Warum Metalle fester werden

Simulationen auf Supercomputern / TU Darmstadt steuerte neuartige Algorithmen bei

23.10.2020 von

Um ein altes Rätsel in der Metallurgie zu lösen, nämlich warum Einkristalle ein stufenartiges Verfestigungsverhalten zeigen, während andere es nicht tun, haben Wissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt und des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien das Phänomen auf der atomaren Ebene betrachtet.

Die Forschungsarbeit erschien in Nature Materials (Ausgabe vom 5. Oktober von Nature Materials).

Bereits seit Jahrtausenden machen sich die Menschen die natürliche Eigenschaft von Metallen zunutze, fester zu werden, wenn man das Material mechanisch verformt. Die Mechanismen der Metallhärtung, die letztendlich von der Bildung und Bewegung von Versetzungen im kristallinen Metall herrühren, sind seit mehr als einem Jahrhundert ein zentrales Forschungsthema in der Metallurgie.

Das Forscherteam, an dem der Materialwissenschaftler Dr. Alexander Stukowski vom Fachgebiet Materialmodellierung der TU Darmstadt beteiligt war, führte aufwendige atomistische Computersimulationen auf einigen der weltweit stärksten Hochleistungsrechnern durch. Die verwendeten Modelle waren ausreichend groß, um die makroskopische Kristallplastizität statistisch repräsentativ zu erfassen, aber sie liefern dennoch die vollständige Auflösung, um die Ursprünge der Metallverfestigung auf ihrer grundlegendsten Ebene, nämlich der Bewegung von einzelnen Kristallatomen, zu untersuchen. Die Simulationen wurden auf den Supercomputern des Lawrence Livermore National Laboratory und der Argonne Laboratory Computational Facility in den USA durchgeführt.

Der Grund für die Verfestigung von Metallen blieb lange im Dunkeln, bis vor 86 Jahren erstmal theoretisch vorhergesagt wurde, dass Versetzungen – kurvenförmige Kristalldefekte, die durch Störungen des regelmäßigen Atomgitters entstehen – für Kristallplastizität verantwortlich sind. Aber auch wenn mittlerweile der kausale Zusammenhang zwischen Versetzungen und Kristallplastizität fest etabliert ist, hatte bislang kein Forscher direkt beobachten können, was solche Versetzungen in situ, also während der Verformung, im Inneren einer großen Metallprobe tun.

Computersimulationen im ultra-großen Maßstab

„Wir haben Supercomputer eingesetzt, um zu klären, was die Verfestigung verursacht“, sagt Alexander Stukowski, der für die Entwicklung der neuartigen Algorithmen verantwortlich war, die zur Auswertung der riesigen Datenmengen der Simulation dienten. „Anstatt zu versuchen, das Phänomen aus den Mechanismen des Versetzungsverhaltens abzuleiten, was jahrzehntelang das Bestreben der Versetzungstheorie war, führten wir Computersimulationen im ultra-großen Maßstab auf einer noch grundlegenderen Ebene durch – der Bewegung der Atome, aus denen der Kristall zusammengesetzt ist.“

Das Team konnte zeigen, dass die verschiedenen Abschnitte des Verfestigungsverlaufs von einkristallinen Metallen eine direkte Folge der Kristallrotation unter einachsiger Beanspruchung sind. Angesichts von weit auseinandergehenden Ansichten und widersprüchlichen Erklärungsversuche in der Literatur fanden die Forscher nun heraus, dass die grundlegenden Mechanismen des Versetzungsverhaltens in allen Verformungsabschnitten stets die gleichen sind.

„In unseren Simulationen haben wir genau gesehen, wie die Bewegung einzelner Atome sich in die Bewegung von Versetzungen übersetzt, die in ihrem Zusammenspiel einen Verfestigungseffekt erzeugen“, erklärt Vasily Bulatov, der Leiter der veröffentlichten Studie.

Um genau zu verstehen, wie metallische Werkstoffe in Molekulardynamiksimulationen auf eine Verformung reagieren, verwendeten die Wissenschaftler neuartige Algorithmen, um Defekte im simulierten Kristallgitter zu identifizieren (Netzwerk grüner Linien und grauer Oberflächen oben), während alle Atome des ursprünglichen Materials für die virtuelle Untersuchung entfernt werden (dicht gepackte gelbe Kugeln unten).
Um genau zu verstehen, wie metallische Werkstoffe in Molekulardynamiksimulationen auf eine Verformung reagieren, verwendeten die Wissenschaftler neuartige Algorithmen, um Defekte im simulierten Kristallgitter zu identifizieren (Netzwerk grüner Linien und grauer Oberflächen oben), während alle Atome des ursprünglichen Materials für die virtuelle Untersuchung entfernt werden (dicht gepackte gelbe Kugeln unten).

Zur Person: Alexander Stukowski

2007: Physikdiplom an der TU Darmstadt

2007-2010: Promotion am Fachbereich Material- und Geowissenschaften der TU Darmstadt

2010-2012: Post-Doc am Lawrence Livermore National Lab in Kalifornien

2012-2020: Nachwuchswissenschaftler am Fachbereich Material- und Geowissenschaften, Fachgebiet Materialmodellierung

seit August 2020: Mitgründer und Geschäftsführer der OVITO GmbH (einem Spin-Off der TU Darmstadt, das Software für die Analyse von Computersimulationsdaten entwickelt)