Stunden der Diplomatie

Studentische Erfahrungen beim Besuch einer Überprüfungskonferenz bei den Vereinten Nationen

05.07.2010

UN Photo

Eine interdisziplinäre Gruppe von 33 Studierenden aus Darmstadt, Frankfurt, Hamburg, den USA und Japan besucht die diesjährige Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags am Hauptsitz der Vereinten Nationen (UN) in New York. Als Mitglieder der Delegation der Nichtregierungsorganisation INESAP erleben sie die Verhandlungen hautnah. Bei der anschließenden Simulation einer Konferenz über eine Nuklearwaffenkonvention schlüpfen sie selbst in die Rolle der Diplomaten.

Ein Tagebuch von Jessica Seiler

2.5.

Neben den Delegationen der Mitgliedstaaten haben sich auch circa 4000 Vertreter von 121 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus aller Welt zur Konferenz angekündigt. Und sogar 15.000 Menschen beteiligen sich heute an der Anti-Atomwaffen Demonstration, bei der wir vom Times Square zur UN laufen.

3.5.

Auftakt der Konferenz. In der Generalversammlung erleben wir unter anderem Irans Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und US-Außenministerin Hillary Clinton live am Rednerpult.

4.5. bis 7.5.

Unsere erste Herausforderung lautet: „meet your delegation“: Um uns auf unsere Rolle als Diplomaten in der Simulation vorzubereiten, treffen wir uns mit den Vertretern ‚unserer‘ Staaten. Dabei haben wir zwei Missionen: Einerseits unsere Fragen zu stellen, andererseits aber auch als NGO-Vertreter über den von INESAP mitentwickelten Modellentwurf für die Nuklearwaffenkonvention (MNWC) zu informieren.

8.5.

An der Universität von Princeton erklären uns führende Experten wie Prof. Frank von Hippel die technischen Grundlagen nuklearer Abrüstung.

11. und 12.5.

Zurück in New York gilt es nun, das bisher gesammelte Wissen anzuwenden: Unsere Aufgabe in der Simulation ist es, in die Rolle von 13 verschiedenen Staaten zu schlüpfen, die über zwei Artikel der MNWC verhandeln: Artikel IX „Kernwaffen“ und X „Kerntechnisches Material“.

Nach den Briefings mit ‚unseren‘ Delegationen hätte wohl keiner geglaubt, dass es möglich wäre, uns auch nur auf einen Kompromiss zu einigen; zu gegensätzlich schienen die Positionen der 13 vertretenen Staaten, darunter Atommächte, Entwicklungsländer und Parteien regionaler Konflikte. Zum Glück stehen wir aber nicht allein vor dieser schwierigen Aufgabe, sondern haben erfahrene Verhandlungsleiter, sogenannte Chairs, die unsere Simulation moderierten. Der chilenische Botschafter Alfredo Labbé Villa, Dr. W. Pal Sidhu vom EastWest Institute und der schottische Parlamentarier Bill Kidd lenken uns durch alle diplomatischen Krisen und schicken die Streitparteien notfalls so lange vor die Tür, bis sie sich geeinigt haben.

Dabei müssen wir nicht nur out of the box, sondern auch out of the blocks denken. Jenseits aller traditionellen Bündnisse und Konflikte arbeiten sogar Israel und Iran zusammen an einem gemeinsamen Entwurf. So schaffen wir es tatsächlich, Wort um Wort, Paragraph um Paragraph, beide Artikel der MNWC zu verabschieden.

Die Organisatoren

Die Exkursion wurde organisiert von IANUS (Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit), CISP (Centrum für Interdisziplinäre Studienprogramme), dem Institut für Politikwissenschaft der TU Darmstadt, dem ZNF (Zentrum für naturwissenschaftliche Friedensforschung) der Universität Hamburg, der Princeton University, dem Nuclear Weapons Inheritance Project und INESAP (International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation).

INESAP ist eine Nichtregierungsorganisation (NRO bzw. englisch NGO) mit Mitgliedern in der ganzen Welt. Koordiniert wird die Organisation vom Büro bei der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) an der TU Darmstadt.

Das Ziel von INESAP ist die Förderung der Nichtverbreitung und Abrüstung aller Massenvernichtungswaffen. Um dies zu erreichen betreiben die Mitglieder Forschung, Networking und versuchen, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen.

INESAP war beteiligt an der Entwicklung des Modellentwurfs für die Nuklearwaffenkonvention (Model Nuclear Weapons Convention – MNWC), eines Vertrags zur Abschaffung von Atomwaffen. Im Gegensatz zum NPT verbietet eine solche Konvention den Besitz dieser Art von Waffen für alle Staaten.

Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NPT)

Der nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV bzw. englisch NPT) oder auch Atomwaffensperrvertrag besteht aus drei Säulen: 1. Die fünf offiziellen Atommächte China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA verpflichten sich zur Abrüstung ihrer Nuklearwaffen, 2. Die anderen Mitgliedstaaten verzichten auf diese Waffen und 3. Alle Staaten haben das Recht auf zivile Nutzung von Atomenergie. Seit dem Inkrafttreten des NPT 1970 findet alle fünf Jahre eine Konferenz der Mitgliedstaaten statt, um die Umsetzung der Vertragsziele zu überprüfen.

In den letzten 15 Jahren geriet der NPT zunehmend unter Druck. Einerseits stagnierte die Abrüstung seitens der Atommächte sowie deren Einsatz für eine nuklearwaffenfreie Zone im Nahen Osten; andererseits entwickelten drei weitere Staaten Atomwaffen: Indien, Pakistan und Nordkorea.

Das Ergebnis der Überprüfungskonferenz 2010 ist zwiespältig: Zwar konnten sich die derzeit 189 Mitgliedstaaten erstmals seit 2000 auf eine gemeinsame Erklärung einigen, doch diese stellt eher eine Bestätigung bereits bestehender Vereinbarungen dar.

erschienen in hoch3 4/2010