Raus aus dem Elfenbeinturm

Neue Publikationen von TU-Professorin Nina Janich und ihrem Team bieten Forschenden Hilfestellung bei Medienarbeit

2023/05/19

In der Wissenschaftskommunikation können unterschiedliche Arbeitsweisen und Ziele von Wissenschaft und Journalismus zu Konflikten führen. Sowohl junge als auch erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ihre Ergebnisse der breiteren Öffentlichkeit vorstellen wollen, finden dazu nun in zwei praxisorientierten Veröffentlichungen Lösungsvorschläge und Anregungen.

Unterstützung für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit: zwei neue Publikationen bieten Hilfestellung

Zwei neue Publikationen von Forschenden um TU-Linguistikprofessorin Nina Janich sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit unterstützen. Die Broschüre „no:crisis – Notes on Critical Interaction Situations in Science Communication“ („Linguistische Notizen zu kritischen Interaktionssituationen in der Wissenschaftskommunikation“) richtet sich an Forschende in der Qualifikationsphase oder mit noch wenig Erfahrung in der Medienarbeit, die Handreichung „MagDa-Maximen zur wissenschaftsexternen Kommunikation in politisierten Kontexten“ an erfahrenere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Beide Veröffentlichungen gehen auf Forschungsprojekte zurück, die von der Klaus Tschira Stiftung gefördert wurden. An den empirischen Studien zu den „MagDa-Maximen“ waren neben Janich und Dr. Lisa Rhein von der TU auch Professor Kersten Sven Roth und Dr. Sina Lautenschläger von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg beteiligt. An „no:crisis“ haben aus dem Forschungsteam der TU neben Janich insbesondere Dr. Lisa Rhein, Niklas Simon und Maike Sänger mitgewirkt.

Orientierung – aber auch zum Nachdenken

Die jetzt online publizierte Broschüre „no:crisis“ (wird in neuem Tab geöffnet) stellt eine empirisch fundierte Handreichung zu kritischen Interaktionssituationen in der Wissenschaftskommunikation dar. Das Team der TU-Linguistinnen und Linguisten identifizierte auf Basis von Interviews mit medienerfahrenen Forschenden aus der Naturwissenschaft typische Konfliktfälle und diskutierte diese mit erfahrenen Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten. In der Publikation finden sich zu allen Konfliktfällen gut verständliche und konkrete Lösungsvorschläge und Anregungen zum Nachdenken – angereichert mit Hintergrundinformationen und Erkenntnissen aus Angewandter Linguistik, Medien- und Kommunikationswissenschaft sowie psychologischer Forschung zur Wissenschaftskommunikation.

„Wer sich in der Wissenschaftskommunikation versucht und seine Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit vermitteln will, wird immer wieder in Situationen kommen, in denen unterschiedliche Arbeitsweisen und Zielsetzungen von Wissenschaft und Journalismus zu Konflikten führen“, erklärt Professorin Janich. „Doch dafür gibt es Lösungen – kein Grund also, im Elfenbeinturm zu bleiben und lieber nur vor der vertrauten Scientific Community die gewohnten Fachvorträge zu halten!“

In der Veröffentlichung „no:crisis“ können sich nun vor allem Einsteigerinnen und Einsteiger in die Wissenschaftskommunikation über sprachliche Herausforderungen, den Umgang mit unsicherem Wissen und ganz praktische Rahmen- und Arbeitsbedingungen informieren. Die facettenreiche Praxisorientierung, die im Rahmen des Projekts „Förderung der Textkompetenz von Nachwuchswissenschaftler:innen in den Naturwissenschaften“ in Kooperation mit dem Science Media Center Germany (SMC, Köln) und dem Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik, Karlsruhe) entstand, soll dabei ausdrücklich kein PR-Leitfaden oder einfaches Patentrezept für Medienwirksamkeit sein. Ziel ist es vielmehr, gegenseitiges Verstehen zwischen Wissenschaft und Journalismus zu fördern und insbesondere jungen Forschenden der Naturwissenschaften und anderer Disziplinen den krisenfreien Einstieg in dieses für viele erst einmal ungewohnte Handlungsfeld zu erleichtern und sie zugleich zur kritischen Reflexion ihres eigenen wissenschaftlichen Selbstverständnisses anzuregen.

Methodisches Neuland

Die „MagDa-Maximen“ (wird in neuem Tab geöffnet) beruhen auf einem Forschungsprojekt zum Corona-Diskurs. Unter dem Titel „Zwischen Elfenbeinturm und rauer See. Zum prekären Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik und seiner Mediatisierung am Beispiel der ‚Corona-Krise‘“ untersuchten die Forschenden aus Darmstadt und Magdeburg, wie Wissenschaftskommunikation unter dem politischen und medialen Druck großer globaler Krisen funktioniert. Konkret galt das Interesse der Art und Weise, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Virologie, Epidemiologie und Medizin in der heißen Phase der ersten Corona-Wellen (Frühjahr 2020 bis Herbst 2021) versuchten, ihre Expertise in den von Zeit- und Handlungsdruck geprägten politischen Diskurs einzubringen. Mit seinen parallel zum Verlauf der Krise, gewissermaßen also in „Echtzeit“ durchgeführten Studien betrat das Projekt innerhalb der angewandten Diskurslinguistik methodisches Neuland.

Vor allen Dingen am Beispiel von Talkshow-Auftritten einiger der im Diskurs prominent gewordenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, wie etwa Christian Drosten, Melanie Brinkmann und Hendrick Streeck, konnte das Forschungsteam zeigen, dass gerade deren Bemühungen um sprachliche Grenzziehung zur Sphäre der politischen Entscheidungsfindung systematisch scheiterten. Die aus dem Projekt hervorgegangene Handreichung fokussiert nun die verschiedenen Ebenen, auf denen Akteure aus der Wissenschaft in ähnlich politisierten Fällen wie der Corona-Krise ihr eigenes Handeln selbstkritisch reflektieren und bis zu einem gewissen Grade steuern können. Die „MagDa-Maximen“ können aber nicht nur Leitplanken für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst sein, sondern beispielsweise auch als Ausgangspunkt für Schulungen oder strategische Planungen von wissenschaftlichen und politischen Institutionen dienen.

Infokasten: Das Darmstädter Modell der Wissenschaftskommunikation

Das Darmstädter Modell der Wissenschaftskommunikation fördert einen deliberativen, partizipativen Ansatz der Wissenschaftskommunikation, bei dem sich Wissenschaftler:innen und Interessierte auf Augenhöhe begegnen. Im Mittelpunkt steht ein erfolgreiches Zusammenspiel von Wissenschaft und Gesellschaft, das ständig überprüft und weiterentwickelt werden muss. Wichtiges Ziel ist es, Wissenschaftler:innen individuell zu unterstützen, um nicht nur unnötige Kommunikationsbarrieren abzubauen, sondern sie auch durch gezieltes Training und Coaching ihren Interessen entsprechend weiterzuentwickeln. Dadurch soll die gesamte Organisation entwickelt und gestärkt werden.

Wissenschaftler:innen werden spezifisch unterstützt, um die Expert:innenorganisationen zu einer Organisation von kommunizierenden Expert:innen weiterzuentwickeln. Dabei hat die evidenzbasierte Wissenschaftskommunikation Vorrang vor der tradierten institutionellen und klassischen Leitungskommunikation.

Valide, objektive Informationen sind mehr denn je die wohl wichtigste Grundlage für demokratische Entscheidungsprozesse. In Anbetracht der Tatsache, dass viele Wissenschaftler:innen auf anspruchsvolle Herausforderungen der Wissenschaftskommunikation nur unzureichend vorbereitet sind oder in ihrem Berufs- oder Arbeitsumfeld nicht die notwendige Unterstützung dafür finden, hat die TU Darmstadt mit dem Science Communication Centre (SCC) eine neue zentrale Unterstützungseinheit etabliert. Das SCC bündelt unter seinem Dach die Teams für Kommunikation, Marketing, Fund- and Friendraising.

Um herausragende Forschung in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen, bietet die TU Darmstadt in dem vom Land Hessen geförderten Projekt „Science meets media“ Coachings und Workshops mit renommierten Trainer:innen zu spezifischen Medienformaten an. Die Formate werden nach individuellen Bedürfnissen, Zielen und zeitlichen Ressourcen zusammengestellt und sollen auch den Austausch mit anderen kommunizierenden Forschenden ermöglichen. Gemeinsam mit dem Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWiK) stellt die TU Darmstadt zudem die Lernplattform „Wisskom-Campus“ bereit, die spezielle Angebote für Nachwuchswissenschaftler:innen und die dezentralen Kommunikationsverantwortlichen der TU bietet. Die TU Darmstadt hat als Beiratsmitglied des Wisskom-Campus direkten Einfluss auf die Weiterentwicklung der Plattform.

Janich/mih