Wenn Heroen kippen

Studie zum wieder aktuellen Phänomen des Denkmalsturzes

21.10.2020 von

Pharaonen, die alten Römer, amerikanische Unabhängigkeitskämpfer oder Bolschewisten: Alle zerstörten die Erinnerung an das alte Regime, um die eigene Macht abzusichern. Denkmalsturz gibt es auch heute wieder. Moderne Aktivisten und Aktivistinnen nutzen ihn als politisches Instrument, um global gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu mobilisieren und für eine diverse, inklusive und gerechte Erinnerungskultur zu kämpfen. Soziologinnen der TU Darmstadt haben den „urbanen Fallismus“ genauer untersucht.

Eine Baumannschaft befestigt Riemen an der Statue des Konföderierten Generals J.E.B. Stuart im Juli 2020 in Richmond, Va. Die Statue ist eine von mehreren Statuen, die von der Stadt im Rahmen der Black Lives Matter-Bewegung entfernt werden sollen.

In Reaktion auf den gewaltsamen Tod des Afro-Amerikaners George Floyd im Mai 2020 stürzten Anhänger der Black Lives Matter-Bewegung die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston in Bristol vom Sockel – für Sybille Frank ein Statement gegen Rassismus, das ganz in der Tradition der Fallisten steht. Die Professorin für Stadt- und Raumsoziologie an der TU Darmstadt erklärt das Phänomen so: „Statuen und Monumente fallen auch im 21. Jahrhundert. Aber in der aktuellen Welle städtischer Denkmalstürze geht es nicht mehr um einen territorialen Akt der Machtsicherung, sondern darum, urbane Räume zu schaffen, die Vielfalt, soziale Gerechtigkeit und Gleichheit symbolisieren.“

Frank, ihre Forschungskollegin Mirjana Ristic und weitere Experten und Expertinnen aus der Soziologie, Archäologie, Geschichtswissenschaft, Architektur, dem Städtebau und der Heritage-Forschung sind der Frage nachgegangen, welche Formen Ikonoklasmus in der Vergangenheit annahm, was ihn im Zeitalter von Globalisierung und Digitalisierung prägt, welche Menschen dahinterstehen, wie diese mit den Denkmälern und deren Standorten interagieren und was die Akteure und Akteurinnen antreibt. Im Rahmen von acht Fallstudien zu verschiedenen Städten und unterschiedlichen Epochen, unter anderem zum Post-Kolonialismus in Afrika, Post-Kommunismus und Post-Imperialismus in Europa und Kriegen im Mittleren Osten zeigen sie, wie Denkmäler gestürzt, verändert, umfunktioniert oder zum Teil auch erneut errichtet werden.

#RMF

Der Fallismus heutiger Prägung hat seinen Ursprung in der südafrikanischen Protestbewegung „Rhodes must Fall“ (#RMF) aus dem Jahr 2015. Studierende der University of Cape Town machten seinerzeit mobil gegen die Glorifizierung des einstigen Kolonialherrn Cecil Rhodes, verunreinigten seine Statue auf dem Campus und erreichten ihren Abtransport. Die #RMF-Bewegung verbreitete sich in Folge dieser Aktionen von Kapstadt über Südafrika hinaus in Städte weltweit und bereitete letztlich den Boden für weitere Denkmalstürze wie den Abbau von Konföderierten-Monumenten in New Orleans im Jahr 2017 als unerwünschte Sinnbilder von Sklaverei und Rassentrennung.

Frank und Ristic haben die historischen und aktuellen Beispiele verglichen und sehen vor allem drei Unterschiede. Zum einen wird Ikonoklasmus heute in der Regel nicht mehr von oben verordnet und danach administriert. Vielmehr treiben ihn Menschen aus der Zivilgesellschaft an. „Sie vertreten marginalisierte und ausgegrenzte Gruppen, die um einen eigenen Platz in den Gedenklandschaften des öffentlichen Raums kämpfen“, erläutert Frank. Dabei gehe es nicht nur um ethnische, sondern auch um religiöse, politische oder sexuelle Minderheiten. Diese Gruppen zielen zum zweiten nicht auf einen Herrschaftswechsel, sondern auf eine andere Politik innerhalb des bestehenden Systems. Und sie haben nicht zuletzt in einer vernetzten und digitalisierten Welt einen deutlich größeren Resonanzboden als früher, um weltweit gleiche Rechte in der Erinnerungskultur durchzusetzen.