Im Parkhaus mit Mendelssohn und Dvořák

Orchester und Chor der TU haben die Probenarbeit wieder aufgenommen

08.10.2020

Chor und Orchester der TU haben nach langer Zwangspause ihre Probenarbeit an einem höchst ungewöhnlichen Ort wieder begonnen: im Parkhaus auf dem Campus Lichtwiese. Jan Schumacher, der Leiter des Chors, und Christian Weidt, der Leiter des Orchesters, sprechen im Interview über die Wiederaufnahme und darüber, wie es ist, auf einem Parkdeck zu musizieren.

Herr Schumacher, wie fühlt es sich an, nach langer Zeit wieder als Chor zu musizieren?

Man merkt, dass allen Chormitgliedern und auch mir das gemeinsame Singen sehr gefehlt hat. Schon beim Einsingen ist man von den ersten Klängen bewegt, und wenn dann endlich wieder die Musik mehrstimmig und live erklingt … das war schon ein besonderer Moment!

Herr Weidt, wie ist die Stimmung im Orchester nach der langen Zwangspause?

Die Stimmung ist wirklich überwältigend gut. Wir haben die letzten Monate immer wieder über Zoom Kontakt gehalten. Dabei haben wir festgestellt, wie sehr wir unser Zusammensein und -musizieren vermissen – vielleicht mehr, als wir es vorher geahnt hatten. Dementsprechend waren die Motivation, Freude und Dankbarkeit an das Präsidium über die Erlaubnis zur Nutzung des Parkhauses hoch.

Wie sind Sie eingestiegen – mit bekanntem Repertoire oder gleich mit neuen Stücken?

Schumacher: Wir haben zunächst bekanntes Repertoire gesungen, um uns leichter an die neuen Probenumstände gewöhnen zu können. Wir proben außerdem kleinere Werke für Chor mit Klavier oder ganz ohne Begleitung. Ein Programm mit Orchester, wie wir es üblicherweise erarbeiten, ist im Moment noch nicht möglich. Die Stücke kommen aus ganz unterschiedlichen Epochen. Von Bach über Mendelssohn bis zur Moderne.

Weidt: Wir sind mit der 9. Sinfonie von Antonín Dvořák gestartet, die unter dem Titel „Aus der Neuen Welt“ berühmt wurde. Nun machen wir momentan Musik IN einer neuen Welt aus der Neuen Welt. Es stehen außerdem noch ein Stück von Jean Sibelius und Leo Delibes auf dem Programm.

Herr Weidt, wie probt es sich im Parkhaus?

Wir haben vor ein paar Wochen eine Begehung gemacht, um die Gegebenheiten einschätzen zu können, aber trotzdem blieb es in der Vorstellung abstrakt. Als wir dann endlich ran durften, hatten wir glücklicherweise gutes Wetter. Wir haben uns Stühle, Notenständer und portables Licht mitgebracht, und es lief erstaunlich gut. Die Akustik ist beim Dirigenten vorne sehr gut und voluminös; bei den einzelnen Mitspielerinnen und Mitspielern ist sie schwieriger, weil sie manche Instrumentengruppen aufgrund des Abstandes nicht hören können. Aber wir kennen solche Probleme von Bühnen mit schlechter Akustik – dann gibt es umso mehr Verbindlichkeit, zum Dirigenten zu schauen und darüber das Zusammenspiel zu regeln, was das Orchester sehr gut macht.

Herr Schumacher, müssen Sie beim Repertoire auf das besondere Umfeld Rücksicht nehmen?

Ja! Normalerweise können wir auch Stücke singen, in denen die Stimmgruppen noch einmal geteilt sind, also bis zu achtstimmige Werke, aber wegen der Beschränkung auf derzeit maximal 80 Personen und den großen Abständen zwischen den Sängern – was es viel schwerer macht zu singen, weil man sich schlechter hört – singen wir im Moment nur vierstimmige Stücke.

Das Parkhaus ist ein ungewöhnlicher Ort für klassische Musik – woher kam die Idee?

Weidt: Die Idee kam von der Uni. Zunächst wurde uns gesagt, dass wir vielleicht im Innenhof beim Alten Hauptgebäude proben dürften. Allerdings habe ich diese Option ablehnen müssen, da die Instrumente aus Holz zu empfindlich auf kleinste Regentropfen reagieren; klar. Und da wurde uns die Option mit dem Parkhaus genannt.

Schumacher: Wir haben nach einem Ort gesucht, dessen Grundfläche groß genug ist, um möglichst viele Sängerinnen und Sänger unterbringen zu können. Außerdem haben wir im Parkhaus einen durchgehenden Luftaustausch, wir proben also quasi „draußen“. Dadurch sind die Hygiene-Vorgaben etwas weniger streng. als wenn wir in einem Gebäude proben würden.

Gesang hat ja auch viel mit körperlichem Wohlbefinden zu tun – bis zu welchen Temperaturen können Sie im Parkhaus proben?

Schumacher: Das wird sich zeigen! Bei den beiden Proben im September wurde es am Ende schon etwas kalt. Aber wir hoffen alle auf einen warmen und goldenen Oktober, damit wir noch viele Proben halten können.

Instrumente reagieren empfindlich auf Witterungseinflüsse – wie schaut es damit im offenen Parkhaus aus?

Weidt: Ganz gelöst sind unsere Probleme nicht. Wir müssen spontan auf die Wetterprognose reagieren, da auch der Wind für das Proben ein absoluter Störfaktor sein kann. Zudem arbeiten die Instrumente bei kalter Außentemperatur und warmer Spielluft sehr stark, weswegen es zu Intonationsproblemen kommt.

Viele Klangkörper haben in der Coronazeit Aufführungen als kollaborative Zoom-Konferenz inszeniert. Planen Sie ähnliches, hoffen Sie auf Live-Auftritte vor kleinem Publikum oder überwiegt zur Zeit die reine Freude, überhaupt wieder gemeinsam zu musizieren?

Schumacher: Wir haben uns mit dem Chor auch zweimal zu Zoom-Konferenzen getroffen, dabei ging es aber eher um den freundschaftlichen Kontakt und den Austausch. Wirklich singen und sinnvoll proben ist online doch sehr problematisch, zumindest für Chöre mit unserer speziellen Struktur. Natürlich hoffen wir, dass wir am Ende des Semesters unserem Publikum wie in jedem Semester das Resultat unserer Arbeit präsentieren können – und wir haben auch schon über verschiedene Möglichkeiten der Präsentation nachgedacht. Was am Ende erlaubt sein wird und was wir leisten können, das bleibt aber noch abzuwarten. Im Moment freuen wir uns vor allem, dass es nach einem halben Jahr Pause wieder weitergehen kann. Ein Hoffnungsschimmer für uns alle!

Weidt: Momentan versuche ich alles daran zu setzen, Planungssicherheit für die Proben zu bekommen – also einen verlässlichen Probenort. Schließlich müssen wir sieben Monate Pause aufarbeiten, und ein bisschen ist es so, wie wenn man einen Ferrari nach ebenso langer Pause aus der Garage holt. Es müssen ein paar Dinge blank poliert werden und mal durchgesaugt werden, bevor wir wieder in den Fahrbetrieb gehen können. Aber ich plane bereits an verschiedenen Szenarien, um auf ein Ziel hinarbeiten zu können, sobald wir ordentlich proben können. Von Kontakt zum Radio über ein Konzert unter Abstandsregeln bis hin zu einem Streaming-Concert ist alles Mögliche dabei.

Chor und Orchester der TU Darmstadt

Der Chor der TU Darmstadt existiert seit 1951. Er hat normalerweise zwischen 130 und 150 Mitglieder und ist derzeit wegen der Corona-Einschränkungen auf 80 Mitglieder beschränkt. Proben Mittwochs Abends. Interessierte können sich unter anmelden und bewerben.

Das Orchester der TU Darmstadt wurde 1947 gegründet und hat derzeit in den Proben teilweise mehr als 60 Mitglieder. Neue Mitglieder sind willkommen, Streicher jederzeit, interessierte Bläser müssen ein Vorspiel absolvieren. Proben Dienstags Abends um 19.00 Uhr, derzeit im Parkhaus Lichtwiese. Kontakt:

Die Fragen stellte Silke Paradowski