harmlose körpereigene Bakterien. Das führt nicht nur zu unerwünschten Nebenwirkung, sondern befördert auch die Zunahme von resistenten Keimen. Denn immer, wenn Antibiotika eingesetzt werden, entwickeln die Bakterien Überlebensstrategien. Die widerstandsfähigsten überleben und breiten sich weiter aus.

Testkarten statt Petrischale

Mit vereinfachten diagnostischen Werkzeugen wollen die Forscher des Merck Lab das Problem jetzt eindämmen. „Wir möchten die klassische Petrischale durch Testkarten ersetzen“, erläutert Gerhard Schwall vom Darmstädter Wissenschafts- und Technologieunternehmen Merck, der das Merck Lab an der TU leitet. Petrischalen seien relativ groß und mit Nährmedien gefüllt nur begrenzt haltbar. Die Anzucht einer Kultur erfordere zudem mikrobiologisch ausgebildetes Fachpersonal. In der Lebensmittelproduktion, in der Bakteriennachweise zur Routine zählen, haben sich daher schon alternative Analysenwerkzeuge etabliert: Testkarten mit aufgedruckten Nährmedien. Sie können trocken, ungekühlt und platzsparend gelagert werden. Dieses Konzept haben Spiehl und seine Kollegen auf die medizinische Diagnostik übertragen.

Die im Merck Lab entwickelten Testkarten identifizieren nicht nur Bakterien, sondern erkennen zudem Antibiotika-Resistenzen. Ihre Anwendung ist denkbar einfach: Ein Labor- oder Praxismitarbeiter tropft die Patientenprobe, zum Beispiel etwas Urin, auf das Kärtchen, deckt es mit einer Schutzfolie ab und legt es über Nacht in einen Wärmeschrank. Die bakteriellen Krankheitserreger vermehren sich und bilden – wie beim Standardtest in der Petrischale – Bakterienkolonien, die mit bloßem Auge zu erkennen sind. Das Testfeld enthält verschiedene Nachweisreagenzien, sodass sich beispielsweise Kolibakterien als rote Punkte zeigen, während sich Staphylokokken-Kolonien grün färben. Zwecks Resistenztestung befinden sich auf den Testkärtchen zudem verschiedene Antibiotika. Vermehren sich die Bakterien in einem derart präparierten Bereich, ebenfalls zur erkennen an einer Färbung des Feldes, bedeutet das: Achtung, dieses Antibiotikum hilft nicht gegen den Krankheitserreger!

Bei der Herstellung der Testkarten kommen verschiedene Druckverfahren zum Einsatz: Mit einer dickflüssigen Tinte, die das Nährmedium sowie Farbstoffe für den Bakteriennachweis enthält, druckt eine Siebdruckmaschine das Testfeld auf eine Folie. Hier wird später die flüssige Probe aufgetropft. Damit sie nicht über das Feld hinausläuft, versieht ein 3D-Drucker den Umriss des Testfeldes mit einem Rand aus Kunststoff. Für die Resistenztestung werden verschiedene Antibiotika tröpfchenweise im Inkjet-Verfahren an bestimmten Positionen auf das Testfeld gedruckt. Spezielle Druckstrategien sorgen dafür, dass sich die Antibiotika beim Aufbringen der flüssigen Probe nicht beliebig auf dem Testfeld verteilen oder gar vermischen. Kurze Legenden und Vergleichsfelder für die Auswertung lassen sich ebenfalls direkt auf die Karte drucken. Zum Schluss wird das System mit einer durchsichtigen Schutzfolie versehen, die zum Auftropfen der Probe hochgeklappt wird. „Etwa 1500 Testkarten haben wir schon gedruckt und verwendet“, schätzt Spiehl.

„Die Tests sind so einfach und ohne Hightech-Laborausstattung durchführbar, dass sie sich besonders für kleine, wenig automatisierte Labore eignen, auch in Entwicklungsländern.“

Als promovierter Maschinenbauer kannte sich Spiehl mit Drucktechniken bereits bestens aus. In seiner Doktorarbeit hat er sich mit dem Drucken von Elektronik beschäftigt, dem damaligen Fokus des Merck Lab. Parallel zu dem jetzigen Projekt leitet er eine Forschungsgruppe am Institut für Druckmaschinen und Druckverfahren der TU. Mit Infektionskrankheiten und ihrer Diagnostik machte er sich in dem multidisziplinären Team aus Biologen und Medizinern schnell vertraut. Drei Jahre lang tüftelten er und seine Kollegen am Design und der Fertigung der Testkarten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: „Wir haben Prototypen für verschiedene Anwendungen hergestellt und die Machbarkeit des Konzepts gezeigt“, sagt Spiehl.

„Die Tests sind so einfach und ohne Hightech-Laborausstattung durchführbar, dass sie sich besonders für kleine, wenig automatisierte Labore eignen, auch in Entwicklungsländern“, betont Laborleiter Schwall. In den ärmsten Regionen der Welt ist das Problem gravierend: Unter bakteriellen Infektionen leiden dort deutlich mehr Menschen, zugleich werden Antibiotika oft unkontrolliert verwendet und damit Resistenzen gefördert. „Mit Ärzten und Laboranten aus europäischen und afrikanischen Ländern haben wir deren Bedürfnisse bezüglich vereinfachter Diagnostik besprochen“, sagt Spiehl. Das Interesse aus Ländern wie Nigeria und Simbabwe sei groß: „Wir hatten schon Versuchsreihen mit zwei Laborketten in Afrika geplant, doch dann kam die Corona-Pandemie und wir mussten das Vorhaben auf unbestimmte Zeit verschieben.“

An der Frankfurter Universitätsklinik wurden die neuen Diagnostikwerkzeuge schon getestet. Hunderte Proben, unter anderem von Patienten mit Harnwegsinfekten, wurden dort mit den Testkarten aus dem Merck Lab untersucht, immer parallel zum Standardverfahren in der Petrischale. „Schritt für Schritt haben wir unser System optimiert und letztendlich gezeigt, dass es funktioniert“, freut sich Spiehl. Gemeinsam mit Merck prüfen er und seine Kollegen derzeit die kommerzielle Nutzung. Für die TU-Forscher endet das Projekt dieses Jahr. Bleibt zu hoffen, dass die Testkarten zügig bis zur Marktreife weiterentwickelt werden und so einen wertvollen Beitrag im Kampf gegen antibiotikaresistente Keime leisten.

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