Biologen an die Computer

Neues Ausbildungszentrum an der TU Darmstadt stärkt die Computational Biology

04.06.2008 von

Sabine Knorr entspricht so gar nicht dem überkommenen Bild von dem mit Gummistiefeln ausgestatteten Biologen. Vielmehr verbringt sie für ihr Studium viel Zeit vor dem PC. Im Moment erstellt die angehende Biologin an der Technischen Universität Darmstadt ein komplexes Computermodell für die Erkennung unterschiedlicher Moleküle in menschlichen Immunreaktionen. Seit kurzem steht an der TU Darmstadt auf dem Campus der Biologie für solch aufwändige Simulationsrechnungen ein neues Ausbildungszentrum zur Verfügung: das Computational Biology Laboratory (CBL).

„Das CBL und unsere weitere Infrastruktur machen den Fachbereich in Bezug auf Computational Biology für Studenten aus ganz Deutschland interessant, denn es ermöglicht uns eine sehr forschungsnahe Ausbildung in einem modernen Zweig der Biologie“, konstatiert Prof. Dr. Kay Hamacher, Juniorprofessor des Fachbereichs und Leiter der Arbeitsgruppe Bioinformatik und Theoretische Biologie. Der Wunsch, die Lehre an die aktuelle Forschung anzubinden, hat ihn auf die Idee des CBL gebracht, dessen Initiator und Gründer er ist.

„Ohne Informationstechnologien ist die Biologie von heute nicht mehr denkbar“, so Hamacher. Jetzt verfügen die Biologen über zehn Rechner, die bei Bedarf sieben Tage in der Woche rund um die Uhr an einem Computermodell rechnen können. Damit können schon während des Studiums aufwändige Simulationen durchgeführt werden. Die Räume mit den Computer-Arbeitsplätzen teilt sich die Arbeitsgruppe um Hamacher mit Emmy-Noether-Gruppenleiter Dr. Ulrich Brose vom Zoologischen Institut der TU. Brose und seine Mitarbeiter erstellen theoretische Modelle von ökologischen Netzwerken.

Bei den menschlichen Immunreaktionen zum Beispiel spielen bestimmte Peptide eine bedeutende Rolle. Diese kurzen Aminosäure-Ketten lassen sich anhand ihrer Beweglichkeit erkennen – und damit auch ihre Beteiligung an den Immunreaktionen. Computermodelle, wie sie Sabine Knorr und ihre Kommilitonen in kleinerem Umfang erstellen, helfen beim Verständnis der Immunreaktionen und können im besten Fall zur Entwicklung neuer Medikamente führen.

„Die Stärkung der Informationstechnologien ist für eine Technische Universität auch im Fachbereich Biologie nicht nur sinnvoll, sondern notwendig“, betont Hamacher. „Anfangs hatten die Studenten mitunter noch Berührungsängste – aber keine Verständnisprobleme“, formuliert es der Juniorprofessor. Und schon jetzt, wenige Wochen nach seiner Eröffnung, erfreut sich das Ausbildungszentrum reger Inanspruchnahme.

Hamachers Ideen gehen über diese Projekte noch hinaus: „Bisher basiert die Computational Biology auf den zwei Pfeilern Bioinformatik und Molekulardynamik. Mein Ziel ist es, diese beiden Säulen miteinander zu verbinden und eine integrative Computational Biology zu schaffen. Praktische Anwendung findet dies zum Beispiel in der Genomanalyse.“ Die geriet erstmals mit der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts in die Schlagzeilen. Seither werden wöchentlich viele neue Genome anderer Organismen entschlüsselt.

Die traditionelle Bioinformatik kann beim Lesen dieser Genome beziehungsweise Aminosäure-Sequenzen lediglich die Buchstaben analysieren, also einzelne Aminosäuren, die zu Proteinen oder im übertragenen Sinn zu Wörtern zusammengesetzt werden. Sie kann damit beispielsweise feststellen, wann welche Wörter doppelt auftauchen. Sie kann aber nicht zum Verständnis beitragen, warum diese Wörter doppelt auftauchen.

„Wenn wir es schaffen, die überaus komplizierte mathematische Beschreibung der Aminosäure-Sequenzen mit physikalischen Methoden zu vereinfachen, können wir nicht nur die Reihenfolge der Wörter erkennen. Wir schaffen darüber hinaus quasi ein grammatikalisch-semantisches Verständnis von der Wortreihenfolge. Wir könnten dann beispielsweise im Rahmen einer Immunreaktion feststellen, auf welche Art und Weise Molekül A mit Molekül B in Wechselwirkung tritt,“ erläutert Hamacher. Das wiederum könnte unter anderem die Entwicklung neuer Medikamente einen großen Schritt voranbringen. Das Computational Biology Laboratory an der TU Darmstadt ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.