Wählende reagieren in Osten und Westen unterschiedlich auf Staatshilfen

TU-Wissenschaftler veröffentlichen Beitrag im European Economic Review

18.02.2021

Welchen Einfluss haben staatliche Hilfsprogramme auf Wahlentscheidungen? Diese Fragestellung analysierten Professor Michael Neugart und Dr. Johannes Rode vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Sie verglichen das Wahlverhalten in Ost- und Westdeutschland nach Katastrophenhilfsprogrammen zur Bewältigung von Hochwasserereignissen 2002 und 2013.

Hochwasser der Elbe bei Magdeburg im Jahr 2013.

Sie haben das Wahlverhalten von Wählergruppen in Ost- und Westdeutschland nach staatlichen Hilfsprogrammen untersucht. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Dr. Johannes Rode: Wir vergleichen das Wahlergebnis in den von der „Jahrhundertflut 2013“ betroffenen und nicht betroffenen Gemeinden in Ost- und Westdeutschland bei der kurz darauffolgenden Bundestagswahl 2013. Dabei zeigt sich, dass die amtierende Regierung im Osten im Vergleich zum Westen in den Hochwassergebieten bei den Wahlen profitieren konnte. Je nachdem wie wir den Vergleich genau ausgestalten, erreichte die amtierende Bundesregierung in den Hochwassergebieten im Osten einen zwischen 0,9 und 2,8 Prozentpunkten höheren Stimmenanteil. Unser Ansatz erlaubt es, unter anderem dauerhafte Unterschiede im Wahlverhalten zwischen Hochwassergebieten im Osten und Westen herauszurechnen.

Worauf führen Sie die Unterschiede zurück?

Unsere weiteren Analysen zeigen, dass Demokratieerfahrung sehr wahrscheinlich für die Unterschiede im Wahlergebnis verantwortlich ist. Wir betrachten unter anderem auch das Hochwasser 2002 und vergleichen wiederum die Wahlergebnisse in betroffenen und nicht betroffenen Regionen in Ost- und Westdeutschland. Es zeigt sich, dass nach dem Hochwasser 2002 und dem darauffolgenden staatlichen Hilfsprogramm die federführende Regierungspartei im Osten mit einem um 7 Prozentpunkte höheren Stimmenanteil noch deutlich stärker profitieren konnte. Der beobachtete Effekt nimmt also mit der Zeit ab. Das deckt sich mit unserer Interpretation, weil Demokratieerfahrung im Osten 2002 geringer gewesen sein sollte als 2013. Dieses Ergebnis wird auch in einer Reihe von weiteren Analysen gestützt.

Gelten diese Unterschiede auch heute noch, 30 Jahre nach dem Mauerfall?

Wir finden Hinweise darauf, dass diese Unterschiede auch heute noch bestehen. In einer Detailanalyse schauen wir uns politisches Wissen als Indikator für Demokratieerfahrung an. Interessanterweise ist der Anteil an Ostdeutschen, die die Bedeutung der Erst- und der Zweitstimme und der Fünfprozentklausel kennen, geringer als bei den Westdeutschen. Dieser Unterschied besteht allerdings nur für diejenigen, die nicht im vereinigten Deutschland zur Schule gegangen sind. Ihnen wurde dieses politische Wissen vermutlich nicht während Ihrer Schulzeit vermittelt.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse in Hinblick auf die kommende Bundestagswahl oder generell auf Unterstützungsprogramme nach schwierigen Ereignissen?

Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die nun aufgelegten Pandemiehilfen auch bei der kommenden Bundestagswahl in Ost- und Westdeutschland unterschiedliches Wahlverhalten nach sich ziehen könnten.

Ist es bedenklich, dass Hilfsprogramme das Wahlverhalten beeinflussen? Eine fehlende Unterstützung ließe sich möglicherweise auch im Wahlverhalten nachweisen. Was wäre eine sinnvolle Alternative?

Bei den Hilfsprogrammen geht es um öffentliche Gelder. Wenn amtierende Regierungen davon ausgehen können, dass sie mit der gezielten Verteilung von Geldern ihre Wahlchancen erhöhen, könnte das zu einer weniger vorteilhaften Verwendung öffentlicher Gelder führen. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Die Hilfsmittel haben den Betroffenen geholfen, die schlimmsten Folgen der Flut abzufedern. Und das ist erst einmal gut. Trotzdem kann man sich fragen, ob es eine gute Idee ist, wenn der Staat private Risiken auffängt. In den Wirtschaftswissenschaften sprechen wir hier von „moralischem Risiko“. Wenn die Bürger in Gebieten mit Überflutungsgefahr davon ausgehen können, dass die Gemeinschaft in jedem Katastrophenfall für die Schäden aufkommt, werden sie die private Vorsorge zurückfahren. Vielleicht wäre es hier besser, wenn der Staat die Bürger zum Abschluss einer Versicherung verpflichtet. Allerdings war das nicht Gegenstand unserer Untersuchung.

Publikation

Michael Neugart und Johannes Rode, 2021, „Voting after a major flood: Is there a link between democratic experience and retrospective voting?“, European Economic Review 133, 103665, (2021). DOI:10.1016/j.euroecorev.2021.103665

Die veröffentlichte Version ist bis zum 23. März 2021 kostenlos erhältlich.

Die Fragen stellte Claudia Staub.