„Es braucht Menschen, die Lust haben etwas zu bewegen“

Claudia Plattner im Porträt

2024/01/23 von

Die Alumna Claudia Plattner fühlt sich durch ihr Mathematik-Studium an der TU Darmstadt gut gewappnet für die Herausforderungen als neue Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI).

Claudia Plattner

Seit Sommer ist Claudia Plattner die neue Präsidentin des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Die Alumna der TU Darmstadt hat das Amt nach der umstrittenen Ablösung ihres Vorgängers Arne Schönbohm in schwierigen Zeiten übernommen. Die Bedrohungslage durch Cyberangriffe war noch nie so hoch. Doch gerade weil sie etwas für den Schutz des Landes tun will, reizt diese Aufgabe die Mathematikerin ganz besonders. Noch dazu als erste Frau in dieser Position.

Auf dem Bücherregal in Claudia Plattners Büro steht ein Schild. „Da müsste mal was gemacht werden“, ist darauf zu lesen. „Das ist mein Motto“, sagt sie und nimmt es lachend in die Hand. „Es braucht Menschen, die Lust haben etwas zu bewegen und die sich den Aufgaben stellen“, findet sie. Genau deshalb hat die 50-Jährige wohl auch nicht lange gezögert, als der Anruf aus dem Innenministerium kam und die Anfrage, ob sie das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) leiten wolle. Die Alumna der TU Darmstadt war zu dieser Zeit Generaldirektorin für Informationssysteme bei der Europäischen Zentralbank. Ein hochdotierter und viel beachteter Job bei der EZB, den sie zwei Jahre zuvor erst angetreten hatte und „bei dem es noch viel zu tun gegeben hätte“, sagt sie im Rückblick. Die Anfrage aus Berlin habe sie daher „wohl erwogen“.

Keine Scheu vor klaren Worten

Es waren weder monetäre noch Prestigegründe, die für Claudia Plattner den Ausschlag gaben. „Die Herausforderung reizt mich“, betont sie, und die Aufgabe, etwas zum Schutz Deutschlands vor Cyber-Attacken beizutragen. Angesichts der Größe des Problems beschreibt sie den Wechsel von Frankfurt nach Bonn eher scherzhaft als eine Art Himmelfahrtskommando. Die Debatte um die Ablösung ihres Vorgängers und dessen angebliche Russlandkontakte lässt sie unkommentiert. Wichtig ist ihr vielmehr, dass seit dem Sommer ein guter Neustart in der Cybersicherheit und der Bonner Behörde mit ihren rund 1500 Beschäftigten gelungen sei.

Ich profitiere jeden Tag von meiner Ausbildung an der TU Darmstadt. Die Mathematik ist eine klare Wissenschaft, die wenig Grautöne zulässt.

Spielt dabei eine Rolle, dass sie die erste Präsidentin im Amt ist? „Ich versuche klar und authentisch zu sein und scheue keine klaren Worte“, umschreibt sie ihren Führungsstil. Die Herausforderungen in der Cybersicherheit würden täglich größer. „Es ist dringend, dass hier was gemacht wird.“ Ihr Motto seit Studientagen. Durch ihr Mathematik-Studium fühlt sich Plattner, die in Mainz als Claudia Stützel zur Welt kam, gut gerüstet. „Ich profitiere jeden Tag von meiner Ausbildung an der TU Darmstadt. Die Mathematik ist eine klare Wissenschaft, die wenig Grautöne zulässt. Es gibt nur eindeutig und richtig oder falsch. Das Studium hat meine Fähigkeit gefördert, Dinge auseinander zu halten, klar zu strukturieren, Probleme anzugehen und zu lösen.“ Das prägt heute ihre Herangehensweise an berufliche Anforderungen.

Bedrohungslage besorgniserregend

Die Transformation beschreibt Plattner als die dringlichste Aufgabe in ihrem neuen Amt als BSI-Chefin. Die Bedrohungslage nennt sie „besorgniserregend“. Cyberkriminalität wie Hackerangriffe, Datenklau, Erpressung durch Verschlüsselung von Daten hat massiv zugenommen. Auf 206 Milliarden Euro bezifferte unlängst der Branchenverband Bitkom allein für 2023 den Schaden, der der deutschen Wirtschaft durch Diebstahl von IT-Ausrüstung und Daten sowie digitale und analoge Industriespionage und Sabotage entstanden ist. „Das ist ein massives Problem und ein Schaden, den wir uns als Wirtschaft und Gesellschaft nicht leisten können“, sagt Plattner. Die meisten Angriffe werden China und Russland zugeordnet. Ihre Zahl hat sich vervielfacht. Die TU-Alumna sieht dabei nicht allein den Ukrainekrieg als Ursache, „sondern allgemein die Tatsache, dass Datendiebstahl, Verschlüsselung und Erpressung lukrativ sind“.

DAX-Firmen haben da schon viel getan. Sie haben auch Möglichkeiten und Ressourcen dafür.

Die Infrastruktur des Landes müsse geschützt werden, ebenso Unternehmen und Privatleute. Awareness und Resilienz, also das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Cybersicherheit und die Fähigkeit, Angriffe zu erkennen, zu verhindern und sich gegen Attacken erfolgreich zur Wehr setzen zu können, hat für die BSI-Präsidentin Priorität. „DAX-Firmen haben da schon viel getan. Sie haben auch Möglichkeiten und Ressourcen dafür.“ An vielen Stellen stünden die Scheunentore aber noch offen. Ein Problem sieht Plattner bei mittelständischen und kleinen Unternehmen, bei Behörden, Rathäusern oder Krankenhäusern, „die oftmals nur einen oder zwei IT-ler haben“. Selbst Universitäten sind heute immer wieder von Hackerangriffen und Cyberattacken betroffen. Es werde immer jemanden geben, der fälschlicherweise irgendwo draufklicke. „Das kann jedem passieren, auch mir. Deshalb brauchen wir auch technische Lösungen“, mahnt Plattner.

Cybermarkt schaffen

Mit Politik, Wirtschaft und Wissenschaft will die BSI-Präsidentin eine „Cybernation“ bilden. „Wir müssen das Thema überall auf die Agenda heben“, drängt sie. Vor allem brauche es einen großen Markt an guten, erschwinglichen Produkten und Entwicklungen zum Schutz vor und Umgang mit Cyberattacken. Eine ihrer Aufgaben sieht sie darin, als BSI-Chefin aus der Behörde heraus Impulse zu geben für das Zusammenspiel von Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. So hat das BSI etwa gerade mit internationalen Partnern einen Leitfaden für den sicheren Umgang mit Künstlicher Intelligenz vorgestellt. Plattner nimmt die Betreiber von KI-Produkten in den Fokus und fordert die Aufklärung der Nutzer:innen. „KI spielt eine Rolle – im Guten wie im Schlechten.“ Sie kann zur Detektion und Sicherheit genutzt werden, aber eben auch um Schaden anzurichten, sagt sie. Die Potenziale dieser Schlüsseltechnologe müssten sicher und transparent genutzt werden.

TU ist für sie Heimat

Die Universitäten spielen für die TU-Alumna eine wichtige Rolle, indem sie neue Ideen und marktfähige Produkte zur Cybersicherheit entwickeln. „Mit Technologietransfer lässt sich viel gewinnen.“

Sie selbst denkt gerne an ihre Studienzeit zurück. Dabei lief es anfangs gar nicht so rund. Ihr erstes Semester hatte sie sich für Maschinenbau eingeschrieben. „Ich war eine von sieben Frauen unter rund 800 Studierenden.“ Was sie nicht störte, aber ziemlich schnell stellte sie fest, „dass mich das Fach eigentlich nicht interessierte“. Ein Professor hingegen schlug sie in den Bann und auch nach 30 Jahren weiß sie den Namen noch genau: Karl Graf Finck von Finckenstein. „Er hielt wunderbare Mathematik-Vorlesungen und ich merkte, der Schönheit und Eleganz der Mathematik gehört mein Herz.“ Vielleicht liegt das auch ein bisschen in der Familie – ihr Vater war Mathelehrer.

Der Fachbereich war Heimat für mich.

Noch zum Sommersemester wechselte sie den Fachbereich. Bereut habe sie das nie. „Ich war nie supergut, aber brannte leidenschaftlich für die Mathematik.“ So sehr, dass sie neben dem Diplom in Darmstadt auch einen Masterabschluss in Mathematik an der Tulane University in New Orleans/USA machte. Zur Informatik kam sie später über einen befreundeten Kommilitonen, der eine Firma gründete, in der sie mehrere Jahre in der IT-Abteilung arbeitete. „Er hat mich an die Informatik herangeführt.“ Claudia Plattner ist überzeugt: „Es braucht Menschen, die an deine Fähigkeiten glauben.“ Dieses Gefühl habe ihr der befreundete Firmengründer, aber auch der Fachbereich Mathematik der TU gegeben. „Es ging dort sehr menschlich zu und immer drehte es sich um das Fortkommen der Studierenden“, erinnert sie sich. „Der Fachbereich war Heimat für mich.“