Ohne Frauen fehlt der Technik etwas

Porträt von TU-Alumna Kira Stein

10.12.2020 von

Kira Stein ist in vielen Bereichen Pionierin. Sie zählte in den 1970er Jahren nicht nur zu den wenigen Frauen, die ein Ingenieurstudium aufnahmen. Sie war 1983 auch die erste Frau, die im FB Maschinenbau der TU, damals noch TH Darmstadt promovierte. Seit Jahrzehnten engagiert sie sich auf vielen Ebenen dafür, dass mehr Mädchen und Frauen technische Berufe ergreifen und MINT-Fächer studieren. 2009 wurde sie dafür mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Aktiv ist die Alumna auch in der „Vereinigung von Freunden der Technischen Universität Darmstadt“.

Frauen und Technik – ein Idiom, das einen unüberbrückbaren Gegensatz ausdrücken soll, vor allem aus männlicher Sicht. Für Kira Stein dagegen wird umgekehrt ein Schuh daraus. Technik ohne Frauen? Geht gar nicht, ist sie überzeugt. Noch immer werde Technik meist von Männern zwischen 25 und 65 Jahren entwickelt. „Um umwelt- und sozialverträgliche Produkte herzustellen, brauchen wir aber die Beteiligung und Erfahrung aller gesellschaftlicher Gruppen. Ohne Frauen fehlt der Technik was“, betont die 68-Jährige.

Stein ist eine Wegbereiterin, eine Streiterin für die Frauen und vor allem für veränderte Sichtweisen. Sie hat ein Lieblingsbeispiel: „Entsteht ein Kleiderstück nach einer Zeichnung an einer Nähmaschine, gilt das nicht als ein technischer Vorgang. Wird eine Achse an einer Drehmaschine nach einer Zeichnung bearbeitet, ist das natürlich Technik.“ Das liegt ihrer Ansicht nach daran, dass Frauen in der Textilindustrie arbeiten und Männer im Maschinenbau. „Frauenberufe“ wie etwa medizinisch-technische Assistentin, würden nicht als MINT-Berufe wahrgenommen und auch Hauswirtschafterinnen haben im Alltag viel mit Technik zu tun.

Dass Frauen sich meist mehr behaupten müssen, hat die gebürtige Frankfurterin, die in Offenbach aufwuchs, selbst erfahren. Als sie 1971 ihr Studium an der Technischen Hochschule Darmstadt aufnahm, war sie im Fach Maschinenbau eine von vier Studentinnen unter rund 400 männlichen Studienkollegen. Dass sie Exotinnen-Status haben würde, war ihr vorher nicht unbedingt klar gewesen. Stein stammt aus einer Akademikerfamilie. Ihre Mutter war Dolmetscherin, ihr Vater Kraftfahrzeug-Ingenieur und Inhaber eines Autohauses und Werkstattbetriebes. Technik und Maschinen hatten die junge Frau schon immer interessiert. „Bei Reparaturen habe ich meinem Vater zu Hause immer geholfen.“ Sie war das „Enfant terrible“ in der Familie. In der Schule war die Jugendliche eher rebellisch, ihre Noten keinesfalls gut. „Mein Abitur in Mathe und Physik war schlecht“, gibt sie zu. Was sie dennoch nicht von einem technischen Studium abhielt. „Das zeigt, dass das Interesse ausschlaggebend ist, nicht die Noten“, findet Kira Stein.

Praktikum in Offsetmaschinenfabrik

Nach dem Abitur machte die junge Frau ein einjähriges Praktikum, eine Art Kurzlehre, bei der Firma Roland Offsetmaschinenfabrik Faber & Schleicher, später MAN-Roland, in Offenbach. Sie arbeitete u. a. in der Schlosserei, Schweißerei und Gießerei, lernte die Fertigung von Maschinenteilen von Grund auf. Ein Wissen, das ihr im Studium zu Gute kam. „Es gab Professoren und Assistenten, die der Ansicht waren, dass Frauen keine Ahnung haben. Da war es ein Vorteil, wenn man seine Fähigkeiten nachweisen konnte. Im Maschinenbau funktioniert es oder es funktioniert nicht“, erzählt sie mit einem leichten Blitzen in den Augen, das noch viele Jahre später einen Hauch des damaligen Triumphes erahnen lässt. Klein beigegeben hat Stein sicherlich nie. Auch nicht gegenüber den Kommilitonen, die glaubten, dass die vier Studentinnen ihres Jahrgangs sicherlich voneinander abschreiben würden. Stein hat zwar nicht immer akribisch gelernt und gebüffelt, „aber durchgefallen bin ich durch keine Prüfung“.

Schlüsselerlebnis

Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit entsprach Steins Naturell. Gleich zu Beginn des Studiums lernte sie ihre gute Freundin Monika Greif kennen. „Wir waren ein starkes Frauenteam.“ Die Maschinenbauerinnen wohnten und lernten zusammen, engagierten sich früh für Fraueninteressen. Ausschlaggebend war ein erstes Frauenseminar 1977/78 „Frau und Wissenschaft“ von Maresi Nerad im FB Pädagogik der TU. Das Seminar war völlig überfüllt und die Hälfte der Studentinnen kamen aus den MINT-Bereichen, erinnert sich Stein. Zum ersten Mal befasste sie sich mit geschlechtsspezifischem Rollenverhalten und Berufswahl. Eine Art Schlüsselerlebnis.

Die Frauen ihres Studiengangs waren erfolgreich und engagiert. Sie arbeiteten in der Fachschaft mit, Stein war Mitglied im Studenten-Parlament und zeitweise auch im STUPA-Präsidium. Alle vier Kommilitoninnen schafften mit Bravour ihren Diplom-Abschluss. „Die schlechteste Note war eine zwei.“ Drei gingen den akademischen Weg weiter und promovierten, die meisten mit Auszeichnung. Kira Stein war 1983 die erste Maschinenbau-Ingenieurin, die an der TU ihren Doktorinnenhut aufsetzen konnte.

Ihr wurde besonders auf den Zahn gefühlt

Der Maschinenbau blieb dennoch eine Männerdomäne. Es gab Situationen, wo Stein sich benachteiligt fühlte. „Etwa, wenn den Promotionskollegen eine Stelle angeboten wurde, mir aber nicht.“ Bei Vorträgen wurden ihre Arbeiten immer besonders unter die Lupe genommen. Vor dem AIF-Arbeitskreis, dem Gremium der Allgemeinen Industrie Forschung, musste sie ihr Forschungsvorhaben ganz genau erklären. „Immer wieder wurde ich wie eine Anfängerin behandelt, aber das gab mir die Chance, mich besonders gut zu präsentieren“, gewinnt sie dem auch eine positive Seite ab. „Sehr gute Frauen kommen gut durch“, sagt Stein selbstbewusst. „Durchschnittliche Frauen haben es jedoch schwerer als schlechte Männer.“

Kira Stein kam gut zurecht. Nach der Promotion ging sie für Forschungen anderthalb Jahre an die Technische Universität in Athen. Später machte sie einen zusätzlichen Abschluss als Qualitätstechnikerin und Qualitätsfachingenieurin an der Technischen FH Berlin, hatte Lehraufträge an der FH Wiesbaden, heute Hochschule RheinMain, im Bereich Qualitätsmanagement sowie an der FH für Technik Mannheim in Werkstoffkunde. Sie war unter anderem Leiterin des Bereichs Produkt-Management aus Entwicklung und Marketing der Sparte Sicherheits- und Regelarmaturen bei der Mannheimer Firma Bopp & Reuther, wechselte später zur Heidelberger ProMinent Dosiertechnik. Dort war sie fast zehn Jahre Leiterin des Qualitätswesens und Qualitätsmanagementbeauftragte. Ein Traumjob in „Teilzeit“: In geraden Monaten arbeitete sie zu Hause für die Frauenforschung und -förderung, in ungeraden Monaten für das Qualitätsmanagement der Firma.

Liebe zur Abwechslung

1990 machte sie sich selbstständig, arbeitete fortan als Gutachterin, Beraterin, hielt Vorträge, Fortbildungen. „Ich liebe berufliche Veränderungen“, sagt Stein, die immer noch in Darmstadt wohnt und mit einem Maschinenbauer verheiratet ist. Noch immer engagiert sie sich für Frauen in technischen Berufen. Ihre Liste ehrenamtlicher Tätigkeiten ist lang. Stein arbeitete im Beirat der Hans-Böckler-Stiftung für das Projekt „Innovative Studienmodelle in der Ingenieurausbildung“ und beim Gewerkschaftlichen Gutachter/innen-Netzwerk zur Gestaltung und Akkreditierung von neuen Studiengängen mit, war lange Jahre Vorstandsmitglied des deutschen Ingenieurinnenbundes, im Deutschen Frauenrat sowie im Kompetenzzentrum Technik – Diversity – Chancengleichheit. 2006 bis 2008 wirkte sie an der Entwicklung des nationalen Paktes für Frauen in MINT-Berufen „Komm Mach MINT“ mit.

2009 erhielt sie für ihr jahrzehntelanges ehrenamtliches Engagement das Bundesverdienstkreuz. Der damalige Bundespräsident Horst Köhler erklärte, sie habe „durch ihr beispielhaftes Wirken das Bild der Frau in technischen Berufen nachhaltig positiv geprägt“. Sie selbst sagt freilich, dass sie viel erreicht hat, „aber immer noch viel zu tun ist“. Etwa auch im Vorstandsrat der Freunde der TU Darmstadt, wo sie seit rund 15 Jahren Mitglied und inzwischen als Vorsitzende ebenfalls aktiv ist.

Nachhaltiger möchte Kira Stein die Universität machen, studentische Initiativen ebenso unterstützen wie junge Professorinnen und Professoren. Und natürlich die Frauenförderung an der TU weiter voranbringen. Qualifizierungsmaßnahmen für junge Wissenschaftlerinnen und ein Mentoringprogramm stehen auf ihrer Liste. Ein Anliegen bleibt für sie immer an erster Stelle: Mmehr Frauen in MINT-Fächer zu führen und die Situation der MINT-Frauen zu verbessern.