Distel oder Lorbeer; das ist hier die Frage

Der frühere Leiter des Botanischen Gartens der TU veröffentlicht ein Buch über "Garten-Theater – Shakespeares grüne Welten"

2024/08/09 von

Pflanzenarten und -gattungen spielen in Shakespeares Stücken eine wichtige Rolle. In einer neuen Publikation befasst sich Dr. Stefan Schneckenburger, Privatdozent und bis Ende 2021 Direktor des Botanischen Gartens der TU Darmstadt, ausführlich mit der Flora im Werk des berühmten englischen Dichters.

Dr. Stefan Schneckenburger war bis Ende 2021 Direktor des Botanischen Gartens der TU Darmstadt.

Was war zuerst da? Die Begeisterung für die Botanik oder für die Literatur von Shakespeare? Ganz sicher ist sich Stefan Schneckenburger nicht: „Shakespeare und die Literatur begeistern mich seit meinem 15. Lebensjahr. Ich hatte Hamlet auf Schallplatte, ganz prominent besetzt mit Maximilian Schell als Hamlet und Joseph Offenbach als einer der Totengräber. Ich habe es immer noch im Ohr: ›O schaudervoll! O schaudervoll, höchst schaudervoll!‹“, rezitiert er enthusiastisch. „Als Schüler hatte ich aber auch schon ein Mikroskop, damit schaute ich mir Kieselalgen, Wasserflöhe und ähnliches genauer an. Man kann also sagen: gleichzeitig.“

Mit Naviculadicta schneckenburgeri trägt sogar eine Kieselalge seinen Namen. Was er aber sicher weiß, ist, woher die Liebe zur Literatur kam. „Meine literarische Ader habe ich von meinem Großvater. Er war Deutschlehrer, ein großer Fan von Thomas Mann und war über lokale Färbungen des Pfälzer Dialektes promoviert worden.“

Die Faszination für Pflanzen in der Literatur begleitet Schneckenburger, seit er Botaniker ist. Schon in seiner Zeit als Kurator am Frankfurter Palmengarten arbeitete er an einer Ausstellung zu Goethe als einer der Begründer der Morphologie, die 1999 realisiert wurde, sogar ins Chinesische übersetzt und in Guangzhou, der Partnerstadt Frankfurts, gezeigt wurde.

Sehenswerte Ausstellung zu Ehren Shakespeares

„2014 hatten wir das 200jährige Jubiläum des Botanischen Gartens. Im damals wiedereröffneten Schlossgraben, seinem Ursprungsort, gestalteten wir einen Abschnitt sowie eine kleine Serie von Infotafeln und eine große Ausstellung im Garten an der Schnittspahnstraße. Unser Jubiläum führte aber dazu, dass ich nichts Eigenes zu Ehren von Shakespeares 450. Geburtstag machen konnte. Die verpasste Gelegenheit ärgerte mich.“

»Garten-Theater – Shakespeares grüne Welten« ist seit Ende 2023 im Handel.
»Garten-Theater – Shakespeares grüne Welten« ist seit Ende 2023 im Handel.

Ein weiteres Shakespeare-Jahr, zum Todestag im Jahr 2016, tröstete Schneckenburger darüber hinweg. „Ein vielleicht nicht ganz so schönes Datum, trotzdem ein guter Anlass. Für den Verband Botanischer Gärten habe ich dann die Tafelausstellung ›Garten=Theater: Pflanzen in Shakespeares Welt‹ kuratiert.“ Die Ausstellung wurde in mehr als 30 Botanischen Gärten in Deutschland, Österreich und der Schweiz gezeigt. „Das Begleitheft war in Nullkommanichts vergriffen, ein regelrechter Verkaufsschlager und gleichzeitig auch der Ideengeber für mein Buch. Das Buch zu schreiben war für mich ein Traum, allerdings auch ein sehr arbeitsintensiver, nervenaufreibender und kostspieliger.“

Den Botaniker und Literaturfreund faszinieren die verschiedenen Charaktere in den Werken William Shakespeares (1564 – 1616). „Es gibt die Lieben, die Schurken und die Abgrundtiefbösen, bei denen man keine Ahnung hat, warum die eigentlich so böse sind. Alles, zu dem ein Mensch fähig ist, setzte er in glaubwürdige Figuren um. Und natürlich hat es mir seine Sprachverrücktheit angetan. Viele seiner Inhalte sind aber nicht übersetzbar, weil sie so an die Sprache der englischen Renaissance gebunden sind, die sich damals – Shakespeare führte rund 3.000 Wörter neu in die Schriftsprache ein – gerade erst entwickelte“, schwärmt er.

Das Pflanzenwissen muss unglaublich viel größer gewesen sein als unseres heute. Sein Publikum hätte ihn sonst vielfach nicht verstanden.

Für sein Buch nahm Schneckenburger sämtliche Stücke des Dichters unter die Lupe, auf Deutsch und Englisch und nicht nur aus botanischer Sicht. In deutscher Sprache stellt er erstmals sämtliche im Gesamtwerk genannten Pflanzen vor und erläutert ihren botanischen und kulturgeschichtliche Kontext. Sicher ist: Mit Gärten und Pflanzen kannten sich Shakespeare und sein Publikum aus. „Pflanzen spielen in seinen Stücken eine tragende Rolle. Weil das Theater kulissenlos war, brauchte er die Pflanzen, um Atmosphäre zu schaffen, um den Menschen zu sagen, was sie sehen sollen. Das Pflanzenwissen muss unglaublich viel größer gewesen sein als unseres heute. Sein Publikum hätte ihn sonst vielfach nicht verstanden.“

Schneckenburger geht in seinem Buch auch auf das Leben Shakespeares ein, auf die Gärten und den Wald in seinem England, auf das Theater und die Wortkulissen. Bebildert sind die Pflanzen mit zeitgenössischen Holzschnitten aus seinem Exemplar des »The Herball«, John Gerards Klassiker der Botanik von 1597, das Shakespeare sicherlich gekannt und vielleicht sogar besessen hat: Er war ein wohlhabender Mann geworden. Ergänzt werden die Darstellungen durch Zitate auf Englisch und Deutsch, in der Übersetzung Frank Günthers. „Mein Bild von Shakespeare ist stark von Günther geprägt“, erklärt er.

Für Menschen, die sich für Natur, Gärten und Pflanzen interessieren

Geschrieben hat er es für Menschen, die sich für die Natur, für Gärten und Pflanzen interessieren. Es soll Literatur und Theaterfreunde bereichern, gleichzeitig Theaterprofis ansprechen. „Ich habe mein Buch unbedingt auch für Theaterleute geschrieben. Wenn es jemand bei einer Inszenierung ganz genau nehmen will, kann er das in meinem Buch nachlesen. Man muss sicher nicht alles präzise nachzeichnen. Aber ich finde, es gibt so Kipppunkte, an denen eine Pflanze genannt wird, und da ist es sicher nicht verkehrt, wenn man etwas dazu nachlesen kann. Etwa zur Unkrautkrone von König Lear, aus Taumel-Lolch, Distel und Schierling. Ich finde, es geht nicht, ihm einfach einen Lorbeerkranz oder was gerade da ist, aufzusetzen. Denn das Unkraut in der Krone hat ja seinen Grund.“

»Garten-Theater – Shakespeares grüne Welten« ist seit Ende 2023 im Handel. Es soll zudem in Regie der Universitäts und Landesbibliothek als Open-Access-Publikation erscheinen. „Und gerade arbeite ich noch an einer Excel-Tabelle, 50 Spalten und 180 Zeilen, mit allen Stücken Shakespeares, allen darin vorkommenden Pflanzen und den zeilengenauen Nachweisen der Zitate. Das hat vorher noch niemand gemacht“, erzählt Schneckenburger begeistert. Interessant sind Häufungen einzelner Arten in zeitlich benachbart entstandenen Stücken oder die augenfällige Erkennbarkeit von »städtischen« beziehungsweise »naturnahen« Werken.

Stefan Schneckenburger: »Garten-Theater. Shakespeares grüne Welten«, wbg Academic in Herder, 680 Seiten, 72 Euro, ISBN: 3534276167