Wie erneuert sich die Natur?
Eine Forschungsgruppe unter Leitung der TU Darmstadt sucht nach Antworten
29.03.2021 von Hildegard Kaulen
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft wird in den kommenden vier Jahren ein Konsortium finanzieren, das wissen will, wie sich die Natur selbst erneuert. Dabei geht es um nichts weniger als um das Drehbuch für die natürliche Regeneration des Regenwalds und wie sich dieser Prozess von außen stärken lässt.
Zu jeder Zeit in der Geschichte unseres Planeten sind Ökosysteme vernichtet und anschließend von der Natur zurückerobert worden. Allerdings hat sich die Lage inzwischen zugespitzt. Regenwälder verschwinden heute in rasantem Tempo und mit großen Kahlschlägen. Die Rate, mit der Lebewesen aussterben, hat sich in den vergangenen hundert Jahren verdreifacht. „Angesichts dieser Entwicklungen drängt sich die Frage auf, ob wir auf die komplexe Regeneration unseres Planeten vorbereitet sind“, , Professor für Nico Blüthgen an der TU Darmstadt und Leiter des Konsortiums. „Denn nur komplexe Ökosysteme sind letztlich auch resilient. Artenvielfalt allein genügt nicht. Es kommt auch auf die vielfältigen und engmaschigen Beziehungen innerhalb eines Ökosystems an. Wir wissen nicht, wie und in welchem Tempo die Natur diese Beziehungen knüpft.“ Ökologische Netzwerke
Blüthgen und 24 weitere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus zwölf Universitäten und Stiftungen werden deshalb in den kommenden vier bis acht Jahren die natürliche Regeneration im Chocó Tieflandregenwald in Ecuador untersuchen. Welche Arten kommen als erstes wieder zurück? Wie lange dauert die natürliche Regeneration? Wird die alte Artenvielfalt wieder erreicht? Werden alle komplexen Beziehungen wieder aufgenommen? Wie nahe kommt der neue Regenwald an die Funktionalität des alten Regenwalds heran? Blüthgen und den Teams geht es nicht um eine bloße Inventur, sondern um das Vermessen von Komplexität in den Tiefen des wieder aufkeimenden Ökosystems.
Globale Ökosysteme sind überlebenswichtig
Dafür wird das Konsortium mit der gemeinnützigen Stiftung Fundación Jocotoco und zwei Universitäten Ecuadors zusammenarbeiten. Der Geschäftsführer der Stiftung, der Evolutionsbiologe Martin Schaefer, hat das Projekt zusammen mit Blüthgen konzipiert und leitet es auch zusammen mit ihm. Die Fundación Jocotoco kauft seit 20 Jahren Flächen in der Region. Viele Areale wurden als Weideland genutzt, andere für den Kakaoanbau. Einige Flächen regenerieren seit Jahrzehnten ohne äußeres Zutun, andere stehen erst am Anfang.
Die Forschenden werden wichtige Prozesse in den Blick nehmen: die Beziehungen zwischen Räuber und Beute, zwischen Bäumen und Bestäubern, zwischen Säugern, Samen und Dungkäfern und zwischen Ameisen, Termiten und Totholz – um nur einige zu nennen. Diese Prozesse spielen für die natürliche Regeneration des Waldes eine entscheidende Rolle. Ein Teil der Fördersumme wird auch in die Ausbildung von ecuadorianischen Studierenden und den Aufbau lokaler Strukturen fließen, die dann dauerhaft genutzt werden können.
Blüthgen und die Teams werden zudem über gezielte Störungsexperimente prüfen, wie die neu entstandenen Netzwerke das Ökosystem stabilisieren. „Wir schauen dabei nicht auf die Komplexität an sich, sondern auf das Wechselspiel zwischen den Netzwerken und dem Erholungsprozess nach einer kleinräumigen Störung. Es ist ein Blick auf die Resilienz anhand zweier Skalen: der Regeneration ganzer Waldflächen und der Reparatur innerhalb des Waldes.“ Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler drängen zur Eile: „Letztlich hängt unser eigenes Überleben vom Überleben der globalen Ökosysteme ab. Wir brauchen mehr Informationen, wenn wir den natürlichen Erneuerungsprozess gezielt stärken wollen.“
DFG fördert neue Forschungsgruppe
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat neun neue Forschungsgruppen eingerichtet und fördert sie maximal zweimal vier Jahre lang – darunter die Gruppe „Reassemblierung von Interaktionsnetzwerken zwischen Arten – Resistenz, Resilienz und funktionale Regeneration eines Regenwaldes“. Sprecher ist TU-Professor Nico Blüthgen. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen untersuchen anhand des stark von Menschenhand geschädigten Chóco-Tieflandregenwaldes im Nordwesten Ecuadors die Regenerationsfähigkeit der ehemaligen Weide- und Kakaoplantagen in einem Waldreservat. Dazu betrachten sie die Interaktionsnetzwerke zwischen verschiedenen Tierarten und deren Funktionen im Ökosystem Regenwald in unterschiedlich regenerierten Sekundärwäldern. So wollen sie im Verbund mit ecuadorianischen Partnern vor Ort herausfinden, wie gestörte Ökosysteme sich wieder erholen können.