Schneller vom Labor in die Anwendung

Das Förderprogramm „Pioneer Fund“ unterstützt drei weitere Projekte

23.11.2020 von

Selbstlernende Roboter in der Automobilindustrie, edelmetallfreie Katalysatoren für Brennstoffzellen und ein spezielles System zur Züchtung von organähnlichen 3D-Zellkulturen – damit beschäftigen sich Forschende der TU Darmstadt in den drei jetzt bewilligten Forschungsprojekten des Pioneer Fund. Das gemeinsame Innovationsförderprogramm der TU Darmstadt und des ENTEGA NATURpur Instituts unterstützt den Transfer von der Forschung in die Anwendung seit 2017 mit insgesamt 600.000 Euro jährlich. Ein Überblick über die Vorhaben der siebten Förderrunde, die im Dezember startet.

Das Team „ORGAN-iser“ entwickelt Zellkulturen für pharmakologische Wirkstofftests: Dr. Katrin Töpfer, Professor Steffen Hardt, Dr. Nils Offen, Professorin Ulrike Nuber, Professor Heinz Koeppl (v.li. n.re.).

Künstliche Intelligenz: Roboter lernen durch Nachahmung

Roboter sind im Fahrzeugbau längst unverzichtbar. Sie schrauben, lackieren, transportieren Bauteile und führen viele weitere Tätigkeiten aus. Jetzt, da sich die Automobilbranche wandelt, müssen die künstlichen Helfer umlernen. Die Fertigung eines Elektroautos etwa erfordert andere Aktionen als die eines konventionellen Fahrzeugs. Informatik-Professor Dr. Jan Peters, Leiter des Fachgebiets Intelligente autonome Systeme, und sein Mitarbeiter Suman Pal möchten den Fahrzeugherstellern die Umorientierung mit künstlicher Intelligenz (KI) erleichtern. Die KI befähigt die Industrieroboter, sich neue Bewegungsabläufe selbst beizubringen – und zwar durch Nachahmung eines menschlichen Vorbilds, das den Robotern per Videos gezeigt wird. „Das spart Zeit viel Zeit“, erklärt Projektkoordinator Pal, „denn die aufwendige manuelle Umprogrammierung entfällt.“

Peters zählt zu den international führenden Experten auf dem Gebiet selbstlernender Systeme. Er und sein Team haben Robotern schon Tischtennisspielen und Jonglieren beigebracht. Industrieroboter im Fahrzeugbau gehörten bislang nicht zu den Forschungsobjekten seiner Gruppe, aber das wird sich dank der Unterstützung des Pioneer Fund nun ändern. Mit den jetzt bewilligten Mitteln wollen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen demonstrieren, dass sich ihre KI für die Automobilindustrie eignet. Letztendlich biete sich das Konzept aber für Industrieroboter in den unterschiedlichsten Branchen an, betont Pal und fügt an: „Unser Ziel ist es, die Robotik zu demokratisieren.“ Jede Person solle zukünftig in der Lage sein, einem Roboter etwas beizubringen – und zwar ohne jegliche Programmierkenntnisse.

Nach dem Vorbild der Natur: Edelmetallfreie Katalysatoren für Brennstoffzellen

Brennstoffzellen gelten zwar als grüne Technologie, sind aber durchaus verbesserungswürdig. Bis heute enthalten sie Katalysatoren aus Platin – obwohl das Edelmetall nicht nur knapp und teuer ist, sondern häufig unter bedenklichen Bedingungen abgebaut wird. TU-Professorin Dr. Ulrike Kramm und ihr Mitarbeiter Markus Kübler aus dem Fachbereich Chemie beschäftigen sich in ihrem Pioneer Fund-Projekt mit edelmetallfreien Katalysatoren für Brennstoffzellen. Sie ähneln unserem roten Blutfarbstoff und bestehen wie das Biomolekül aus Kohlenstoff, Stickstoff und Eisen. In die Stickstoff-Kohlenstoff-Strukturen können auch andere Metalle eingebunden sein.

Für laborübliche Mengen der Katalysatoren haben die TU-Forschenden bereits ein Herstellverfahren entwickelt. Die Gewinnung im größeren Maßstab sollte prinzipiell kein Problem sein, aber diverse Reaktionsparameter müssen dafür angepasst werden. Damit wollen sich Kramm und Kübler im Rahmen des Pioneer Fund-Projekts beschäftigen. Außerdem rückt die Nutzung der neuen Katalysatoren noch stärker in den Fokus. So sind unter anderem Langzeitversuche zur Stabilität geplant. Sie sollen deutlich über die bisherigen Experimente hinausgehen, die nur 24 Stunden oder wenige Tage dauerten.

„Mit der Unterstützung des Pioneer Fund wollen wir zunächst Betriebsbedingungen betrachten, wie sie bei kleineren Einheiten zur mobilen Stromversorgung Anwendung finden“, sagt Kramm. Als Beispiel nennt sie Brennstoffzellenmodule zur Energieversorgung beim Camping, weist aber darauf hin, dass ihre Forschung zur Elektromobilität ebenfalls von diesen Daten profitiert. Sie achte stets darauf, betont Kramm, das „große Ganze im Blick zu behalten“. Dabei hilft ihr nun der Pioneer Fund, denn mit den Mitteln kann ihr Team gewisse Aspekte vertiefen und zugleich den Blickwinkel erweitern.

ORGAN-iser: Neues System für 3D-Zellkulturen

Die Pharmaforschung steht vor einem grundsätzlichen Problem: Rund 80 Prozent der Wirkstoffkandidaten, die in Vorversuchen mit Zellkulturen und Tieren den gewünschten Effekt zeigten, scheitern in Studien am Menschen. Hier setzt das Pioneer Fund-Projekt von Professorin Dr. Ulrike Nuber und Dr. Katrin Töpfer aus dem Fachbereich Biologie an. Ihr Team hat zusammen mit den Gruppen von Professor Dr. Steffen Hardt (Fachbereich Maschinenbau) und Professor Dr. Heinz Koeppl (Fachbereich Elektrotechnik und Informationstechnik) ein System namens ORGAN-iser entwickelt. Es dient der Herstellung menschlicher 3D-Zellkulturen, die unseren Organen ähneln und in Wirkstofftests eingesetzt werden sollen.

Im ORGAN-iser wird ein räumlich fixierter Zellhaufen gezielt aus verschiedenen Richtungen mit Nährstoffen und anderen Zusätzen versorgt. Dadurch soll eine verbesserte Anordnung der Zellen erreicht werden, die dem Aufbau eines echten Organs entspricht. „In herkömmlichen Bioreaktoren entwickeln sich die Zellen nicht so, wie man sich das wünscht. Die räumliche Ordnung fehlt“, erklärt Projektkoordinatorin Töpfer. Die TU-Forscher arbeiten an 3D-Kulturen aus Gehirnzellen, die sie aus menschlichen Stammzellen ableiten. Zur Entwicklung anderer Organ-Imitate sollte sich das System ebenso eignen.

Eine grobe Vorstellung vom ORGAN-iser hatte Nuber schon im Kopf, bevor sie vor fünf Jahren an die TU Darmstadt kam. Aber erst hier, betont sie, habe sie die Idee verwirklichen können – dank der Kooperationsfreude der Kollegen aus den Ingenieurswissenschaften, dem Know-how der Mitarbeiter in den TU-Werkstätten und der Unterstützung durch das Forum interdisziplinäre Forschung (FiF) der TU. In enger Zusammenarbeit wurde ein Prototyp gefertigt. Mit den Mitteln des Pioneer Fund werden die TU-Forscher ihr System jetzt validieren. Außerdem möchten sie mehrere ORGAN-iser in Reihe schalten, um viele Organ-Imitate gleichzeitig herzustellen.

Leistungsstarke Partner

HIGHEST, das Innovations- und Gründungszentraum der TU Darmstadt, sicherte bei zwei der drei vorgestellten Projekte die zu Grunde liegende Technologie durch Patentanmeldungen für die TU Darmstadt.

Der Pioneer Fund leistet einen wichtigen Beitrag zum Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der TU Darmstadt in Wirtschaft und Gesellschaft. HIGHEST fördert zusammen mit dem Partner ENTEGA NATURpur Innovationen in einer sehr frühen Phase und steigert somit die Innovationsfähigkeit der TU Darmstadt. Viele der geförderten Projekte begleiten HIGHEST zu einem späteren Zeitpunkt auf dem Weg zu öffentlichen Förderungen, wie z.B. EXIST, oder in Ausgründungen.

HIGHEST managt den Fund und koordiniert sämtliche Aktivitäten während der gesamten Antrags- und Förderungsphase. Die Entscheidungen zur Förderung trifft eine Kommission, die paritätisch aus jeweils vier Vertretern der Entega AG und der TU Darmstadt besetzt ist.