Mehr Demokratie in der Digitalisierung wagen

Wie die Marktmacht digitaler Plattformen eingehegt werden sollte

16.06.2021

Eine federführend von der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina eingerichtete Arbeitsgruppe von rund 20 Professorinnen und Professoren von Universitäten in ganz Deutschland zum Thema „Digitalisierung und Demokratie“ hat zum Abschluss ihrer Beratungen ein Memorandum vorgelegt. Professor Johannes Buchmann, langjähriger Leiter des Fachgebiets Theoretische Informatik, Kryptographie und Computeralgebra im Fachbereich Informatik der TU Darmstadt, war einer der beiden Sprecher der Arbeitsgruppe. Im Interview äußert er sich zur Brisanz, Aktualität und Schlussfolgerungen der untersuchten Aspekte.

Digitale Plattformen sind inzwischen fest in unseren Alltag integriert.

TU Darmstadt: Herr Professor Buchmann, Sie haben sich in einer fächerübergreifenden Runde von Expertinnen und Experten mit dem vielschichtigen und spannungsreichen Verhältnis von Digitalisierung und demokratischen Öffentlichkeiten befasst und zum Abschluss den Handlungsbedarf in einer Stellungnahme zusammengefasst. Was war der Anlass, das Thema aufzugreifen?

Professor Johannes Buchmann: Wir beobachten dramatische Entwicklungen bezüglich der Stabilität demokratisch verfasster Gesellschaften, besonders offenkundig wurde das im US-amerikanischen Wahlkampf 2020. Eigentlich bietet die Digitalisierung für die Demokratie phantastische Perspektiven – ganz neue und erweiterte Formen der Information, Kommunikation und Partizipation. Andererseits erzeugt der tiefgreifende Medienwandel eine Menge Probleme, ich nenne nur die Phänomene Fake News und Hate Speech.

Längst haben sich neue digitale Plattformen mit enormer Konzentration von Marktmacht als Infrastrukturen unserer demokratischen Öffentlichkeit etabliert: Sie sammeln Informationen über Nutzerinnen und Nutzer und werten die entsprechenden Daten algorithmisch aus, um die User individuell zu beeinflussen, Nachrichteninhalte zu filtern und gezielt die Aufmerksamkeit auf Werbung zu lenken. Das kann den politischen Diskurs erheblich verzerren. Die Plattformen greifen als Zensoren ein, indem sie beispielsweise Nutzerinnen und Nutzer aussperren, ohne demokratisch legitimiert zu sein

Professor Johannes Buchmann
Professor Johannes Buchmann

Was sind die wichtigsten Forderungen in Ihrer gemeinsamen wissenschaftlichen Stellungnahme?

Wir halten es für dringend erforderlich, die Betreiber der großen digitalen Plattformen dazu zu verpflichten, eine Beteiligung bei ihren Kuratierungsstrategien, also der Auswahl und Priorisierung von Inhalten, zuzulassen, beispielsweise durch dauerhafte Mitwirkung eines demokratisch legitimierten, plural besetzten Gremiums.

Zweitens müssen einfach benutzbare technische Werkzeuge bereitgestellt werden, die Nutzerinnen und Nutzer bei der Erschließung von Information und Kommunikation zu unterstützen. So könnte auch die Digital- und Medienkompetenz etwa in Schulen gestärkt werden. Und schließlich lohnt es sich, neue Partizipationsformen zu erforschen und zu etablieren.

Welche Beiträge zu einer demokratisch neu unterfütterten Digitalisierung kann die TU Darmstadt erbringen?

Das leistet sie bereits in großem Umfang! Zum Beispiel werden im Ubiquitous Knowledge Lab im Fachbereich Informatik plattformunabhängige Werkzeuge erforscht und entwickelt, die den Zugang zu digitaler Information erleichtern, das fundierte Bewerten der Vertrauenswürdigkeit von Quellen, das Einordnen von Fakten, Argumenten und Meinungen zu spezifischen Themen ermöglichen.

Ich finde, dass die TU Darmstadt dank hoher Kompetenz und enger Kollaboration zwischen Künstlicher Intelligenz, Cognitive Science, Natural Language Processing und Cybersicherheit ein demokratiefreundliches Design digitaler Technologien und Infrastrukturen stark fördert. Die Forschung an der TU steht ganz im Einklang mit der in der Stellungnahme der Arbeitsgruppe enthaltenen Forderung, der Erklärbarkeit und Fairness von Algorithmen auf Basis Künstlicher Intelligenz mehr Gewicht zu verleihen.

"Digitalisierung und Demokratie"

Gemeinsame Stellungnahme (wird in neuem Tab geöffnet) der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften

Pressemitteilung der Leopoldina

Das Interview führte Jörg Feuck.